Süddeutsche Zeitung

Zeugen im NSU-Prozess:Zschäpe überall

Mal will sie jemand im Kino in Aachen gesehen haben, mal in einem Garten in Dortmund: Im NSU-Prozess versucht man, der Angeklagten die Nähe zu einem der Tatorte nachzuweisen. Eine überraschend aufgetauchte Belastungszeugin könnte sich aber geirrt haben.

Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger und Tanjev Schultz

Die Männer gingen morden. Beate Zschäpe aber saß zu Hause - als brave Hausfrau, die ihren Männern eine ideale Tarnung verschaffte. So sieht es die Anklage gegen die Frau, die beschuldigt wird, Mittäterin bei zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen und 15 Raubüberfällen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gewesen zu sein. Nie heißt es, sei sie mit an einem Tatort gewesen. Dennoch wird ihr nicht nur Unterstützung der Mörder, sondern auch Beteiligung an den Taten vorgeworfen.

Es gibt bisher nur eine einzige Zeugin, die Zschäpe in der Nähe eines Tatorts gesehen haben will: eine Frau, die in der Kassenschlange eines Edeka-Marktes in Nürnberg wartete und beobachtete, wie gegenüber zwei Männer auf dem Spielplatz standen. Kurz darauf wurde der Imbissbesitzer Ismail Yasar getötet. Direkt nebenan. Und in der Kassenschlange vor ihr, so erklärte die Zeugin später glaubhaft, sei eine Frau gestanden, die sie als Beate Zschäpe identifizierte.

Bis zum vergangenen Montag war dies der einzige direkte Hinweis darauf, dass Zschäpe bei den Morden ihrer Männer auch selbst dabei war. Sonst fehlen solche handfesten Beweise.

Doch am Montag erklärte die Hamburger Anwältin Doris Dierbach, bei ihr habe sich eine Frau gemeldet, die plausibel und glaubhaft berichte, dass sie Zschäpe und ihre Männer Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt auch in der Nähe eines anderen Tatorts gesehen habe - in Dortmund, kurz bevor dort im April 2006 der Kioskbesitzer Mehmet Kubasik getötet wurde.

Das Gericht bat das Bundeskriminalamt, die Frau zu vernehmen und ihre Angaben zu klären. Die Frau erklärte, sie habe 2006 direkt neben einem Grundstück in Dortmund gewohnt, auf dem ein bulliger Skinhead zwei Männern und einer Frau seinen Garten gezeigt habe. Vor dem Grundstück sei auch immer wieder ein Wohnmobil mit dem Kennzeichen von Zwickau oder Chemnitz gestanden. Und nachts habe der Mann, der eine Camouflage-Hose trug, im Garten Grabungen vorgenommen. Die Zeugin konnte sich deswegen so gut erinnern, weil sie die Geschehnisse mit einem "persönlichen Ereignis" in Verbindung brachte.

Das klingt alles sehr plausibel. Doch viele Hinweise von Zeugen klingen plausibel. Immer wieder hat die Polizei Tipps auf Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt bekommen. Mal wollte sie jemand in einem Kino in Aachen gesehen, mal Zschäpe als ehemalige Arbeitskollegin in einer Pizzeria erkannt haben. Nichts davon hat sich bestätigt. 2003 meinte ein Münchner Taxifahrer, Zschäpe sei Bedienung in einem Schwabinger Café gewesen. Besitzer und Bedienungen wurden befragt, Zschäpe war es wohl nicht.

Ausweis eines Nürnberger Tennisklubs

Aber: Im Schutt ihrer abgefackelten Wohnung in Zwickau wurde ein Bibliotheksausweis einer Bücherei in Hannover gefunden und ein Ausweis eines Tennisklubs in Nürnberg. Frau Zschäpe muss ziemlich herumgekommen sein. Die Hinweise auf Zschäpes Reisen und ihre Verbindungen zu den Tatorten sind deshalb so brisant, weil viele Angehörige glauben, der NSU habe nicht abgeschottet gehandelt.

Vielmehr habe er ein Netzwerk an regionalen Unterstützern gehabt, das dem Mordkommando Hinweise gab, welche Objekte für Taten in Frage kämen. Und die Spur nach Dortmund wirkt auch deshalb so plausibel, weil Zschäpe dort einen Brieffreund hat, einen bekannten Neonazi, mit dem sie in ihren Briefen so vertraulich plaudert wie mit einem alten Bekannten.

Als nun am Montag der Hinweis auf Dortmund kam, passte alles zusammen. Die Ermittler fanden das Grundstück, sie fanden auch den Mann, der aussieht wie ein Skinhead. Und ja, sagte er, er trage sehr kurzes Haar und auch öfter eine Camouflage-Hose. Als die Ermittler seine Meldedaten überprüften, fanden sie noch etwas: Seine Söhne hat er Ole Odin und Jone Aryan Thor genannt. Deutlicher kann man seine Gesinnung nicht in Namen fassen. Doch der Mann sagt, er gehöre nicht zur rechten Szene, er habe nur "einen Hang zum Germanischen". Und die Frau, die aussah wie Beate Zschäpe und in seinem Garten stand? Diese Frau gibt es wirklich: Sie ist 1977 geboren, 1,65 groß und hat dunkelbraune, schulterlange Haare - ein Abziehbild von Zschäpe. Nur heißt diese Frau Desirée und ist mit dem Mann verheiratet.

So ist wieder einmal eine Spur ins Leere gelaufen, die sich so vielversprechend anhörte. Am Montag wird die Zeugin vor Gericht gleichwohl befragt werden. Das Gericht aber wird sich weiter an den schon bekannten Mosaiksteinchen abarbeiten müssen, die auf eine Tatbeteiligung Zschäpes hindeuten - es ist auch ohne die Dortmunder Zeugin eine interessante Sammlung. So wurden diese Woche vor Gericht Zeitungsausschnitte gezeigt, die im Brandschutt der Zwickauer Wohnung gefunden wurden. Säuberlich aufgeklebt und mit Nummern versehen, sieht man dort Berichte über den Mord in Hamburg, den Mord in Dortmund, die Bombenanschläge in Köln. Es sind Ausschnitte aus dem Kölner Express, der Hamburger Morgenpost, aus Münchner Lokalzeitungen: "Bub findet Sterbenden. Er wollte sich einen Lutscher kaufen." - "Sprengsatz verletzte 19-Jährige", "Westend-Killer: Der 7. Mord."

Zschäpe hatte Schlüssel für Tresor

Einige dieser Zeitungsausschnitte tauchen später im Bekennervideo des NSU auf. Das wichtigste Indiz für die Ankläger: Auf zwei Zeitungsausschnitten wurde der Fingerabdruck von Beate Zschäpe gefunden - die Staatsanwälte schließen daraus, dass sie sehr genau verfolgt hat, was ihre Männer auf ihren Ausflügen trieben. Sie hat laut Anklage auch die Umschläge mit den Bekennervideos verschickt, als sie vom Selbstmord der beiden Männer hörte. Und die Zeugenvernehmungen haben bisher ergeben, dass sie dabei war, als sich Böhnhardt und Mundlos falsche Pässe beschafften und das Trio eine neue Waffe bekam. Das sagt zumindest der Mitangeklagte Holger G.

Und es gibt noch ein Detail. Der NSU verwahrte in einem Tresor in der Wohnung offenbar besonders wertvolle Beutestücke: Die Dienstwaffe und die Handschellen der Polizistin aus Heilbronn, dem letzten Opfer des NSU. Als Beate Zschäpe die Wohnung anzündete, stand dieser Tresor offen. Sie muss den Schlüssel gehabt haben.

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Quelle:
SZ vom 27.09.2013/mane
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