Zentralrat der Juden:Die Energie, das Positive zu sehen

Charlotte Knobloch ist nun Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland. Dem Stress und den Ärger, den diese Aufgabe mit sich bringt, sieht sie gelassen entgegen.

Matthias Drobinski und Monika Maier-Albang

Jetzt, da die Fotografen endlich vertrieben sind und Charlotte Knobloch reden soll, da wirkt die elegante Frau gar nicht mehr so selbstbewusst wie sonst.

Charlotte Knobloch, dpa

"Das ist doch eine Ehre": Charlotte Knobloch nach der Wahl.

(Foto: Foto: dpa)

Sie hat die Schultern hochgezogen und dreht den schwarzen Kugelschreiber in ihren Händen, beim Sprechen schaut sie auf den Zettel, der vor ihr liegt; die Mikrofonanlage im Frankfurter Airport Business Center ist auf polternde Männer eingestellt, weshalb die Stimme der neuen Präsidentin des Zentralrats der Juden dünner klingt, als sie in Wahrheit ist.

Links und rechts sitzen Dieter Graumann und Salomon Korn, ihre beiden Vertreter. Wenn sie ihre neue Chefin ergänzen, klingt es manchmal, als soufflierten sie ihr. Es ist, als habe sich die Last eines der schwersten Ämter in der Bundesrepublik gerade tonnenschwer und eiseskalt auf die zierliche Frau gesenkt.

Ob sie glücklich ist, jetzt, wo der siebenköpfige Zentralrat sie einstimmig, bei eigener Enthaltung, gewählt hat? Da lächelt Charlotte Knobloch kurz - ein bisschen Glück darf doch sein.

Dabei hat die Vorsitzende der Münchner Gemeinde das Amt gewollt. Mit jener Energie und Hartnäckigkeit, von der immer die Rede ist, wenn über sie geschrieben wird, strebte sie an, die Vertreterin von knapp 110.000 Juden in Deutschland zu werden.

Kein Leben unter Polizeischutz

1999 schon wollte sie Nachfolgerin von Ignatz Bubis werden und verlor gegen Paul Spiegel. Und als der Ende April starb, galt Salomon Korn, Architekt, Autor, Philosoph und Vorsitzender der Frankfurter Gemeinde, als der künftige Zentralratspräsident.

Doch wie 1999 wälzte Korn seine Unentschiedenheit. Er wollte kein Leben unter extremem Polizeischutz, er hatte das Beispiel des Ignatz Bubis vor Augen, dessen Vermögen zerrann, während er sich für die jüdische Gemeinschaft aufrieb.

Es entspann sich ein merkwürdiger Wahlkampf: Charlotte Knobloch vertrat schon den erkrankten Spiegel, wo es ging, und auf der Trauerfeier in der Düsseldorfer Tonhalle würdigte sie den Verstorbenen wie eine künftige Präsidentin, erinnerte an seine politischen Leistungen - wie den Staatsvertrag mit der Bundesrepublik.

Korn machte sich in dieser Zeit rar, und als er in Düsseldorf über Paul Spiegel sprach, redete er von der Melancholie der Davongekommenen, dem zerbrochenen Urvertrauen, das die jüdische Existenz in Deutschland prägt-ein Psychogramm, ohne jeden werbenden Unterton.

Als die Gestapo kam

Und so sprach immer lauter das biographische Argument für Charlotte Knobloch: Sie hat, 1932 geboren, die Verfolgung durch die Nationalsozialisten bewusst erlebt, Erniedrigungen erfahren, den Schmerz und die Angst, als die Großmutter abgeholt wurde, die dann in Auschwitz umkam, als Gestapomänner den Vater verhafteten, der überlebte.

Es geht dabei in der jüdischen Gemeinschaft nicht einfach um Ehrfurcht und Anerkennung, um Respekt oder gar Mitleid. Die Davongekommenen der Shoah geben Zeugnis vom Leiden und vom Überleben der Kinder Israels, sie sind der lebende Grund des Selbstverständnisses der jüdischen Gemeinden.

Die Energie, das Positive zu sehen

Und nun kandidierte, vermutlich das letzte Mal, eine Überlebende des Judenmordes. Wer wollte sich da noch gegen sie stellen?

Charlotte Knobloch, ddp

"Das ist doch eine Ehre": Charlotte Knobloch nach der Wahl mit ihren Vertretern Dieter Graumann (links) und Salomon Korn.

(Foto: Foto: ddp)

Sie hat alles miterlebt, sie kann davon erzählen, den jungen Gemeindemitgliedern, den Zuwanderern, den Nichtjuden. Von der Angst der Sechsjährigen in der so genannten Kristallnacht. Davon, wie Fritz Neumann, ihr Vater, seines bürgerlichen Lebens als Rechtsanwalt beraubt wurde, wie die Mutter sich scheiden ließ, weil sie dieses Leben nicht mehr aushielt.

1942 bat der Vater Zenzi Hummel, eine ehemalige Hausangestellte des Onkels, für seine Tochter zu sorgen. Die nahm das Mädchen mit auf den Bauernhof ihrer Eltern in Herrieden in Mittelfranken, nannte sie Lotte Hummel und verriet auch nichts, als das Dorf über ihr augenscheinlich uneheliches Kind tuschelte.

Eine Ehrung sollte Kreszentia Hummel später ablehnen - sie fürchtete Schwierigkeiten.

Nach dem Krieg absolvierte Charlotte Neumann die Handelsschule und arbeitete in der Kanzlei des Vaters, sie heiratete den Kaufmann Samuel Knobloch und wollte eigentlich weg aus Deutschland, dem Land der Mörder.

Unerbittlicher Charme

Doch dann war sie schwanger und blieb in München, sie zog drei Kinder groß, und als die selbstständig waren, engagierte sie sich in der Münchner jüdischen Gemeinde, die ihr Vater wieder begründen geholfen hatte.

Theologisch konservativ, wie sie ist, fragte sie erschrocken einige Rabbiner, als sie 1985 zur Vorsitzenden der Gemeinde gewählt werden sollte - die aber sagten einstimmig ja. So wurde sie die erste Frau an der Spitze der zweitgrößten jüdischen Gemeinde Deutschlands; eine Rabbinerin zu berufen, könnte sie sich allerdings auch heute noch nicht vorstellen.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist sie nun also das Gesicht der Münchner jüdischen Gemeinde, ausgestattet mit unerbittlichem Charme, dem Kritiker selten etwas entgegenzusetzen haben. Und mit schier unglaublicher Energie: Niemand hat geglaubt, dass es in München je wieder ein repräsentatives jüdisches Gemeindezentrum geben würde, mitten in der Stadt am Jakobsplatz, gebaut für 60 Millionen Euro.

Niemand - außer Charlotte Knobloch. Sie überzeugte die zweifelnde Gemeinde, überredete die Kommunalpolitiker, sammelte auf "Schnorrertouren", wie sie sagt, unermüdlich Sponsoren und Spender. Am 9. November soll es eröffnet werden.

Ausgepackte Koffer

"Die Präsidentin" nennen sie Charlotte Knobloch in München. Als Frau muss sie in der orthodoxen Synagoge an der Münchner Reichenbachstraße auf der Empore sitzen. Dort ist die Balustrade am vergangenen Samstag geschmückt mit Blumengebinden und Girlanden aus Blättern, es ist Schawuot, das jüdische Erntedankfest.

An die 60 meist ältere Damen haben sich im Obergeschoss versammelt. "Die Präsidentin", im beigefarbenen Kostüm, geht durch die Reihen, grüßt hier eine Frau, dort eine Mutter, die ihr Baby im Arm hält. Charlotte Knobloch hält seit mehr als 20 Jahren die Gemeinde zusammen.

Herzlich, offen und direktist sie, und dafür schätzt ihre Gemeinde sie. Das Vorwärtsdrängende allerdings hat ihr auch schon Probleme gebracht: Als Rednerin verhaut sie sich manchmal, und unvergessen ist das Interview, das sie im Jahr 2000 dem rechtsnationalen Blatt Junge Freiheit gab.

Ob sie keinen Missbrauch des Holocaustgedenkens sehe, "Stichwort: Vorzeigejude", lautete eine von vielen Fangfragen. Und sie antwortete brav: Ja, sie sehe in manchen "Philosemiten" eine "sehr gefährliche Gruppe" - und schon hatte die Junge Freiheit eine "Vorzeigejüdin".

Seitdem hält sich die Skepsis im Zentralrat: Wird sie das richtige Wort treffen, wo es auf jede Nuance ankommt? Vor den Gummilinsen der Kameras im Airport-Center macht sie keinen Fehler, bleibt auf sicherem Terrain. Die Patriotismusdebatte wolle sie begleiten, sich um die Zuwanderer kümmern, den Zentralrat als Vertretung aller Juden bewahren, den Dialog mit dem Islam suchen.

Den Antisemitismus des iranischen Präsidenten hält sie für vergleichbar mit dem der Nazis. Sie will das Positive sehen, sagt sie noch: dass schon so viel geschehen ist bei der Integration der Zuwanderer, dass es zwar keine Normalität, aber doch ein weit gehend gutes Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden in Deutschland gibt, "ich habe meine Koffer wieder ausgepackt".

"Das ist doch eine Ehre"

Ob sie sich als moralische Instanz in Deutschland sieht, als die sich Ignatz Bubis verstand? So richtig nicht, lautet ihre etwas unsichere Antwort, und schon springt ihr Salomon Korn bei und sagt, dass man, ob man wolle oder nicht, dieser Rolle nicht ganz entkomme.

Zu Hause in München, im Café Bracha bei der Synagoge, nimmt derweil das "jüdische Radio" seinen Betrieb auf, wie Moshe Shalom, der Wirt, es formuliert. Entweder klingelt das Handy, oder Moshe und seine Frau Lea rufen jemanden aus der Gemeinde an.

"Sie ist's!", ruft Lea, die auf Russisch telefoniert, Moshe auf Hebräisch und Deutsch: "Hol' deine Frau ans Telefon, ist wichtig!" Und dann der Jubel, die Begeisterung. In München hat Knobloch die Herzen längst gewonnen, und hier ist sie am Nachmittag auch sicherer.

Oberbürgermeister Christian Ude hat den Terminkalender umgeschmissen, sitzt neben ihr, lobt sie und ist stolz auf die Ehrenbürgerin der Stadt. Knobloch erzählt gut gelaunt, wie ihre Tochter, eine Ärztin, die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen hat: Die Mutter solle sich doch den Ärger und den Stress nicht antun. Wieso Stress, sagt Knobloch da: "Das ist doch eine Ehre."

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