Zeugenbefragung im NSU-Prozess:"Jule" spielt "Pogromly"

NSU-Prozess

Während einer Demonstration gegen den Verfassungsschutz Mitte März in München übermalt ein Teilnehmer das Fahndungsbild von Beate Zschäpe (Archivbild).

(Foto: dpa)

Wieder einmal will sich eine Zeugin im NSU-Prozess nicht so recht an die Zeit erinnern, als sie mit zwei der Angeklagten befreundet war. Richter Götzl bleibt hartnäckig. Und bringt einen ungewöhnlichen Spieleabend ans Licht, den die Zeugin mit dem Trio verbracht hat.

Von Tanjev Schultz

Es ist einer dieser Tage im NSU-Prozess, an denen mit Sicherheit jemandem der Kragen platzen wird. Als Zeugin tritt auf: Juliane W., eine 32 Jahre alte Verkäuferin aus Jena. An das meiste, das wichtig sein könnte, hat sie angeblich keine Erinnerung mehr. Alles lange her. Sie sei jung und naiv gewesen. Fragte nicht nach. Machte, was man ihr sagte.

Juliane W. war mal die Freundin des Angeklagten Ralf Wohlleben, dem vorgeworfen wird, den NSU unterstützt zu haben. Juliane W. kannte auch die Freunde ihres Freundes, Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Als die drei untertauchten, sollte sie Sachen aus den Wohnungen holen; es lief eine Razzia gegen das Trio.

Böhnhardt und ein anderer Skinhead fuhren an diesem Tag im Januar 1998 zu Juliane W. an die Berufsschule: "Du musst mitkommen", hätten sie zu ihr gesagt, "es gibt die Befürchtung, dass der Ralf sonst ins Gefängnis muss." Anschließend sei Böhnhardt verschwunden. Juliane W. und der andere Mann seien zunächst zu Wohlleben gefahren. Was mit ihm besprochen wurde und worum es überhaupt ging - das alles, behauptet Juliane W., wisse sie nicht.

"Sie fragen ganz schön scharf!"

"Wir haben den Ralf informiert", sagt die Zeugin. - "Was heißt denn informiert?", fragt Richter Manfred Götzl. Sie habe keine Ahnung. "Klingt nicht überzeugend", sagt Götzl. Er fragt hartnäckig nach. Plötzlich unterbricht ihn Wolfgang Stahl, einer von Zschäpes Verteidigern: "Seien Sie nicht böse, ich würde mir wünschen, dass Sie mal einen BKA-Beamten, der sich nicht erinnern kann, so befragen. Sie fragen ganz schön scharf!"

Diese Intervention lässt sich Götzl nicht gefallen: "Das steht Ihnen nicht zu! Es ist notwendig, dass man nachfragt." Stahl wirft Götzl mangelnde Neutralität vor. Dagegen halten die Bundesanwälte und Vertreter der Nebenklage Götzls Befragung für völlig angemessen.

Würde Götzl nicht nachhaken, könnte sich "hier jeder Zeuge auf den Stuhl setzen und sagen, er könne sich nicht erinnern", sagt die Münchner Anwältin Angelika Lex. Wohllebens Verteidiger kommentiert dies mit den Worten, nun sei wohl die "Jagdsaison auf Zeugen eröffnet". Götzl setzt die Befragung fort. Juliane W. weiß nun nicht mal mehr, ob sie damals, als man sie abholte, Wohlleben wirklich gesprochen habe. Sie erinnert sich, später mit einer Mülltüte Kleidung aus Zschäpes Wohnung geholt zu haben. Auf Fotos erkennt sie die Wohnung wieder, samt der Waffen, die dort hingen.

Deckname: "Jule"

Überraschend erinnert sie sich zudem daran, dass sie 1997 oder 1998 gemeinsam mit dem Trio und Wohlleben das Spiel "Pogromly" gespielt habe, in dem der Holocaust verherrlicht wird. Diese auch für Zschäpe belastende Aussage hatte die Zeugin bei der Polizei noch nicht gemacht. Wo das Trio sich versteckte und ob Wohlleben ihm geholfen hat, will Juliane W. nicht erfahren haben. Der Verfassungsschutz führte sie unter dem Decknamen "Jule" und zahlte ihr Geld, um an das Trio heranzukommen - ohne Erfolg.

Zwei Männer des Verfassungsschutzes seien auf sie zugekommen und hätten wissen wollen, wo das Trio steckte, berichtet Juliane W. vor Gericht. Sie habe es aber nicht gewusst. Dennoch hat sie 100 Mark angenommen, gleich beim ersten Treffen. Ihrem Freund Wohlleben will sie von dem Kontakt zum Verfassungsschutz nichts erzählt haben. Es habe dann noch mindestens ein zweites Treffen gegeben. Das Geld habe sie, da sie damals wenig gehabt habe, gut gebrauchen können.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: