Zentrum für politische Schönheit:Die Toten kommen, die Minister bleiben fern

A woman pays her respects during a muslim funeral a female refugee at Gatow cemetery in Berlin

Eine Syrerin soll hier beerdigt werden - die Stühle der Ehrentribüne für eingeladene Politiker bleiben leer.

(Foto: REUTERS)

Auf der Flucht von Syrien nach Europa ertrinkt eine Mutter mit ihrem zweijährigen Kind im Mittelmeer. Aktivisten wollen sie in Italien exhumiert und jetzt in Berlin erneut begraben haben. Makabre Inszenierung? Oder bittere Realität?

Von Hannah Beitzer, Berlin, und Paul Munzinger

Die Stühle auf der Ehrentribüne sind leer. Auf ihren Rückseiten stehen die Namen derer, die eingeladen waren zu dieser Beerdigung in Berlin. Namen von Ministern und Staatssekretären, darunter auch der von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Innenminister Thomas de Maizière. Sie sind nicht da, um zu hören, was Imam Abdallah Hajjir sagt, der neben einem großen Erdhügel seltsam klein aussieht. "Wir sind gekommen, um diese Menschen mit Würde zu beerdigen. Das ist das Mindeste, was wir ihnen anbieten können. Das andere - dass sie am Leben bleiben - konnten wir ihnen nicht anbieten."

In dem Sarg, den die Bestattungshelfer kurz darauf in die Erde lassen, soll eine Syrerin liegen, Mutter von vier Kindern. Sie soll wie so viele Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken sein, ebenso ihr zweijähriges Kind. Das Boot soll gekentert sein, als alle Flüchtlinge in Aussicht auf die Rettung durch ein Handelsschiff auf eine Seite gerannt sind. Aktivisten des Zentrums für Politische Schönheit (ZPS) wollen sie aus Italien nach Deutschland überführt haben, um sie hier zu beerdigen.

Haben die Aktivisten aber wirklich Leichen exhumiert, um sie dann einmal quer durch Europa nach Berlin zu fahren? Oder ist das alles nur Show, eine makabre Inszenierung, die der Öffentlichkeit die Folgen europäischer Abschottung mit drastischen Bildern vor Augen führen will? Und ist die Aktion nicht so oder so geschmacklos?

Inszenierung oder Realität?

Die Frau aus der syrischen Hauptstadt Damaskus soll nur der Anfang sein, weitere Beerdigungen folgen. Am Sonntag wollen die Aktivisten vor dem Kanzleramt einen "Friedhof für den unbekannten Einwanderer" einrichten. Stefan Pelzer, der "Eskalationsbeauftragte" des ZPS, beschreibt erschütternde Szenen, die er während der Exhumierung der Leichen erlebt habe. Er spricht von Kühlräumen, in denen die Kühlung ausgefallen ist, wo die Leichen in Plastiksäcken gestapelt werden, der Boden voller Blut.

"Wer glaubt, dieses Ereignis sei eine Geschichte, die wir einfach nur erzählen, der ist an Geschmacklosigkeit nicht zu überbieten", sagt Pelzer. "Diese Frau wurde auf das Boot gezwungen, nicht von Schleusern, sondern von den politisch Verantwortlichen in Europa. Heute ist sie angekommen, aber sie ist nicht mehr am Leben." Der Familienvater und drei weitere Kinder lebten inzwischen auch in Deutschland, sagt Pelzer. Zur Beerdigung kommen konnten sie jedoch nicht. Die zuständige Ausländerbehörde habe die nötige Genehmigung nicht erteilt. Das Zentrum hat ihnen Anonymität zugesichert, nur zu "ausgewählten Medien" werde man Kontakt herstellen. "Diese Menschen kommen aus einem Regime, in dem Medien etwas Schlechtes sind. Die haben Angst vor Ihnen", sagt er den Dutzenden Journalisten, die sich auf dem Friedhof drängen. Man müsse sie außerdem vor Medien wie der Bild-Zeitung beschützen.

Er ermahnt die vielen Fotografen und Kameraleute, die sich um ihn herum drängeln und schubsen: "Darf ich Sie bitten, nicht herumzuschreien? Das ist immer noch ein Friedhof." Doch hinter der Empörung steht natürlich auch das Wissen: Die Aktion funktioniert nur, weil sie ein Spektakel für die Medien ist, die die Parolen des Zentrums weitertragen. Das Zentrum für Politische Schönheit arbeitet nicht umsonst mit schlagzeilenreifen Slogans, die wenig Raum für Zweifel oder Zwischentöne lassen. Pelzer sagt an Kanzlerin Merkel und Innenminister de Maizière gewandt in die vielen Kameras: "Wir beerdigen hier die Opfer Ihrer Abschottungspolitik." Als "Europas Mauertote" bezeichnet das Zentrum sie. Wumms - das sitzt.

Es gibt Hinweise, aber keine Beweise

Ob tatsächlich die syrische Frau in dem Sarg liegt oder nicht, das ist natürlich schwer zu beweisen. Wer allerdings schon einmal mit deutscher Bürokratie zu tun hatte, fragt sich schon, ob eine Beerdigung auf einem deutschen Friedhof einfach mal so inszeniert werden kann. Und da ist ja auch noch diese Geschichte aus Oberbayern. Am Freitagnachmittag hielt die Freisinger Verkehrspolizei auf der A 9 bei Schweitenkirchen einen italienischen Kleintransporter an. Fahrer und Beifahrer wirken auf die Beamten, so teilt es die Polizei mit, nicht fahrtüchtig: erweiterte Pupillen, gerötete Augen. Der Drogenschnelltest sprach bei beiden an, "mindestens auf Kokain und THC", das Ergebnis eines Bluttests steht noch aus.

Im hinteren Teil des Wagens entdeckten die Polizisten zwei weiße Särge. Sie wurden zum Münchner Flughafen gebracht und dort geröntgt. Drogen fanden sich in den Särgen nicht. Dafür zwei Leichen. Am Samstagabend dürften die beiden Italiener ihre Fahrt nach Berlin fortsetzen. Die Papiere, die sie für den Leichentransport benötigen, sind auf Italienisch, aber in Ordnung. Angaben zu den Leichen machte die Polizei nicht - sie ermittele schließlich nur wegen des Verdachts auf eine Drogenfahrt. Erkennbare Verbindungen zwischen dem Transport und dem Zentrum für Politische Schönheit lägen nicht vor, heißt es in Bayern.

Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit sagt hingegen, dass das ZPS den Transport organisiert habe. Es handle sich nicht um die Mutter mit Kind, die jetzt in Berlin beerdigt worden seien, sondern um zwei andere Leichen. Der Drogenverdacht sei nur vorgetäuscht, behauptet Ruch. Bereits im vergangenen Jahr, als die ZPS-Aktivisten Mauerkreuze an die europäischen Außengrenzen brachten, habe man ihre Transporter in Griechenland aufgehalten, unter dem Vorwand, die Fahrer seien betrunken gewesen. Das Verhalten der bayerischen Polizei sei "eine Frechheit", sie habe die Totenruhe missachtet. Die Särge seiern unversehrt, die Durchleuchtung sei "sehr sensibel und absolut verhältnismäßig" gewesen, hält die Polizei dagegen. Und überhaupt: Bestehe die wahre Störung der Totenruhe nicht darin, die Toten aus Italien nach Deutschland zu bringen?

Wenn das Ganze nun eine Inszenierung ist, ist sie auf jeden Fall ziemlich aufwendig. Und öffentlichkeitswirksam, das steht fest. Genau das werfen viele dem Zentrum für politische Schönheit vor: Das Spektakel sei wichtiger als der Inhalt, die propagierten Slogans reichlich schlicht. Imam Abdallah Hajjir sagt hingegen auf der Beerdigung: "Ich habe noch nie ein Problem gehabt mit Werbung für eine gute Sache." Und: "Jeder sollte sich fragen: Was tue ich für diesen Zweck?" Das ist nun eine gute Frage gerade an die, denen die Aktionen des Zentrums für Politische Schönheit zu makaber, aufmerksamkeitsheischend und plakativ sind.

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