Zeugin im NSU-Prozess:Alles "ganz normal" in Zwickau

Im NSU-Prozess kommt eine junge Frau zu Wort, die immer wieder Kaffee mit Beate Zschäpe trank - aber nichts von deren politischen Einstellung wissen will. Eines wird dabei deutlich: In der Umgebung, in der sich die beiden aufhielten, galt vieles als normal, was andernorts nicht ganz so normal ist.

Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger

Manchmal geht es im Prozess um den rechtsradikalen NSU auch um philosophische Fragen. Zum Beispiel um die Frage: Was ist normal? Und man erkennt auch in diesem Prozess, dass gerade der Begriff "normal" reine Definitionssache ist.

An diesem Montag tritt die Zeugin Sindy P. auf, eine Verkäuferin aus Zwickau, 28 Jahre alt, sehr viele Strähnen, sehr lange Fingernägel, lackiert in Neonpink. Die Frau ist deswegen interessant, weil sie mehrere Jahre lang im selben Haus wie Beate Zschäpe gelebt hat und sich die beiden Frauen auch immer wieder trafen, zum Kaffee, auf eine Zigarette. Allerdings sagt die Verkäuferin nun, dass sie zwar ständig geredet hätten, aber sie gar nichts über Beate Zschäpe wisse. Nur dass die irgendwas studiert habe, ihr Freund in der Elektrobranche tätig gewesen sei und sie recht kinderlieb war. Sonst nichts. Dabei hat Zschäpe die Nachbarin auch nach ihrem Auszug aus der Polenzstraße in Zwickau immer wieder besucht und mit deren Tochter gespielt. Aber über was sie geredet haben, daran kann sich die Zeugin partout nicht mehr erinnern. Alles sei "ganz normal" gewesen, Alltagsgeschichten.

Und selbst als herauskam, dass in Zwickau ein Haus in die Luft flog, dass es mutmaßlich von Beate Zschäpe angezündet worden war, da wollen ihre alten Nachbarn nur erschrocken gewesen sein. "Wir konnten uns das alles nicht vorstellen", sagt die Zeugin. "Wir wollten es auch nicht wahrhaben. Wir haben gar nicht negativ über Lisa gedacht, so haben wir sie nicht gekannt." Lisa - unter diesem Tarnnamen trat Beate Zschäpe in ihrer Nachbarschaft auf.

Es ist ein sehr zäher Morgen, an dem die Zeugin immer und immer wieder befragt wird. Bis zu dem Moment, an dem der Anwalt Yavuz Narin der Frau zwei ganz einfache Fragen stellt. "Wie würden Sie die politische Gesinnung Ihres Ehemanns charakterisieren?" - "Normal", sagt die Zeugin. "Wie ist denn Ihre politische Gesinnung?" - "Normal", sagt die Zeugin erneut.

Normal bedeutet für die Zeugin aber offenbar etwas ganz anderes als für Narin. Der Anwalt hat sich den Facebook-Account der Zeugin und ihres Ehemannes angesehen und nun werden die Screenshots davon an die Wände im Gerichtssaal geworfen. Unter ihren Favoriten hat die Zeugin einen Link: "Keine weiteren Asylanten-Heime im Landkreis Meißen!"

Ihr Mann gibt sich noch radikaler. Ein Adler schaut einen auf seiner Seite an, darüber der Schriftzug in altdeutschen Lettern: "Deutsche geben niemals auf, wir kommen wieder!" Auch dem Reimen ist der Gatte geneigt, er hat dort ein Gedicht stehen: "Der Ali hat Kohle, der Hassan hat Drogen, wir Deutschen zahlen und werden betrogen." Anwalt Narin fragt: "Entspricht dieser Duktus der Gesinnung Ihres Mannes"? " Ja", sagt die Gattin. Und dann findet sich auf dem Account des Ehemanns auch noch ein Bild von Paulchen Panther mit einem Herz und einem "I love you". Der Panther ist die Trickfilmfigur, die auch der NSU in seinem Bekennervideo verwandte.

"Haben Sie sich mal mit Ihrem Mann über das Paulchen-Panther-Video unterhalten", fragt der Anwalt. "Nein, weil ich die Meinung nicht teile."- "Was hat er denn für eine Meinung?" - "Er hat eine politische Einstellung, aber dazu soll er sich dann selber äußern", sagt seine Frau.

Sowohl Zschäpes Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft hielten es für unzulässig, dass der Zeugin Fragen nach ihrer politischen Einstellung und der des Ehemanns gestellt werden. Doch dann ließ sich der Richter von anderen Argumenten überzeugen - etwa von jenen der Anwältin Antonia von der Behrens. Die sagte: "Die Zeugin sagt, sie habe eine normale politische Einstellung. Und die Zeugin hat gesagt, sie habe normale Gespräche mit Frau Zschäpe geführt. Vielleicht hat die Zeugin gedacht, das wären normale Gespräche und keine politischen Gespräche."

Eines wird zumindest deutlich: In der Umgebung, in der sich Beate Zschäpe aufhielt, galt vieles als normal, was andernorts nicht ganz so normal ist.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: