Zoff in der Großen Koalition:Merkel: "Das ist mir scheißegal"

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Im Koalitionsausschuss streiten Union und SPD in ungewöhnlich scharfer Form über Parteitaktik, gegenseitige Attacken und ein Interview mit Peter Struck.

Nico Fried und Jens Schneider

Peter Struck hat schon bessere Abende erlebt als am Sonntag im Koalitionsausschuss. Zwar sah es zunächst so aus, als bliebe der Fraktionschef der SPD nach einem ziemlich provokativen Interview unbehelligt.

Dann aber lieferte er selbst eine Steilvorlage, die von der Union, Kanzlerin Angela Merkel inklusive, zu einer deftigen Abrechnung genutzt wurde. Es war der dramatische Höhepunkt einer Sitzung, deren Atmosphäre Teilnehmer aller Seiten als phasenweise sehr angespannt schilderten.

Und das kam so: Zum Frühstück hatten die Koalitionäre am Sonntag lesen können, dass Struck seinen ehemaligen Regierungschef vermisst. "Gerhard Schröder als Sozialdemokrat wäre mir immer der liebere Kanzler. Davon abgesehen: Er war entscheidungsfreudig."

Außerdem sei die Mehrwertsteuererhöhung auch nicht nötig gewesen, setzte Struck noch einen drauf, was bis in die eigene Partei hinein nicht gut ankommen dürfte. Schließlich muss sich die SPD-Spitze seit Monaten den Mund fusselig reden, um den Bruch ihres Wahlversprechens zu rechtfertigen, die Mehrwertsteuer nicht zu erhöhen.

Die ersten zwei Stunden, als über die Gesundheitsreform gesprochen wurde, blieb die Diskussion noch sachlich, auch wenn SPD und Union in der Sache noch an vielen Stellen auseinander blieben. Zu dieser Zeit verliefen die Konfliktlinien indes noch vornehmlich durch die Union, genauer gesagt: die CSU.

Stoiber auf Krawall gebürstet

Bei der Steuerfinanzierung des Gesundheitswesens zeigten sich deutliche Meinungsunterschiede zwischen dem dafür aufgeschlossenen bayerischen Unions-Verhandlungsführer Wolfgang Zöller und seinem skeptischen Ministerpräsidenten und Parteichef Edmund Stoiber.

Letzterer erschien manchem Teilnehmer ohnehin auf Krawall gebürstet, legte sich Stoiber später doch auch noch beim Thema Unternehmensteuer mit Hessens Ministerpräsident Roland Koch an.

Zuvor jedoch lief die SPD bei der Föderalismusreform in eine taktische Falle. Die Sozialdemokraten mussten weitere Zugeständnisse in der Hochschulpolitik einfordern, um die Zustimmung ihrer Fraktion zu sichern, in der zahlreiche Abgeordnete die bisher geplanten Regelungen nicht akzeptieren wollen.

Er könne sonst nicht für die Zustimmung garantieren, warnte Struck die Unionisten. Das löste auf der Gegenseite zunächst überraschte, schließlich heftige Reaktionen aus.

Den Auftakt machte CSU-Generelsekretär Markus Söder. In einer Schärfe, wie sie die Koalitionäre in ihren bisherigen sieben Monaten noch nicht für nötig hielten, erinnerte er SPD-Chef Kurt Beck daran, dass er doch wohl der Parteivorsitzende sei.

Es könne ja nicht angehen, dass Beck als Ministerpräsident dem Kompromiss bei der Föderalismusreform zustimme, ihn aber anschließend nicht in der eigenen Partei durchsetzen könne. Der irritierte SPD-Chef wollte sich auf diese Vorwürfe nicht einlassen. Solche Spielchen gingen in dieser Runde gar nicht, mahnte Beck und versuchte so die Diskussion über das Verhalten der SPD zu beenden.

Pofalla: "Es stinkt mir"

Aber die Unionsspitzen wollten jetzt Dampf ablassen. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla erinnerte empört an SPD-Attacken aus den vergangenen Wochen. "Es stinkt mir", soll er gesagt haben, so könne man mit der Union nicht umgehen. Die SPD wiederum, unter anderem Fraktionsgeschäftsführer Olaf Scholz, kritisierten Merkel noch einmal wegen ihres Wortes vom "Sanierungsfall" Deutschland.

Und dann griff die Kanzlerin selbst ein. Merkel freilich konzentrierte sich auf SPD-Fraktionschef Struck. Verärgert hielt sie ihm vor, in der Debatte um die Föderalismusreform mit einer Rede im Bundestag, in der er Änderungen an der Reform gefordert hatte, die eigene Fraktion regelrecht zu Quertreibereien ermuntert zu haben. So könne man nicht weiter machen, schimpfte die Kanzlerin.

Wie andere Unions-Leute auch ließ Merkel zudem keinen Zweifel daran, dass sie Strucks Interview-Äußerungen nicht goutierte. Die Kanzlerin kritisieren, aber den eigenen Laden nicht im Griff zu haben, sei nicht in Ordnung schallte es Struck aus CDU und CSU entgegen. Im Wortwechsel versuchte der Fraktionschef, sich zu rechtfertigen.

Er monierte die Wiedergabe seiner Worte in den Agenturmeldungen als zugespitzt und verwies darauf, dass es nicht seine Absicht gewesen sei, Kritik zu äußern. An anderer Stelle im Interview habe er sich durchaus auch positiv über die Zusammenarbeit mit der Kanzlerin geäußert.

Doch an diesem Punkt war Merkel einstweilen nicht mehr zu besänftigen. Den Erklärungsversuch Strucks beantwortete sie mit einem trockenen: "Das ist mir scheißegal."

Es folgte eine gut zweistündige Sitzungsunterbrechung. Nur in kleinen Gruppen wurde die Diskussion über die Föderalismusreform fortgesetzt. Und es geschah, was man nicht mehr unbedingt für möglich halten konnte: Die Koalition kehrte zur sachlichen Diskussion zurück.

Irgendwann, so schildern mehrere Teilnehmer ein Grundgefühl unter den Beteiligten, stelle sich eben bei allen Schwierigkeiten stets ein Konsens ein, dass man zu Lösungen kommen müsse, weil sich die große Koalition ein Scheitern nicht erlauben dürfe.

Wie es eigentlich laufen sollte, demonstrierten nach Mitternacht Finanzminister Peer Steinbrück und Roland Koch, die gemeinsam zur Reform der Unternehmensteuern vortrugen. Gut vorbereitet seien beide gewesen, hieß es übereinstimmend.

Nur CSU-Chef Stoiber fühlte sich von den Vorstellungen der beiden überrumpelt. So wurde es die bislang längste Sitzung. Und am kommenden Sonntag trifft man sich wieder.

© SZ vom 27.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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