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Zensur in China:Worüber man in China nicht reden darf

  • Auf dem Nationalen Volkskongress haben sich mehr als 3000 Delegierte getroffen, die die von der Kommunistischen Partei ausgearbeiteten Vorlagen abgenickt haben.
  • Das Thema Umwelt beherrscht die öffentliche Debatte - und das färbt auch auf den Volkskongress ab. Parteichef Xi Jinping verspricht, "mit eiserner Faust" gegen Umweltverschmutzer vorzugehen.
  • Die Zensoren versuchen, viele weitere Themen aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit zu nehmen.

Von Kai Strittmatter, Peking

Jedes Jahr einmal trifft sich in Peking der Nationale Volkskongress (NVK) zur Vollversammlung. Die mehr als 3000 Delegierten sind nicht wirklich vom Volk gewählt, sondern von der Kommunistischen Partei auserkoren, die von ihr im Vorfeld ausgearbeiteten Vorlagen abzunicken. Noch nie in seiner Geschichte hat der NVK eine Gesetzesvorlage abgelehnt. Dennoch geben die Debatten und die Reden von Premier und Ministern jedes Jahr einen interessanten Einblick in die politische Agenda von Partei und Regierung fürs kommende Jahr.

Gleichzeitig ist die Tagung des NVK eine Zeit höchster Alarmbereitschaft für Sicherheitskräfte und Zensoren. Der diesjährige Kongress geht am Sonntag zu Ende, im Folgenden lassen wir ihn Revue passieren anhand der Begriffe und Themen, die Pekings Internetzensoren während der vergangenen zwei Wochen löschen und sperren ließen. Quelle für die Zensuredikte ist das in den USA betriebene Portal "China Digital Times", die gesperrten Begriffe und Posts findet man auf Webseiten wie "Free Weibo" und "Greatfire.org".

"Unterm Firmament"

Das ist der Titel eines 103 Minuten langen investigativen Dokumentarfilms der ehemaligen CCTV-Journalistin Chai Jing über die Ursachen des katastrophalen Smogs in Chinas Städten. Unter anderem enthüllt der Film Mauscheleien bei Regierungskommissionen und zeigt, wie Behörden im ganzen Land längst bestehende Umweltgesetze ignorieren.

Der Film ging am 28. Februar online, auch mit Unterstützung der Webseite der Volkszeitung. Am 1. März war er Thema Nummer eins in allen sozialen Netzwerken wie dem Mikrobloggingdienst Weibo und dem Messagingdienst Weixin. Am 3. März verschickten Zensoren landesweit Anweisungen. Webseiten und soziale Medien im ganzen Land wurden angewiesen, "sämtliche Berichterstattung und Kommentierung" zu dem Film "sofort einzustellen". Der Grund: Es gelte eine "vorteilhafte Atmosphäre" für den am 5. März beginnenden Nationalen Volkskongress zu schaffen. Am 7. März wird auch der Film selbst gelöscht, bis dahin haben ihn 200 Millionen Menschen gesehen.

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Eine fortlaufend aktualisierte Liste der in China gesperrten Begriffe stellt das Portal "China Digital Times" online zur Verfügung.

Das Thema Umwelt beherrscht die öffentliche Debatte, das färbt auch auf den Volkskongress ab. Vor Delegierten verspricht Partei- und Staatschef Xi Jinping, "mit eiserner Faust" gegen Umweltverschmutzer vorzugehen. Der Energieminister verspricht den weiteren Ausbau von Wind- und Sonnenenergie, der Premier eine baldige Senkung des Kohleverbrauchs. China verbraucht heute so viel Kohle wie der Rest der Welt zusammen.

Offenbar hat die Partei erkannt, dass sie dem Thema höchste Priorität einräumen muss, gleichzeitig fürchtet sie die Empfehlungen, zu denen Reporterin Chai Jing in ihrem Film kommt: Transparenz und Bürgerbeteiligung.

Xi Dada

Xi Dada heißt "Onkel Xi" und wird in Staatsmedien und im Internet oft als Spitzname für KP-Chef Xi Jinping benutzt, oft als Teil eines wachsenden Personenkults um Xi. Xi werden zunehmend Comics, Verse, Gemälde und Lieder ("Xi Dada liebt Peng Mama") gewidmet. Ein Phänomen, das es in China zuletzt vor vielen Jahrzehnten unter Xis Vorgänger Mao Zedong gab, auch wenn der Personenkult um Xi mehr ferngesteuerte Popkultur denn Politreligion ist. Die SZ berichtete über den Personenkult ebenso wie zuletzt die New York Times.

In China selbst darf der Personenkult zwar betrieben, aber offenbar nicht unabhängig reflektiert werden: Am 9. März versandten die Behörden die Anweisung, jeden Hinweis auf ausländische Artikel zu dem Phänomen "energisch zu blockieren und zu löschen".

Messerattacke

Am 6. März attackieren mindestens zwei Angreifer willkürlich Passanten auf dem Bahnhof der Stadt Guangzhou, mindestens neun Menschen werden verletzt, einer der Täter wird erschossen. Noch am selben Tag erreicht die Redaktionen die Anweisung der Zensoren, die online zirkulierenden Bilder von dem Angriff "ohne Ausnahme" zu löschen. Grund: "Diese Art negativer Nachrichten ist während der Tagungen in Peking auf keinen Fall zu fördern." Der Vorfall erinnerte Beobachter an einen Angriff auf dem Bahnhof der Stadt Kunming vor genau einem Jahr, damals töteten messerschwingende Attentäter 39 Menschen. Die Behörden gaben hernach bekannt, es habe sich um einen Terroranschlag uigurischer Täter gehandelt.

Die Spannungen in Chinas Westprovinz Xinjiang, Heimat der mehrheitlich muslimischen Uiguren, haben in den vergangenen zwei Jahren zugenommen. Tödliche Anschläge uigurischer Attentäter häufen sich. China hat einen "Krieg gegen den Terror" ausgerufen, dabei kommt es offenbar zunehmend zu Repressalien gegen die uigurische Bevölkerung. Erst in dieser Woche klagte der UN-Berichterstatter für Religionsfreiheit, Heiner Bielefeldt, es gebe "verstörende Berichte" von Einschüchterung und Belästigung von gläubigen Uiguren. Die Missachtung der Glaubensfreiheit in Xinjiang sei "ein großes Problem". Im Moment ist der NVK dabei, Chinas erstes Antiterrorgesetz auszuarbeiten. Bürgerrechtler kritisieren, das Gesetz definiere auch "friedliche Kritik" an der Regierung als Terror.

Frauenrechtlerinnen

Am 8. März war der internationale Frauentag. Im Netz gab es viel Applaus für die Tatsache, dass der NVK das erste Gesetz vorbereitet, das sich der häuslichen Gewalt annehmen soll. Das Thema war in der konservativen chinesischen Gesellschaft lange tabu, wird aber nach einigen prominenten Fällen erstmals breiter diskutiert. Das Gesetz soll im August vorgestellt werden. Gleichzeitig wurden auf Weibo am 8. März sämtliche Posts gelöscht, die auf die Festnahme fünf junger Frauenrechtlerinnen aufmerksam machen wollten. Wu Rongrong, Li Tingning, Zheng Churan, Wei Tingting und Wang Man, alle unter 30 Jahre alt, wurden am 6. und 7. März abgeführt, weil sie in Guangzhou, Hangzhou und Peking Aktionen vorbereitet hatten, mit denen sie gegen sexuelle Belästigung demonstrieren wollten. Die Polizei wirft ihnen "die Störung der öffentlichen Ordnung" vor, bis heute durfte keine der fünf einen Rechtsanwalt sehen.

Prinz Qing

Prinz Qing Yikuang war ein hoher Beamter unter der Mandschu-Kaiserin Cixi, der Regierungsposten verkaufte und das damit verdiente Geld auf der britischen HSBC-Bank hortete. Die zentrale Disziplinarkommission - die Korruptionsjäger der KP - stellte am 25. Februar einen Artikel über Prinz Qing auf ihre Webseite, was unter Lesern sofort wilde Spekulationen auslöste, welcher hohe Kader mit dieser historischen Analogie gemeint sein könnte. Sprich: wer also der nächste "Tiger" ist, der der laufenden Antikorruptionskampagne ins Netz gehen soll. Viele tippten auf das ehemalige Politbüromitglied Zeng Qinghong. Mittlerweile sind viele Kombinationen von Zengs Namen und dem Prinzen als Suchwörter gesperrt. Gleichzeitig teilte der Oberste Staatsanwalt dem Volkskongress mit, dass man im vergangenen Jahr mehr als 28 Beamte vom Rang eines Ministers wegen Korruption untersucht und ihre "illegal erworbenen Reichtümer" beschlagnahmt habe.

Die New York Times rechnete derweil auf der Basis der Reichen-Rangliste des in Shanghai veröffentlichten "Hurun Report" das Vermögen der Abgeordneten von Volkskongress und Politischer Konsultativkonferenz zusammen und kam auf eine Summe von 463,8 Milliarden Dollar. Insgesamt 18 der chinesischen Abgeordneten besitzen demzufolge jeweils alleine ein größeres Vermögen als alle 535 US-Kongress-Abgeordneten zusammen.

Dalai Lama

Der 15. Dalai Lama, spirituelles Oberhaupt der Tibeter, wird im Juli 80 Jahre alt. Mehrmals hatte er zuletzt angedeutet, er könnte vielleicht der letzte Dalai Lama sein, die Praxis der Wiedergeburt mit ihm verschwinden - offenkundig aus Angst, Chinas Behörden könnten nach seinem Tod einen ihnen genehmen neuen Dalai Lama installieren. Der Zorn chinesischer Funktionäre über diese Aussage des Dalai Lama entlud sich in mehreren Erklärungen am Rande des NVK. Am Mittwoch beschuldigte Zhu Weiqun den Dalai Lama des "Verrats" an seiner Religion und befand: "Die Macht der Entscheidung über die Wiedergeburt des Dalai Lama . . . liegt bei der chinesischen Zentralregierung." Eine Haltung, zu der wiederum Lobsang Sangay, der Premier der tibetischen Exil-Regierung im indischen Dharamsala zu sagen hatte, das sei in etwa so, als wolle Fidel Castro den nächsten Papst bestimmen. "Eine atheistische Partei will über die Reinkarnation eines Lamas bestimmen?", heißt es in einem der vielen gelöschten Weibo-Beiträge zu dem Thema: "Das ist mir zu hoch, das kapiere ich nicht."

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Quelle:
SZ vom 14.03.2015/mahu
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