Zensus 2011: Stichtag zur Volkszählung:Verwirrung statt Widerstand

Vor mehr als 20 Jahren kam es zu massiven Protesten. Ganz anders an diesem Montag, dem Stichtag zur ersten großen Volkszählung seit 1987: Zwar verzeichnen die Landesämter für Statistik mehr Anrufer als sonst, doch der Widerstand hält sich in Grenzen. Dabei warnen Kritiker, dass durch den Zensus eine Datenbank von unbekanntem Ausmaß entstehen könnte.

Kathrin Haimerl

Aufruf zum Widerstand gegen staatliche Datensammelei, wütende Proteste gegen den "gläsernen Bürger": Vor mehr als 20 Jahren sorgte die Ankündigung einer Volkszählung für einen Massenaufstand in Deutschland. Es kam zur ersten Sammelklage beim Bundesverfassungsgericht. Am Ende stand ein neues Grundrecht, das Recht auf "informationelle Selbstbestimmung".

Volkszählung 2011

Der 9. Mai ist Stichtag für den Zensus 2011: Von diesem Montag an sind Volkszähler unterwegs, die ausgewählte Bürger unter anderem zu ihren Lebensumständen befragen.

(Foto: dpa)

Deutschland, am 9. Mai 2011: Es ist der Stichtag für die erste Volkszählung seit 1987. Doch von Proteststürmen keine Spur. Zwar ist die Zahl der Anrufer bei den Landesämtern für Statistik sehr viel höher als sonst. Dies bestätigen die Sprecher in Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz auf Anfrage von sueddeutsche.de. Aber in den Behörden ist man entspannt: Man habe die Anfragen bislang gut bewältigen können, sagt etwa der Sprecher des Bayerischen Landesamts für Statistik und Datenverarbeitung. Sie drehten sich insbesondere um praktische Fragen. Zum Beispiel, ob Betroffene das Porto für die Rücksendung des Fragebogens ans Landesamt für Statistik zahlen müssten. Antwort: Ja, sie müssen. Und dafür haben sie von diesem Montag an zwei Wochen Zeit.

Auch die Anrufer werden gezählt

Auch bei der Hotline des Bundesamts für Statistik in Wiesbaden ist an diesem Montag der Andrang groß: Bereits am Morgen habe man in nur eineinhalb Stunden 1500 Anrufer gezählt, sagt Pressesprecherin Nadine Jakobs. Zum Vergleich: Am vergangenen Freitag waren es den ganzen Tag über lediglich 800.

Allerdings steht der Protest nicht im Mittelpunkt: Die Mehrzahl der Bürger wolle sich erkundigen, wann sie ihren Fragebogen zugeschickt bekämen. "Viele haben vom Nachbarn erfahren, dass dieser den Bogen schon erhalten habe und wollen nun wissen, wann sie ihn zugesandt bekommen", so Jakobs.

Ganz anders die Situation in den achtziger Jahren: Unter anderem die Grünen riefen zum offenen Boykott auf. Die Bürger sollten ihre Fragebögen unausgefüllt zurückschicken. 2011 dagegen würden die Anrufer sehr schnell einlenken, wenn man sie auf ihre Auskunftspflicht hinweise, erzählt Roland Dolansky von der Erhebungsstelle der Stadt München, der dort bereits bei der Volkszählung 1987 tätig war. "Heute haben wir eine andere Situation", sagt er und begründet dies mit dem Internet, wo die Bürger sehr viele persönliche Daten von sich preisgeben würden. Zudem habe es sich 1987 um eine 100-prozentige Erfassung gehandelt.

Beim Zensus 2011 hingegen handele es sich um stichprobenartige Befragungen: In Deutschland wird etwa ein Drittel der mehr als 80 Millionen Einwohner befragt. Auskunft geben müssen sämtliche Immobilienbesitzer - und zwar unter anderem über Alter und Größe ihrer Wohnung oder ihres Hauses. Betroffen sind außerdem alle Bewohner sogenannter Sonderbereiche. Dazu zählen so unterschiedliche Einrichtungen wie Gefängnisse, psychiatrische Anstalten, Flüchtlings- und Erziehungsheime sowie Alten- und Studentenwohnheime. Weitere zehn Prozent der Bevölkerung werden per Zufallsprinzip ausgewählt und detailliert zu ihren Lebensumständen gefragt (die wichtigsten Fragen und Antworten zum Zensus 2011 finden Sie hier).

"Es kann sich keiner sicher sein, dass er nicht betroffen ist", sagt deshalb Volkszählungsgegner Werner Hülsmann vom Arbeitskreis Zensus. Der Grund: Mit dem Zensus 2011 werden ohne Einwilligung der Betroffenen Daten aus verschiedenen Quellen zusammengeführt, unter anderem aus Melderegistern, der Bundesagentur für Arbeit und von öffentlichen Arbeitgebern. Sie sollen dem Staat eine bessere gesellschaftliche Planung ermöglichen - und zum Beispiel klären, ob die Zahl der Einwohner mit der gemeldeten Zahl übereinstimmt.

Auskunft ist Pflicht

Zu jedem Bürger wird also ein Datensatz angelegt. Der Arbeitskreis Zensus bemängelt, dass dadurch eine "noch nie dagewesene Datenbank" entstehe, die über einen Zeitraum von vier bis sechs Jahren "nicht anonymisierte Daten über die gesamte Bevölkerung sowie ihre Beziehung untereinander speichert", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Volkszählungsgegner. Im vergangenen Jahr haben die Aktivisten des Arbeitskreises unter anderem deshalb eine Verfassungsbeschwerde eingereicht, die 13.000 Mitunterzeichner gefunden hat. Allerdings wurde die Sache vor dem Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung zugelassen.

Das Bundesinnenministerium weist die Sorgen der Kritiker zurück. Bei der internen Verarbeitung hätten die zuständigen Mitarbeiter jeweils nur auf Teile der Daten Zugriff, beteuert ein Sprecher. Ähnlich äußert sich das Statistische Bundesamt: Kein Befragter müsse Nachteile befürchten, wenn er zum Beispiel nicht korrekt an seinem Wohnort gemeldet sei, sagt Präsident Roderich Egeler auf einer Pressekonferenz in Berlin. Die Daten würden nicht an Finanz-, Sozial-, Einwohnermeldeämter oder Sicherheitsbehörden gegeben. Namen, Geburtsdaten und Geburtsorte seien nur Hilfsmerkmale für die Auswertung und würden nach spätestens vier Jahren gelöscht, versichert Egeler.

Darüber hinaus kritisieren Gegner, dass in der Erfassung auch Fragen zum Migrationshintergrund, zur Religionszugehörigkeit und zum persönlichen Glauben gestellt werden. Die Initiatoren verteidigten sich damit, dass diese Daten unentbehrliche Grundlage für viele politische und wirtschaftliche Entscheidungen darstellen würden. Sie erhofften sich zudem wichtige Erkenntnisse zur Gestaltung der Integrationspolitik. Die Angabe der Bürger zu Fragen der Glaubenszugehörigkeit ist freiwillig.

Anders bei den restlichen Daten, hier besteht Auskunftspflicht. Wer den Fragebogen in den kommenden zwei Wochen nicht zurückschickt, muss mit einem Zwangsgeld rechnen, erklärt die Sprecherin des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden. Die Höhe liegt - abhängig vom jeweiligen Bundesland - bei 200 Euro aufwärts. Wer nun glaubt, mit der Bezahlung habe sich auch die Auskunftspflicht erledigt, irrt: Betroffene müssen ihre Daten trotzdem preisgeben. Wer sich weiter weigert, dem droht ein Bußgeldverfahren vor Gericht.

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