Süddeutsche Zeitung

Zentralafrikanische Republik:Nachbar gegen Nachbar

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In der Zentralafrikanischen Republik verschärft sich der Konflikt. Siedlungen werden niedergebrannt, Lynchmorde zeugen vom brutalen Hass. Und die Zukunftsprognosen sind düster.

Von Johannes Kuhn

Ein Land bricht auseinander, jeden Tag ein bisschen mehr. Nachbarn fliehen vor Nachbarn, Hunderttausende sind es inzwischen. Häuser, ja ganze Siedlungen brennen. Der Mob zieht durch die Straßen. Von Lynchmorden ist fast täglich zu hören. Christen gegen Muslime, Muslime gegen Christen: Das ist die Realität in der Zentralafrikanischen Republik, obwohl es ein zutiefst politischer Konflikt ist und kein Religionskrieg.

Auf der Flucht

Am Wochenende flohen Tausende Muslime aus der Hauptstadt Bangui, nachdem in den vergangenen Tagen 'christliche' Bürgermilizen der "Anti-Balaka" ("Gegen die Macheten") Geschäfte und Häuser angezündet hatten. Die Laster, auf denen sich Dutzende Menschen befanden, wurden Augenzeugenberichten zufolge angegriffen - ein Mann, der von einem Transporter fiel, gelyncht.

Täter und Opfer

Zu Mördern werden seit Monaten Menschen auf beiden Seiten des Konflikts. "Er war ein Christ, der durch eine muslimischen Enklave ging, um Holz zu verkaufen. Dieser Tage genügt das, um in der Zentralafrikanischen Republik zu sterben." So beginnt der Bericht des Washington-Post-Journalisten Sudarsan Raghavan, der am Sonntag Zeuge eines weiteren Lynchmords wurde.

Verwandte beschreiben, wie einem Mann namens Polin Pumandele die Kehle "wie einer Kuh" durchgeschnitten wurde. In der vergangenen Woche wurden mehrere Ausländer Zeuge, wie Soldaten einen Mann lynchten, weil sie ihn der Mitgliedschaft der muslimischen Séléka-Rebellen verdächtigten. Der Fall könnte ein Nachspiel vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag haben.

Inzwischen sollen etwa 2000 Menschen beider Konfessionen in dem Konflikt ums Leben gekommen sein - da die Situation außerhalb Banguis aber schlecht dokumentiert ist, könnte diese Zahl jedoch in Wahrheit höher liegen.

Wie alles begann

50 Prozent der 4,5 Millionen Zentralfrikaner sind Christen, 15 Prozent Muslime. Religiöse Konflikte ergaben sich daraus allerdings lange nicht. Als die muslimische Rebellen-Allianz der Séléka im März 2013 die Regierung stürzte, änderte sich dies: Trotz der offiziellen Auflösung der Gruppe häuften sich Berichte über willkürliche Morde, Vergewaltigungen und Plünderungen durch Rebellen-Einheiten. Als Gegenbewegung entstanden die christlichen "Anti-Balaka"-Milizen, die ihrerseits wiederum brutal gegen Muslime vorgingen.

Überforderte ausländische Soldaten

5000 Soldaten der Afrikanischen Union (AU) und 1600 französische Soldaten sind im Rahmen einer UN-Mission vor Ort. Sie konnten bislang verhindern, dass das Morden in der Zentralafrikanischen Republik ein Außmaß wie der Genozid 1994 in Ruanda annimmt. Die Entwaffnung von Séléka-Einheiten durch die Franzosen sorgte allerdings dafür, dass nun die christlichen Militzen die Oberhand haben. Die AU-Eingreiftruppe konnte Massaker verhindern, ist aber insgesamt überfordert. Zudem gab es zwischenzeitlich Zweifel daran, ob die AU-Soldaten aus dem Tschad tatsächlich neutral agieren.

Die Afrikanische Union soll ihre Truppen bald aufstocken, bis dahin sollen 500 EU-Soldaten in Bangui stationiert werden - allerdings beschränkt sich ihre Aufgabe wahrscheinlich auf den Schutz des Flughafens, auf dem etwa Hunderttausende Flüchtlinge untergebracht sind.

Ob eine vierstellige Truppenzahl ausreichend ist, lässt sich derzeit noch nicht absehen.

Die Hoffnung ist weiblich

Nachdem der durch die Séléka an die Macht gekommene Präsident Michel Djotodia im Januar dieses Jahres auf Druck der Nachbarländer zurücktrat, wählte das Parlament Banguis Bürgermeisterin Catherine Samba-Panza zur Übergangspräsidentin. "Die Religionsgemeinschaften haben hier immer friedlich zusammengelegt, aus politischen Gründen wollen einige den Konflikt verzerrt als den von Christen gegen Muslime darstellen ", betont sie immer wieder.

Die 58-Jährige gilt als integere Korruptionsgegnerin und konnte auch in Einzelfällen des gegenwärtigen Konflikts vermitteln - Kontrolle über die "Anti-Balaka" hat sie jedoch nicht. Entsprechend schwer dürfte es werden, dem Ziel einer Entwaffnung der verschiedenen Banden näher zu kommen und für so viel Stabilität zu sorgen, dass 2015 Wahlen stattfinden können.

Eine düstere Prognose

Peter Bockaert ist Direktor der Abteilung der Notfälle bei Human Rights Watch. Er hält sich bereits seit einiger Zeit in der Zentralafrikanischen Republik auf und gilt als Kenner der Lage vor Ort, der aktuelle Entwicklungen twittert. Seine Prophezeiung ist allerdings düster "In wenigen Tagen oder Wochen werden die letzten Muslime das Land Richtung Tschad verlassen haben", sagte er in einem Gespräch mit der BBC. Die verlassenen Häuser in Bangui seien inzwischen niedergebrannt, abgerissen oder bereits mit dem Namen derjenigen versehen, die sie nun für sich reklamieren.

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