Katholische Kirche:Zollitsch bricht sein Schweigen

Katholische Kirche: Alt-Erzbischof Robert Zollitsch trug in Freiburg viele Jahre Personalverantwortung.

Alt-Erzbischof Robert Zollitsch trug in Freiburg viele Jahre Personalverantwortung.

(Foto: Patrick Seeger/DPA)

Der frühere Chef der Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, entschuldigt sich für "gravierende Fehler" im Umgang mit Missbrauchsfällen. Möglich, dass der Alt-Erzbischof damit einer Studie seines Bistums zuvorkommen will.

Von Annette Zoch, München

Der frühere Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz und emeritierte Freiburger Erzbischof, Robert Zollitsch, hat sich für "gravierende Fehler" in seinem Umgang mit Missbrauchsfällen entschuldigt. Er bereue diese "von ganzem Herzen", sagte Zollitsch in einem neunminütigen Video, das am Donnerstag auf seiner Homepage veröffentlicht wurde. Lange habe ihn bei seinem Handeln zu sehr das Wohl der katholischen Kirche geleitet. "Ich habe das große Ausmaß und vor allem die Folgen für die Betroffenen der Verbrechen sexualisierter Gewalt und des Missbrauchs nicht erfasst und der Wahrheit nicht ins Auge geschaut", sagte Zollitsch.

Der 84-Jährige wendet sich in dem Video direkt an Betroffene: "Ich weiß, dass ich nicht erwarten kann, dass Sie meine Entschuldigung annehmen. Auch Sie, die Eltern, Partnerinnen, Partner und die Kinder der Betroffenen bitte ich um Entschuldigung." Katholikinnen und Katholiken bitte er um Vergebung für den Schaden, den er der Kirche zugefügt habe. "Ich weiß, dass alles, was ich jetzt sage und tue, immer unzureichend bleiben wird."

Das Video ist professionell mit zwei Kameraperspektiven produziert, auf der Homepage stehen auch gleich Pressefotos zum Download bereit. Ebenfalls dort zu finden ist eine Chronologie der Ereignisse, in der die Verdienste Zollitschs um die Missbrauchsaufarbeitung herausgestellt werden: "Auf Drängen von Zollitsch" habe die Bischofskonferenz im März 2010 am runden Tisch bei der Bundesjustizministerin mitgewirkt; "maßgeblich" sei er am Zustandekommen der Leitlinien zum Umgang mit Missbrauchsfällen beteiligt gewesen; "Vorsitzender macht Druck" heißt es zur Vergabe eines ersten Forschungsprojekts.

Er sei stets Teil eines Systems gewesen

Im zweiten Teil des Videos argumentiert Zollitsch, er sei als Verantwortlicher stets eingebunden gewesen in ein "System, das im Umgang mit sexualisierter Gewalt von einer gewachsenen und einvernehmlich getragenen Kultur des Schweigens und der Verschwiegenheit nach außen, des Korpsgeistes und des Selbstschutzes" geprägt gewesen sei. Er übernehme die persönliche und moralische Verantwortung, so Zollitsch. Künftig wolle er zur weiteren Aufarbeitung von Missbrauch beitragen. Diejenigen, die Leid und Missbrauch erfahren haben, müssten "Gehör, Anerkennung und Unterstützung" der Kirche finden.

Seit mehreren Jahren arbeitet ein unabhängiges Expertengremium aus Juristen und Kriminologen im Auftrag des Erzbistums an einer Missbrauchsstudie. Erst kürzlich war eine für Mitte Oktober geplante Veröffentlichung auf April 2023 verschoben worden. Zollitsch hatte sich mündlich und brieflich mehrmals von den Forschern befragen lassen. In seinem Video sagte er nun, er habe mehrfach Einsicht in die Unterlagen der laufenden Untersuchung sowie ein persönliches Gespräch erbeten, dieser Bitte hätten das Erzbistum und das Expertengremium nicht entsprochen.

Die Homepage ist nun womöglich auch der Versuch, vor Veröffentlichung der Studie in die Offensive zu kommen. Das Erzbistum selbst wurde von der Veröffentlichung auf Zollitschs privater Homepage offenbar überrascht.

Der Betroffenenbeirat im Erzbistum Freiburg erklärte, es müsse sich jetzt zeigen, ob Zollitsch die ausgedrückte Reue ernst meine. Sein Schuldeingeständnis komme überraschend. Jetzt müsse er sich dafür engagieren, dass die Aufarbeitung schneller vorankomme. Bislang habe Zollitsch jedoch nichts Konkretes unternommen, um das Leid der Betroffenen zu schmälern, kritisierte der Beirat. Bemerkenswert nannte Matthias Katsch von der Betroffenen-Organisation "Eckiger Tisch" das Video. Die klare persönliche Übernahme von Verantwortung sei bei kirchlichen Amtsträgern selten.

Zollitsch war von 2003 bis 2014 Erzbischof in Freiburg, zuvor war er 20 Jahre lang Personalchef des Bistums und als solcher häufig mit Missbrauchsfällen befasst. Von 2008 bis 2014 war Zollitsch zudem Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz.

Seit Langem wird ihm Fehlverhalten vorgeworfen, so soll er im Fall des inzwischen verstorbenen Gemeindepfarrers Franz B. im badischen Oberharmersbach seit mindestens 1992 von dessen Taten gewusst haben. Franz B. soll mehr als 20 Jahre lang Kinder und Jugendliche missbraucht haben. Der Pfarrer wurde aus der Gemeinde abberufen und zog in ein Altersheim, offiziell aus gesundheitlichen Gründen. Zollitsch soll damals verfügt haben, dass die Gemeinde nicht über die Taten von Franz B. informiert wird. Nachdem dies öffentlich wurde, hatte Zollitsch zwar Fehler eingeräumt, ein umfassendes Schuldeingeständnis aber bisher vermieden.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusMissbrauch in der katholischen Kirche
:"Ganze Dörfer wussten zum Teil, was los war"

Der Pfarrer Kilian Thomas Semel wurde als Ministrant von einem Priester missbraucht. Lange konnte er sich daran allerdings nicht erinnern. Ein Gespräch über Retraumatisierung und die Frage, warum er trotz allem nie den Glauben verlor.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: