Zeugin im NSU-Prozess:"Das ist die Frau, die ich gesehen habe!"

Ihre Schilderungen sind sehr detailreich: Eine Zeugin will die mutmaßliche Terroristin Beate Zschäpe an einem Tatort in Dortmund gesehen haben. Beim NSU-Prozess berichtet sie von großen Wohnwagen und geheimnisvollen Grabungen. Und sie erklärt, warum sie sich erst jetzt gemeldet hat.

Von Tanjev Schultz

Die Zeugin, die wie aus dem Nichts aufgetaucht ist, muss erst mal warten. Gleich zu Beginn der Verhandlung gibt es am Montag im NSU-Prozess die erste Unterbrechung, weil die Anwälte in Ruhe neue Ermittlungsakten studieren wollen. Die Zeugin, die sich erst vor Kurzem gemeldet und ihre Erinnerungen zunächst bei Anwälten der Nebenklage geschildert hat, will Zschäpe Anfang April 2006 in Dortmund gesehen haben. Auf dem Grundstück eines Nachbarn, gemeinsam mit den NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.

Sollte das stimmen, würde es Zschäpe in eine direkte Verbindung zu einem der Tatorte bringen - am 4. April 2006 wurde der Kiosk-Betreiber Mehmet Kubaşık in Dortmund ermordet. Doch die NSU-Ermittler haben auch Hinweise darauf gefunden, dass die Erinnerungen der Zeugin auf einer Verwechslung beruhen könnten. Die Frau des Nachbarn soll Beate Zschäpe ziemlich ähnlich sehen.

Gespannt warten nun alle auf die Zeugin aus Dortmund. Um halb zwölf nimmt sie endlich auf dem Zeugenstuhl Platz: Veronika von A., 63 Jahre alt, von Beruf freie Journalistin. Sie trägt ihre Haare hochgesteckt, eine Halskette, und sie spricht sehr gewählt, fast druckreif und ungemein detailreich.

Beobachtungen durchs Fernglas

Sie berichtet zunächst, warum ihr der 31. März 2006 so gut in Erinnerung geblieben sei. An diesem Tag habe es "ein wichtiges familiäres Ereignis" gegeben. Sie habe damals aufgepasst, dass ein erwarteter Möbelwagen Zugang zur Einfahrt hatte. Deshalb sei ihr schon Tage zuvor ein sehr großes Wohnmobil aufgefallen. Nachdem sie daran einen Zettel angebracht hatte, mit der Bitte es wegzufahren, wurde es tatsächlich umgeparkt.

Schon in früheren Monaten war der Zeugin immer wieder ein Wohnmobil (damals ein kleineres Modell) in der Straße aufgefallen, und sie will sich an die Buchstaben C und A sowie schließlich an ein Z auf den Nummernschildern erinnern können. C: Das könnte für Chemnitz stehen, Z für Zwickau, den beiden Orten, an denen das Trio Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt jahrelang gewohnt haben. Und Mundlos und Böhnhardt sind nach den Erkenntnissen der Ermittler oft mit einem Wohnmobil unterwegs gewesen, wenn sie raubten oder mordeten.

Kurz nach dem Ereignis am 31. März 2006 beobachtet Veronika von A. auf dem Grundstück eines Nachbarn, den sie als "Skinhead" beschreibt, eine Gruppe von Männern und eine Frau. Die Zeugin stand im Dachgeschoss ihres Hauses und schaute mit einem Fernglas hinüber, dann öffnete sie das Fenster. Da habe sie der Frau, die sie nach 2011 als Zschäpe wiedererkannt haben will, ins Gesicht schauen können. Ist das möglich?

Wie es zur Aussage der Zeugin kam

Es gibt viele Zeugen, die im Nachhinein, wenn sie Fahndungsfotos sehen, glauben, der gesuchten Person irgendwo schon begegnet zu sein. Veronika von A. trägt ihre Erinnerung allerdings in einem Ton großer Sicherheit vor. Sie sagt, es seien Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gewesen, kein Wort des Zweifels in ihrer Darstellung vor Gericht. Erstaunlicherweise meldet sie sich aber erst im Jahr 2013 bei einem Anwalt, um diese brisante Information mitzuteilen.

Angeblich hat Zschäpe damals, im Jahr 2006, eine Hand auf eine Schaukel gelegt im Nachbargarten. Als Veronika von A. das Fenster öffnet, verschwindet die Gruppe, die einen finsteren, Angst einflößenden Eindruck hinterlassen haben soll.

Den Nachbarn hatte Veronika von A. offenbar schon länger auf dem Kieker. Er habe einen großen Zaun rund um sein Grundstück angelegt, so dass dieses kaum einsehbar war. Doch die Zeugin bekommt etwas von geheimnisvollen Grabungen mit, die sie beunruhigt hätten. Es klingt alles etwas seltsam, aber die Zeugin unterlegt ihre Schilderungen eloquent mit vielen Detailangaben.

So sagt sie beispielsweise mit Blick auf das große Wohnmobil, sie habe in einem ihrer Zimmer (sie nennt es "Bibliothek") bereits "Lichtbeeinträchtigungen" wegen des vor dem Fenster parkenden großen Fahrzeugs wahrgenommen. Die Zeugin redet geordnet und wirkt nicht durcheinander. Dennoch erstaunt, wie lange sie ihre angeblich so sichere Wahrnehmung von den NSU-Terroristen für sich behalten hat.

Kein Smalltalk-Thema

"Wie ist es dann dazu gekommen, dass Sie heute hier als Zeugin sitzen?", fragt Richter Manfred Götzl. Da holt Veronika von A. wieder aus. Sie habe bereits im November 2011, als der NSU entdeckt wurde, beim Blick auf Fahndungsfotos zu ihrem Mann gesagt: "Das sind die Männer!" und: "Das ist die Frau, die ich gesehen habe!"

Sie habe das nicht als "Party-Smalltalk" herumerzählen wollen und auch darauf vertraut, dass das Wissen der Ermittler größer sei als ihres. Später sei sie erstaunt gewesen darüber, dass niemand aus der regen Dortmunder Neonazi-Szene als Unterstützer des NSU angeklagt worden sei. Sie wandte sich an einen Journalisten und schließlich an den Rechtsanwalt von Angehörigen eines NSU-Mordopfers. Im Verlaufe der Verhandlung werden nun, nicht zuletzt von Zschäpes Verteidiger, viele kritische Fragen kommen, die die Glaubwürdigkeit der Zeugin hinterfragen.

Die Anklage steht und fällt allerdings ohnehin nicht mit dem Nachweis, dass Zschäpe an einem der Tatorte dabei war. Die Bundesanwaltschaft wirft Zschäpe Mittäterschaft unter anderem an zehn Morden vor, ohne davon ausgehen zu müssen, dass sie ihre Freunde begleitet hat, wenn sie auf die Opfer die Schüsse abfeuerten. Es reicht aus Sicht der Ankläger, dass das Trio gemeinsam hinter den Taten gestanden und Zschäpe ihre Freunde getarnt habe.

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