Für Bundeskanzler Olaf Scholz beginnt seine dreitägige Zentralasien-Reise am Sonntagnachmittag mit einem touristischen Höhepunkt: Der usbekische Präsident Schawkat Mirsijojew führt ihn in Samarkand über den Registan, der von der Unesco als Weltkulturerbe eingestuft ist. Der Platz, historisches Zentrum der Karawanserei an der Seidenstraße, ist umrahmt von drei Medresen, islamischen Hochschulen. Die prächtigste von ihnen, die Tilla-Kori-Medrese mit ihrer türkisfarbenen Kuppel, erbaut 1646 bis 1660, ist mit deutscher Unterstützung saniert worden. Nun besichtigt der Kanzler sie und die reich mit Gold verzierte Moschee, von der sie ihren aus dem Persischen stammenden Namen hat.
Es war der Wunsch der usbekischen Seite, den ersten Besuch eines deutschen Kanzlers seit 22 Jahren hier auszurichten, nicht in der Hauptstadt Taschkent. Die Regierung will den Tourismus fördern, in den vergangenen Jahren sind hier neue Hotels entstanden, eine ganze Retortenstadt. Aber natürlich haben Usbekistan, Kasachstan – die zweite bilaterale Station der Reise an diesem Montag – sowie die drei anderen zentralasiatischen Staaten Kirgisistan, Tadschikistan und Turkmenistan mehr zu bieten, was sie als Partner für die Bundesregierung interessant macht.
400 000 Menschen lernen Deutsch
Sie bergen Rohstoffe, nicht nur Gas und Öl, mit dem Kasachstan jetzt statt Russland die Raffinerie PCK Schwedt beliefert. Usbekistan verfügt über große Erzvorkommen, auch seltene Erden gibt es hier. Diese bezieht Deutschland bislang fast ausschließlich aus China; Berlin will die Abhängigkeit nun verringern. Aber auch beim Ausbau der Infrastruktur, der Energieversorgung oder der Gesundheitssysteme bieten sich deutschen Unternehmen Chancen; eine große Wirtschaftsdelegation begleitet Scholz.
In Samarkand wie in Kasachstans Hauptstadt Astana sollen eine Reihe von Absichtserklärungen und Abkommen unterzeichnet werden, bevor Scholz sich am Dienstag noch mit den Präsidenten aller fünf Länder trifft. Mit Usbekistan besiegelte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ein Migrationsabkommen. Probleme mit Abschiebungen gibt es kaum, die Anwerbung von Fachkräften steht im Mittelpunkt. Die Voraussetzungen sind gut: 400 000 Menschen lernen Deutsch.
Auch bei einer heikleren Migrationsfrage erhofft sich Deutschland Unterstützung: Usbekistan grenzt an Afghanistan. Die Bundesregierung betont, dass sie nach dem von Katar organisierten Charterflug mit 28 Straftätern von Leipzig nach Kabul weitere Abschiebungen vornehmen wolle. Dafür führe man Gespräche mit Schlüsselpartnern in der Region – Usbekistan zählt zweifellos dazu. In dem am Abend unterzeichneten Abkommen ist eine Passage enthalten zur „Durchbeförderung Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser“. Sofern Afghanistan die Rückübernahme seiner Staatsangehörigen zusagt, wären damit künftig Abschiebungen in das Land auch über Usbekistan möglich. Nach möglichen Abschiebungen nach Afghanistan gefragt, verwies der Kanzler lediglich auf vertrauliche Gespräche
Wie der Spiegel berichtet, haben Vertreter des Bundesinnenministeriums bereits Ende Mai in Usbekistan mit der Regierung über verschiedene Wege verhandelt, wie Afghanen über Usbekistan zurückgeführt werden könnten. Die usbekische Seite habe sich damals grundsätzlich dazu bereiterklärt, die Formalitäten mit den Taliban zu übernehmen, wenn das Abkommen einmal geschlossen sei. Deutschland unterhält keine Beziehungen zu dem radikalislamischen Regime.
Die Staaten Zentralasiens können Putin nicht offen entgegentreten
Schon seit etlichen Jahren pflegt Deutschland von den großen europäischen Staaten das engste Verhältnis zu den Ländern Zentralasiens. Deren Interesse an Zusammenarbeit erklärt sich auch aus ihrer geopolitisch schwierigen Lage zwischen Russland und China. Um gegen die beiden Großmächte ihre Unabhängigkeit behaupten zu können, suchen die einstigen Sowjetrepubliken neue Partner im Westen. Deutschland und die Europäer können zwar absehbar weder Moskaus politischen Einfluss egalisieren, noch Chinas Vormachtstellung in den Wirtschaftsbeziehungen – zumindest aber schaffen sie ein Gegengewicht.
Thema wird aber auch die Umgehung von Sanktionen gegen Russland sein. Die Handelsströme nach Zentralasien sind stark gewachsen, seit Kremlherrscher Wladimir Putin den Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat. Ein guter Teil davon erklärt sich damit, dass Unternehmen regionale Vertriebsstrukturen von Russland etwa nach Kasachstan verlegt haben. Allerdings haben die Nachrichtendienste auch Hinweise darauf, dass Moskau versucht, militärisch relevante Güter wie Chips zu beschaffen. Die zentralasiatischen Staaten sehen sich selber durch Putins Großmachtansprüche bedroht, können aber dem übermächtigen Nachbarn nicht allzu offen entgegentreten.
Deutschland hat im vergangenen Jahr bereits beim 5+1-Gipfel in Berlin eine strategische Regionalpartnerschaft ins Leben gerufen. In diesem Format sollen Probleme angegangen werden, die nur gemeinsam gelöst werden können – etwa das Management von Wasserressourcen, die in der Region Zentralasien immer knapper werden, oder auch Klimaschutz. Bei der Entwicklung erneuerbarer Energien und der Produktion von Wasserstoff sieht die Bundesregierung ebenfalls großes Potenzial.