Corona in Sachsen:"Die Stimmung ist bedrückt"

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Stille Zeit: Auf dem Marktplatz der Stadt Zittau herrscht Ruhe. Der Landkreis zählt zu den Gebieten mit den höchsten Covid-19-Fallzahlen in ganz Deutschland. (Foto: Daniel Schäfer/dpa)

Im sächsischen Zittau müssen die Corona-Toten schon außerhalb des Krematoriums zwischengelagert werden, so viele waren es zuletzt. Ein Ortsbesuch bei Menschen, für die Weihnachten besonders schwierig war.

Von Christoph Koopmann, Zittau

Es ist kurz nach zwölf am Mittag dieses zweiten Weihnachtsfeiertages, als noch einmal der Leichenwagen des Bestattungsdienstes über das Kopfsteinpflaster zum Rathaus rollt. Wieder bringen sie Unterlagen Gestorbener vorbei, damit die Standesbeamten die Todesfälle beurkunden können. Auch am Feiertag. Im Standesamt von Zittau haben sie extra aufgesperrt, ausschließlich, um Todesurkunden auszustellen. Sie haben das auch an Heiligabend schon getan, außerplanmäßig. Nach Plan läuft schließlich so gut wie nichts dieser Tage und in Zittau schon gar nicht.

An diesem Tag fällt zuerst die Stille auf. Auf dem historischen Marktplatz steht ein einsamer Christbaum und drumherum: so gut wie niemand. Eigentlich sollte das nicht verwundern, schließlich ist Feiertag. Doch daran, dass hier in Zittau wirklich Ausnahmezustand herrscht, erinnert der Polizeibus, der alle paar Minuten seine Runde dreht. Und der Leichenwagen.

Es waren die blanken Zahlen, die am Dienstag aufschrecken ließen: 73, 110, 115. So viele Todesfälle hat das Standesamt Zittau im Oktober, November und Dezember - Stand Dienstagmittag - beurkundet. Die nicht eingerechnet, die man über die Weihnachtstage nachgetragen hat. In den Jahren zuvor waren es in den gleichen Monaten jeweils etwa 50. Die Stadtverwaltung teilte zudem mit, das Krematorium komme mit der Arbeit nicht mehr hinterher. Man habe deshalb beschlossen, "weitere Lagerflächen im Bereich des Hochwasserstützpunkts in Nutzung zu bringen, um Verstorbene sicher zu lagern und bei Freigabe zur Einäscherung ins Krematorium zu fahren". Plötzlich richteten sich die Blicke aus der ganzen Republik auf Zittau, 26 000 Einwohner, gelegen am äußersten östlichen Zipfel Sachsens.

Die Leichenwagen fallen schon auf in Zittau, sagt der Bürgermeister, aber um das wahre Ausmaß der Seuche zu sehen, müsse man in die Klinik. (Foto: Daniel Schäfer/dpa)

Wenn du solche Nachrichten aus deiner Stadt hörst, sagt Ulrike Lengle, dann ist das schon beklemmend. Sie und ihr Mann stehen vor einem Wirtshaus in der Altstadt, das 467 Jahre und in dieser Zeit Kriege, Brände, alles mögliche überstanden hat. Die Pandemie versucht der Wirt mit einem Abholservice zu bewältigen. Ulrike Lengles Mann hat Appetit auf den geschmorten Putenbraten in Apfel-Sherry-Soße, 13,50 Euro. In der Nacht ist Ulrike Lengle aufgewacht, erzählt sie, während die beiden in der Eiseskälte draußen warten. Sie hatte Hubschrauber gehört. Ob sie wohl wieder Covid-19-Patienten ausgeflogen haben wie an Heiligabend?

Seit einigen Tagen sind im Klinikum Oberlausitz Bergland alle Betten belegt, die für die Behandlung Corona-Positiver vorgesehen waren. Seitdem schreckt Ulrike Lengle bei jedem Helikoptergeräusch auf. "Wenn Sie das erleben und Sie wissen nicht, vielleicht ist es gerade ein Freund, den sie hier drüber fliegen... Da fehlt uns jede Vorstellungskraft", sagt sie. "Ich bin jetzt 75, mein Mann über 80. Wir beten jetzt alle schön, dass wir nicht krank werden."

"Wir kommen nicht zu euch"

Die beiden sind noch vorsichtiger geworden als ohnehin schon. Heiligabend haben die Lengles zum ersten Mal seit 60 Jahren zu zweit gefeiert. Die Enkel leben verstreut über die Republik. "Deswegen haben auch alle gesagt: Wir kommen nicht zu euch." Zittau gilt vielen jetzt als Gefahrenzone. Die FFP-2-Masken haben die Lengles immer dabei. Auch draußen gilt hier Maskenpflicht. Beide finden: "Die Stimmung ist bedrückt."

So gerne wären die Lengles zum Weihnachtskonzert ins Gerhart-Hauptmann-Theater gegangen, "Es ist ein Ros' entsprungen" hätten sie mitgesummt und "O Tannenbaum". Die Karten hatten sie schon. Dann konnten sie das Konzert nur im Internet ansehen. Die Sänger haben zwar gesungen, doch der Saal blieb leer. Dabei wäre ein richtiges Konzert willkommener Trost und Ablenkung gewesen, glaubt Ulrike Lengle. Und dennoch: sie hätten Glück gehabt. Denn sie kennen niemanden persönlich, den es mit Corona schwerer erwischt hätte. Es sei doch das Mindeste, "wenn die Leute mal nachdenken", ob jetzt noch im größeren Kreis gefeiert werden sollte oder ob man andere noch umarmt.

In einer Konditorei ein paar Straßenecken weiter bemüht sich Rosemarie Thomas nach Kräften darum, alles ganz normal wirken zu lassen. Feiertags gibt es Torte. Thomas, 37, steht mit einem breiten Verkäuferinnenlächeln hinter dem Tresen, und fragt, was es denn sein dürfe. Auf ihr blondes Haar hat sie ein rot glitzerndes Nikolausmützchen gesteckt, für die Stimmung, klar, ist ja Weihnachten. Für dieses Weihnachtsfest in Zittau fällt Rosemarie Thomas allerdings zuerst folgendes Wort ein: "schwierig."

Lieber nicht über die Toten nachdenken

Dabei ist sie ja froh, dass sie in dieser ganzen Misere bis jetzt gesund geblieben ist, die Familie auch. Und, dass sie und ihr Mann noch Arbeit haben, er fährt als Taxiunternehmer jetzt die Leute zu Arztterminen. Über das, was sie da in den Medien gelesen hat von den vielen Kranken und Toten in Zittau, mag sie nicht viel nachdenken. "Bringt doch nüscht", sagt sie. Außerdem wisse man doch nicht, ob das nicht auch "ein bisschen hochgepusht" werde, diese Zahlen. Aber tragisch sei das alles schon.

Hat sie denn keine Sorge, sich selbst anzustecken mit dem Virus, wenn die Feiertagstortenkäufer jetzt vor ihr stehen? "Nö", sagt Rosemarie Thomas, und zuckt mit den Schultern. "Wenn ich's hab, hab ich's." Zur Sicherheit lässt sie immer nur einen Kunden ein, die anderen müssen draußen warten. Eine Plexiglaswand gibt es auf ihrem Tresen nicht.

Draußen, am Rande der Altstadt, berichten zwei Spaziergängerinnen, dass sie sich immer strengstens an die Auflagen hielten. Maske tragen, Abstand halten, abends Ausgangssperre. Mehr könnten sie nicht tun. Außer vielleicht optimistisch bleiben. "Es bleibt einem ja nichts anderes übrig."

Und was hatte Ulrike Lengle vor dem Wirtshaus noch gesagt, worauf sie gerade am meisten hofft? "Dass sie noch ein bisschen erhalten bleibt, unsere schöne Stadt." Und wieder so wird, wie sie mal war.

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