Geschichte des Mossad:Vergeltung

Ronen Bergman widmet sich den Taten und Untaten des Mossad. Herausgekommen ist trotz des Titels "Schattenkrieg" ein Buch, das zur Verherrlichung des israelischen Geheimdienstes taugt. Und das voller absurder Behauptungen steckt.

Von Willi Winkler

Der Mossad gilt als der erfolgreichste, zugleich als der geheimnisvollste Geheimdienst der Welt. Was hat er nicht alles bewerkstelligt: Adolf Eichmann aus Argentinien herausgeholt, die deutschen Raketenforscher aus Ägypten vertrieben, die Verantwortlichen für das Olympiamassaker zur Strecke gebracht, und erst der Schlag gegen den Hamas-Waffenbeschaffer Mahmud al-Mabhuh, der im Januar 2010 in Dubai praktisch vor den Videokameras der ganzen Welt eliminiert wurde.

Aber dieser Schlag war ein Fehlschlag, denn weder der Mossad, und schon gar nicht Israel, wollten mit einem kühl ausgeführten Mord in Verbindung gebracht werden. Ohne juristisches Federlesen hat Israel an die dreitausend Menschen durch gezielte Tötung umgebracht, wie der Journalist und Publizist Ronen Bergman in seinem Buch "Der Schattenkrieg" berichtet. Der englische Originaltitel "Rise and kill first" wird im Motto als Zitat aus dem Talmud aufgelöst: "Wenn jemand kommt, dich zu töten, steh auf und töte ihn zuerst."

"Ein Menschenleben wird zu etwas Belanglosem, dessen man sich ohne Weiteres entledigt."

Nicht noch einmal wollten die Juden wie Schafe zur Schlachtbank geführt werden, sie setzten sich zur Wehr. Mord und Terror, Rache und Vergeltung gehören zur Staatsräson, denn seit 1948 führten die arabischen Nachbarn Krieg gegen Israel, wollten die Juden ins Meer treiben und drohten damit den Holocaust zu vollenden.

Menachem Begin sprengte mit seiner Irgun-Gruppe 1946 das King-David-Hotel in Jerusalem in die Luft, ein Anschlag, der mehr als neunzig Menschen das Leben kostete, unter ihnen auch vierzehn Juden. Der schwedische Unterhändler Folke Bernadotte wurde 1948 von jüdischen Terroristen der Lechi umgebracht, weil sie ihn für parteiisch hielten. Einer ihrer Anführer war Jitzhak Schamir. Begin und Schamir gelangten später in das Amt des Ministerpräsidenten und lernten Diplomatie.

Olympische Spiele in München, 1972: Terroranschlag

Olympia-Attentat 1972: Die Polizei riegelt nach der Attacke der palästinensischen Terrorgruppe die Appartements der Sportler in München ab.

(Foto: DPA)

Die Erfahrung aus den Terrorgruppen ging in den später gegründeten Mossad ein, neben dem sich der kaum bekannte Inlandsgeheimdienst Shin Bet entfalten konnte. Ronen Bergman gibt sich trotz gegenteiliger Behauptung viele Seiten lang Mühe, den Ruhm dieser Schattenkrieger zu mehren. "Ein Menschenleben wird zu etwas Belanglosem, dessen man sich ohne Weiteres entledigt" zitiert er den ehemaligen Shin-Bet-Chef Ami Ajalon. Der Mord aus Staatsräson wird nicht besser, wenn sich Ajalon auf die überstrapazierte "Banalität des Bösen" beruft. Das sei, so Bergman (und seine Übersetzer) wörtlich, "Hannah Arendts Beobachtung, was passiert, wenn gewöhnliche Menschen in verwerfliche Situationen geraten, die deren Konformität erfordern". Deutsch ist das nicht und für ein moralisches Dilemma auch etwas bescheiden.

Aber "Der Schattenkrieg" ist ja auch nicht unbedingt ein philosophisches Traktat, sondern ein Buch, in dem ein Geheimdienst verherrlicht werden soll. Die Eliteeinheit der Streitkräfte, Sajeret Matkal, ist die "beste Einheit", hat die "fähigsten" Rekruten, die natürlich auch das "härteste" Programm durchlaufen müssen. Wadi Haddad ist "der beste Stratege in der Welt der Terroristen", schließlich braucht der beste Geheimdienst auch den besten Gegner, der, wie könnte es anders sein, vom Mossad zur Strecke gebracht wird. Der Mann, der 1977 die Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut organisierte, stirbt hier nicht mehr durch vergiftete Schokolade, wie noch bei Aaron J. Klein in seinem Buch "Die Rächer" (2005), jetzt ist seine Zahnpasta mit einem Mittel versetzt, das an einem der "am strengsten bewachten Orte in Israel" entwickelt wurde. "Jedes Mal, wenn Haddad sich die Zähne putzte, gelangte eine winzige Menge des tödlichen Gifts durch seine Mundschleimhäute in die Blutbahn." Haddad wurde nach Ost-Berlin "ins dortige Regierungskrankenhaus" (das es auch in der DDR nicht gab) geflogen. Wie ein Spion nach Israel meldete, "hallten Haddads Schmerzensschreie durch das ganze Krankenhaus". Am 29. März 1978 stirbt Haddad, natürlich "unter großen Qualen", während die "führenden Köpfe des israelischen Verteidigungsapparats (. . .) außer sich vor Freude über den Erfolg der Operation" waren.

Noch größer war die Freude, als 1979 mit einer geschickt eingefädelten Operation Ali Hassan Salameh beseitigt werden konnte, der "rote Prinz". Zuvor war sich der beste Geheimdienst der Welt sicher gewesen, dass Salameh der marokkanische Kellner Ahmed Bouchiki in der norwegischen Kleinstadt Lillehammer sei, den sie deshalb vor den Augen seiner schwangeren Frau umbrachten. Die israelische Propaganda hatte Salameh vorsorglich zum Mastermind des Olympia-Attentats von 1972 erklärt, mit dem er nur insofern zu tun hatte, als er Palästinenser und bekannt war. Abu Daoud, der den Überfall auf die israelische Mannschaft tatsächlich geplant hatte, kam nicht nur mit dem Leben davon, sondern erhielt 1996 von Israel sogar Papiere und eine Überlebensgarantie, weil er bereit war, die neue Charta der PLO zu unterzeichnen, in der endlich auf den Grundsatz verzichtet wurde, dass Israel von der Landkarte verschwinden müsse.

Der Schattenkrieg von Ronen Bergman

Ronen Bergman: Der Schattenkrieg. Israel und die geheimen Tötungskommandos des Mossad. Aus dem Englischen von H. Dedekind, J. Hagestedt, N. Juraschitz und H. Lutosch. DVA München 2018. 864 Seiten, 36 Euro.

Es mangelt nicht an Zeitzeugen, Bergman führt im Anhang nicht weniger als tausend Personen auf, mit denen er gesprochen haben will. Gern bezieht er sich auf Mossad-Agenten, deren wahre Identität nicht preisgegeben werden darf. Bergman vertraut seinen Helden und ihren Geschichten blind, deshalb wird in einer auktorialen Mossad-Perspektive erzählt. Es wird genug Leser geben, die Freude an Sätzen wie dem eines Armeegenerals haben, der "fünf rechtschaffene Seelen ins Rote Meer fallen lassen" möchte und seine Gefangenen meint. In dieser Dual-use-Prosa ist für jeden was dabei, empört wird sich nur nach drastischer Schilderung: "Aus seinen Mundwinkeln trat Schaum hervor. Er röchelte." Das müsste einen nicht kümmern, wäre das Buch nicht mit dem Signet Spiegel-Buchverlag versehen. Das ist mindestens irreführende Werbung, denn die nicht ohne Grund berühmte Spiegel-Dokumentation hätte große Partien des Buches nie für den Druck freigegeben.

Ein naheliegendes Beispiel ist das Kapitel über das Olympia-Massaker 1972, das voller absurder Behauptungen steckt. Warum wurden die Spiele nicht abgebrochen? Bergman weiß es: "Weil es im deutschen Fernsehen angeblich kein Alternativprogramm gab". Irgendjemand hätte ihm erzählen können, dass nicht nur der IOC-Präsident Avery Brundage (zugegeben ein klassischer Antisemit) auf der Fortsetzung bestand, sondern auch die Überlebenden der israelischen Mannschaft es so wollten.

Die Deutschen hätten dem Mossad-Chef Zvi Zamir nur gestattet, "die Geschehnisse aus einiger Entfernung zu beobachten". Trotzdem will Zamir gesehen haben, wie die Geiseln aus der Unterkunft in der Connollystraße zu den Hubschraubern geführt wurden. "Zu beiden Seiten des Weges, wo so eine Art Rasenfläche war, standen Zehntausende Menschen aus unzähligen Ländern", behauptet der Geheimdienstchef in seinen Erinnerungen, die Bergman kritiklos zitiert. So grauenvoll das Massaker und das anschließende Fiasko in Fürstenfeldbruck war, bei dem die Gefangenen befreit werden sollten, in Zamirs Kopf muss ein Monumentalfilm abgelaufen sein. Den Platz für die Szene gibt es an der Connolly- und der Lerchenauer Straße gar nicht. Dort warteten die Hubschrauber, zu denen die Gefangenen nicht etwa gingen, sondern unterirdisch in Bussen befördert wurden; außerdem war es nach zehn Uhr abends und längst dunkel. Der Spiegel wusste das in seiner eigenen Berichterstattung schon besser. Notfalls wäre das auch den "Akten des Auswärtigen Amtes" zum Jahr 1972 zu entnehmen; die drei Bände sind vor fünfzehn Jahren erschienen.

Manche Darstellung bei Bergman ist längst widerlegt. Doch das kümmert ihn nicht

Dass die im Apartment Connollystraße 31 ermordeten Geiseln auch noch "verstümmelt" worden seien, ist durch den Obduktionsbericht nicht belegt. Der damalige Innenminister Hans-Dietrich Genscher, der bei seinen Verhandlungen mit den Geiselnehmern in die Wohnung der israelischen Mannschaft gelangte und die Toten sah, widersprach dieser Darstellung noch kurz vor seinem Tod und zwar, genau, im Spiegel. Ronen Bergman wiederholt die Behauptung ungerührt, weil es so schön gruselig klingt.

Aber so wird's mit dem Spiegel-Stempel, unterstützt von einem Interview, das zwei Spiegel-Journalisten mit dem Spiegelbuchverlags-Autor führen durften, unter die Leute gebracht.

Führend im Geschäft der gezielten Tötungen ist übrigens heute gar nicht Israel, sondern die jeweilige Regierung der Vereinigten Staaten. Die Präsidenten Bush, Obama und Trump sind als Oberbefehlshaber verantwortlich für inzwischen mehr als dreitausend Tote, die meisten starben durch Drohnenangriffe. Die gemeinnützige Organisation Reprieve US hat errechnet, dass für jedes "Zielobjekt", das von der Todesliste geschossen wird, neun Kinder sterben.

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