Zoll: Prozess um illegale Exporte nach Iran:Husch, husch durch die Kontrolle

Nur drei bis fünf Prozent der Ladungen wurden überhaupt angesehen, Lkw oft nur "papiermäßig abgecheckt": Die überforderten Zöllner winken sogar illegale Exporte nach Teheran durch. Die peinlichen Pannen im Zollamt Hallbergmoos bei München werden jetzt vor Gericht ausgebreitet.

Nicolas Richter

Die Tore der Exportnation Deutschland stehen weit offen, jene vor allem, durch die es nach draußen geht. Die wenigen Wächter, die dort an der Pforte stehen, sollen schnell durchwinken, damit es sich an der Ausfahrt bloß nicht staut.

So ging es lange zu im Zollamt Hallbergmoos, das zwar am Flughafen München liegt, aber gleichwohl eine Art deutsche Außengrenze markiert: Die Beamten hier verplomben Lastwagen voller deutscher Exportgüter, die Richtung Südost-Europa oder Asien unterwegs sind und teils erst in Iran wieder geöffnet werden. Nun betreibt Iran zwar ein hochverdächtiges Atomprogramm, zu dem Deutschland nach Ansicht seiner Regierung nichts zuliefern sollte. Aber das ist eben nur die offizielle Linie. Die Zustände beim Zoll belegen vielmehr, wie leicht es ist, die Islamische Republik ungestört zu bedienen.

Vor einigen Jahren deckten Ermittlungen der Bundesanwaltschaft auf, dass in Hallbergmoos nur drei bis fünf Prozent der Ausfuhren angesehen wurden. Die Zöllner erklärten, die Lastwagen seien ja immer schon voll beladen gewesen, und es habe technisches Gerät gefehlt, um sie zu entladen und den Inhalt zu überprüfen. Einen kundigen Abfertigungsleiter des gehobenen Dienstes gab es nicht in der Behörde, hat ein Zeuge ausgesagt, der Job sei dafür von einem anderen Kollegen "praktisch wahrgenommen" worden, der allerdings "mit dem Computer nicht so gut klarkam".

Diese Peinlichkeiten werden in dieser Woche erstmals öffentlich vor Gericht ausgebreitet. Von diesem Montag an steht ein iranischstämmiger Kaufmann vor dem Landgericht München II. Er ist angeklagt, weil er jahrelang Güter aus Deutschland an Iran geliefert haben soll, unter Umgehung der Vorschriften. Die technischen Geräte waren zwar keine Waffentechnik im engeren Sinn, doch die Empfänger in Iran gehörten wohl weitgehend zur staatlichen Rüstungsschmiede "Defense Industries Organization". Weil diese in Deutschland nicht offen einkaufen kann, hat der Angeklagte als Mittelsmann agiert: Er kaufte bei Mittelständlern ein und tat so, als liefere er die Waren alsbald in die Schweiz.

Es ist ein Schlüsselverfahren im Außenwirtschaftsrecht. Erstens wegen Iran, zweitens, weil der Fall Widersprüche und Grauzonen im deutschen Exportrecht offenlegt. Vor zwei Jahren weigerte sich erst das Oberlandesgericht München, die Anklage zuzulassen. Die Richter erklärten, die Vorwürfe seien übertrieben, und bemerkten zudem, das deutsche Außenhandelsrecht stelle Hürden auf, die es bei europäischen Nachbarn gar nicht gebe - die deutschen Gesetze seien mit EU-Recht unvereinbar und mithin zu ignorieren.

Ein dreiviertel Jahr später sah der Bundesgerichtshof die Sache völlig anders: Die Münchner Richter, hieß es da, hätten den Fall bagatellisiert. Zum Beispiel ist es für die Bestrafung von Exportsündern von großem Einfluss, ob der Fall die "auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik" erheblich gefährden, ob Deutschland also wegen illegaler Ausfuhren weltweit am Pranger stehen könnte - etwa in israelischen oder amerikanischen Medien.

Die Münchner Richter hatten das verneint. Der Bundesgerichtshof entschied das Gegenteil - mit einer kuriosen Begründung: Für Deutschlands Ruf besonders schädlich seien die hier offenbarten "massiven Kontrolldefizite . . . bei den deutschen Zollbehörden". Es gebe Hinweise, dass der Angeklagte Saaed S. die laschen Kontrollen in Hallbergmoos gekannt und bewusst ausgenutzt habe. Anders ausgedrückt: Je größer das Versagen beim deutschen Zoll, desto größer die Schuld des angeklagten Exporteurs.

Die Verteidigerin Anke Müller-Jacobsen will diese Argumentation im Strafprozess angreifen. Ihr Mandant, findet sie, könne nicht für mutmaßliche Schlamperei der Behörden bestraft werden. Deswegen will sie die beteiligten Zollbeamten vor Gericht intensiv zu ihrer Rolle befragen. Müller-Jacobsen geht davon aus, dass die Zöllner in Wahrheit gar nicht so sehr versagt haben wie es die Anklage nahelegt, sondern dass ihre Praxis schlicht dem entspricht, was üblich ist. Die Beamten sollen voraussichtlich am Mittwoch als Zeugen vernommen werden. Das Verfahren wird damit auch zu einem Prozess über das deutsche Kontrollwesen im Umgang mit Staaten wie Iran.

Im Schnitt 15 Minuten Zeit pro Lkw

Die Zöllner haben in den bisher vertraulichen Vernehmungen beklagt, dass sie angesichts der Masse an Exportgütern gar nicht in der Lage sein konnten, die vollgepackten Lastwagen zu überprüfen. Meist werde die Ladung nur "papiermäßig abgecheckt". Etliche Lastwagen würden nicht im Amt abgefertigt und verplombt, sondern irgendwo am Straßenrand. Im Schnitt hätten sie pro Laster 15 Minuten Zeit, wobei ein Teil dieser Zeit damit verlorengehe, den Lastwagen zu suchen.

Im Amt wiederum gebe es weder Rampe noch Stapler - die komplette Entladung eines Lkw habe er noch nie erlebt, sagte ein Zöllner. Grundsätzlich könnten die Beamten zwar auf Datenbanken zurückgreifen, doch fehle es an Bildschirmen. Und meist seien Inhalte der Ladelisten erst in den Computer eingegeben worden, nachdem der Lastwagen schon weggefahren sei.

Zoll als Geldmaschine, nicht als Kontrollinstanz

Die neue Datenbank "Atlas" verspricht zwar Besserung - aber auch sie geht ins Leere, wenn der Zoll so gut wie nie überprüft, ob im Lastwagen auch drin ist, was der Spediteur anmeldet. Im Fall Saeed S. merkten die Beamten allerdings nicht einmal, dass dieser in den Papieren als Ziel der Exporte eigentlich die Schweiz angegeben hatte und nicht Iran. Damit wollte er offenbar seine Lieferanten täuschen. Schlamperei? Oder Normalität? Die Zollbeamten haben erklärt, dass von ihnen vor allem schnelles Arbeiten erwartet werde. Wäre die Zahl der Abfertigungen gesunken, so hätte das Zollamt "Leistungspunkte" verloren und Personal abgeben müssen.

Als die Süddeutsche Zeitung über die Zustände in Hallbergmoos berichtete, erklärte die Gewerkschaft der Polizei, dies sei kein Einzelfall, sondern ein Strukturproblem: Das Finanzministerium sehe den Zoll bloß als Geldmaschine und nicht mehr als Kontrollinstanz.

Der ketzerische Beschluss des OLG München hatte im Jahr 2009 unter Juristen die Hoffnung geweckt, dass Deutschland sein schwammiges Exportrecht reformieren würde. Daraus aber wurde nichts, und so bleibt es bei dieser Logik: Je mehr US-Zeitungen die schlimme Lage in Hallbergmoos anprangern, desto länger sitzt Herr S. wohl im Gefängnis.

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