Zivilcourage:"Ich gehörte schnell zu den meistgehassten Personen in Freital"

Kundgebung vor Freitaler Flüchtlingsheim

Immer wieder gibt es in Freital Proteste gegen Flüchtlinge.

(Foto: Oliver Killig/dpa)

Die Wut auf Flüchtlinge spaltet die sächsische Stadt - und richtet sich auch gegen Steffi Brachtel, die sich engagiert. Für ihren Mut wird sie nun geehrt.

Interview von Alexander Triesch

Im sächsischen Freital gab es im Juni 2015 heftige Proteste, weil Asylbewerber in einem ehemaligen Hotel unterkommen sollten. Demonstranten hatten immer wieder Steine auf die Unterkunft geworfen und Flüchtlinge niedergeschlagen. Als ein Linken-Politiker aus dem Stadtrat wenig später die Angriffe verurteilte, explodierte sein Auto. Bei einem Einsatz der GSG 9 im April nahm die Spezialeinheit mehrere Rechtsextremisten fest, die eine Bürgerwehr gegründet hatten.

Seit zwei Jahren hilft Steffi Brachtel in Freital Flüchtlingen bei der Integration und bekämpft auf Facebook fremdenfeindliche Kommentare mit Fakten und Argumenten. Schnell richtete sich der Hass auch gegen die 41-Jährige. Neonazis griffen sie an, verfolgten sie bis nach Hause. Auch im Internet gab es Gewaltaufrufe gegen die Kellnerin. Heute wird sie in Berlin mit dem Preis für Zivilcourage des Förderkreises "Denkmal für die ermordeten Juden Europas" ausgezeichnet.

SZ: Wie ist die Stimmung heute in Freital, ein Jahr nach den fremdenfeindlichen Ausschreitungen?

Brachtel: Relativ ruhig. Das verdanken wir aber nicht der Zivilgesellschaft oder gar der Stadtverwaltung, sondern der GSG 9. Die sind im Frühjahr hier eingerückt und haben ein paar Leute mitgenommen. Aber nur weil man acht Menschen verhaftet, die eine Bürgerwehr - oder sagen wir besser: eine Terrorgruppe - gründen, verschwindet das Gedankengut nicht einfach aus den Köpfen der Menschen. Brutale Übergriffe wie im letzten Jahr gibt es allerdings nicht mehr. Das liegt vielleicht auch daran, dass die Flüchtlingsunterkunft, das Hotel Leonardo, mittlerweile geräumt ist.

Die Proteste hatten Erfolg?

Das hat damit nichts zu tun. Es gab Streitereien zwischen den Betreibern, dem Landkreis und dem Land Sachsen. Man konnte sich in gewissen Fragen nicht einigen. Jetzt sind die Flüchtlinge dezentral untergebracht, in anderen Heimen und Wohnungen in der Umgebung, aber auch in Freital.

Freitalerin Steffi Brachtel bekommt Zivilcourage-Preis

Brachtel: "Jahrelang hat man das rechte Auge zugemacht."

(Foto: dpa)

Können die Flüchtlinge mittlerweile in Ruhe leben?

Eigentlich nicht, nein. Viele fühlen sich unwohl. Immer wieder tauchen fremdenfeindliche Schmierereien auf, No-Asyl-Sprüche und Hakenkreuze. Nach wie vor gibt es im Alltag sehr viel Rassismus. In den S-Bahnen kontrolliert man Flüchtlinge besonders streng. "Na, zeig doch mal deinen Fahrschein." Die werden einfach geduzt. Da fehlt jeglicher Respekt. Letzte Woche fuhr ich mit der Bahn, als ein Deutscher einen Eritreer völlig ohne Grund beleidigt hat. Niemand im Abteil hat eingegriffen. Ich bin dann aufgestanden und dazwischengegangen. Mich macht es wütend und traurig, wenn sich keiner traut, in so einem Fall Zivilcourage zu zeigen.

Seit den Protesten von damals engagieren Sie sich in der Organisation für Weltoffenheit und Toleranz Freital. Wie kam es dazu?

Ein Schlüsselmoment war im Oktober 2014. Einer meiner Facebook-Freunde postete einen Comic. Da fragte ein Kind: "Papa, warum gibt es in Star Trek eigentlich keine Muslime?" Und der Vater antwortete: "Weil Star Trek in der Zukunft spielt." Als mein Sohn und ich unter dem Beitrag energisch kommentierten, nannte man uns linke Spinner und löschte uns aus Freundeslisten. Viele meiner damaligen Freunde sind dann montags nach Dresden gefahren, um bei Pegida mitzulaufen. Wir haben uns den Gegendemos angeschlossen. Das Ganze ist irgendwann auch nach Freital geschwappt, und da wussten wir: Man muss dagegenhalten.

Das traf vermutlich nicht überall auf Zustimmung.

Ich war sehr naiv und blauäugig. Ich dachte, wir leben in einer Demokratie, es gibt verschiedene Meinungen und über die kann man reden. Das war ein Irrtum. Ich gehörte schnell zu den meist gehassten Personen in Freital. Auf dem Nachhauseweg lauerten mir Unbekannte auf, jemand sprengte meinen Briefkasten in die Luft. Mein Name landete auf einer Liste der Bürgerwehr, auf der alle standen, die noch eingeschüchtert werden müssen. Im Internet posteten die Leute "Brachtel raus aus Freital" und "Wir haben die Baseballschläger schon bereitgelegt".

Macht es Sinn, mit solchen Menschen noch zu reden?

Nein, mit diesen Leuten kann man nicht reden. Wer sich Sorgen macht, ob wir das in Freital wirklich schaffen können, den kann man noch überzeugen. Aber wer Autos anzündet und öffentlich zu Gewalt aufruft, den erreicht man absolut nicht mehr.

"Mit der Stadt gibt es keine Zusammenarbeit"

Kam Ihnen je der Gedanke, der Sicherheit wegen aufzuhören?

In dieser Zeit hatte ich natürlich Angst. Aber ich wollte und will mein Leben nicht davon bestimmen lassen. Aufgeben war nie ein Thema. Ich bin nur vorsichtiger geworden. Ohne Pfefferspray gehe ich heute nicht mehr aus dem Haus. Seit die Bürgerwehr aufgelöst wurde, sind die Anfeindungen weniger geworden. Verächtliche Blicke und blöde Kommentare wie "Ach, die Brachtel soll doch zu ihren Flüchtlingen gehen" gibt es aber nach wie vor.

Hat sich auch das Verhältnis zu Freunden und Familie verändert?

Leider, ja. Mein Freundeskreis hat sich komplett neu gemischt. Zu vielen habe ich gar keinen Kontakt mehr. Andererseits habe ich auch neue, wirklich großartige Leute kennengelernt. In der Familie müssen wir immer Diskussionen führen, weil die meisten doch konservativ denken - aber man akzeptiert die Meinung des anderen. Bei meinen ehemaligen Freunden war das nicht möglich. Eine Freundin sagte mir damals, wenn sie könnte, würde sie mir einen Magneten an den Kopf werfen, damit ich wieder klar denken kann.

Heute Abend werden Sie in Berlin für Ihre Zivilcourage ausgezeichnet. Wäre Ihnen mehr Wertschätzung in Freital nicht lieber?

Wissen Sie, ich mache das nicht, um Anerkennung zu bekommen. Die gibt es nicht. Es wäre natürlich toll, wenn sich jetzt mehr Leute beteiligen würden. Aber das ist ein Märchen. Ein bisschen habe ich mir meine Naivität bewahrt. Ich glaube weiterhin an das Gute im Menschen. Vielleicht können wir den ein oder anderen ja doch noch bekehren.

Wie haben die Flüchtlinge auf Ihr Engagement reagiert?

Die Resonanz ist sehr gut. Viele wollen am liebsten jeden Tag Kontakt zu der Organisation haben, andere sind froh über die Unterstützung, nehmen ihr Leben aber weitgehend selbst in die Hand. Ein Syrer aus Aleppo lädt uns regelmäßig zu sich nach Hause ein, ich helfe ihm beim Deutschlernen. Seine Kinder sind noch immer in Aleppo, jeden Tag versucht er mit ihnen zu telefonieren. In Dresden hat er jetzt eine eigene Wohnung gefunden - ein toller Mensch, mit sehr viel Herzlichkeit. Mit der Zeit haben sich wirklich enge Freundschaften entwickelt.

Bürgermeister Uwe Rumberg (CDU) bezeichnete einen Teil der Flüchtlinge in Freital als "Glücksritter", die nur auf Wohlstand aus sind. Wie ist bei solchen Aussagen die Zusammenarbeit möglich?

Gar nicht. Mit der Stadt gibt es keine Zusammenarbeit. Herr Rumberg sagte noch im April, eine Woche vor dem GSG-9-Einsatz, in Freital gebe es keine Probleme mit Nazis. Er duckt sich einfach weg. Ihm geht es nur um das Image der Stadt. Wir haben von ihm bisher noch kein Dankeschön gehört.

Freital war kein Einzelfall. In Clausnitz und Bautzen kam es zu ähnlichen Vorfällen, in Dresden marschiert Pegida. Viele sagen, das sei nur in Sachsen möglich.

Ja, es fällt auf, dass Sachsen in letzter Zeit in jeden Fettnapf tritt, der irgendwo rumsteht. Bei der Landesregierung gibt es Pannen über Pannen. Seit 26 Jahren regiert die CDU, der ehemalige Ministerpräsident Kurt Biedenkopf meinte mal, Sachsen sei immun gegen Rechtsextremismus. Blödsinn. Jahrelang hat man das rechte Auge zugemacht. Hier sind natürlich nicht alle Menschen fremdenfeindlich, aber viele Sachsen leben mit einer seltsamen Behäbigkeit vor sich hin: Ach ne, heute regnet es, da bleib ich auf dem Sofa und lass die Rechten mal machen. Nur: Wer schweigt, stimmt zu.

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