Zehn Jahre Srebrenica:Getrennt durch das Unaussprechliche

Lesezeit: 7 min

Wo Tausende Muslime von Serben ermordet wurden, leben wieder beide Volksgruppen - in prekärer Nachbarschaft und mit einem großen Tabu.

Von Bernhard Küppers

Der Platz in der Ortsmitte heißt noch wie einst, "Platz der Brüderlichkeit und Einheit". "Bratstvo i jedinstvo", das war einmal die Losung der Tito-Kommunisten für ihren jugoslawischen Vielvölkerstaat. Hier, in Srebrenica, kommt einem das Motto aber fast vor wie eine Grabinschrift. Der Bürgermeister der bosnischen Kleinstadt, deren Namen für das schlimmste Verbrechen des Jugoslawienkriegs steht, versteht es aber nicht so.

Eine Frau wartet auf dem Friedhof in Potocari, wo ihre ermordeten Verwandten begraben werden sollen (Foto: Foto: AFP)

Abdurahman Malkic findet es vielmehr bemerkenswert, dass er sich Terrasse des "Nightclub Davidoff"gerade an diesem Platz mit ausländischen Journalisten trifft: "Schreiben Sie, dass Sie mit dem muslimischen Bürgermeister von Srebrenica in einem Café gesessen haben, das von Serben betrieben wird", sagt er auf der Terrasse des "Nightclub Davidoff".

Malkic erwartet am 11. Juli Zehntausende zu einer Gedenkfeier in seiner Stadt. Zum zehnten Mal jähren sich die Massaker, die Serben nach der Einnahme Srebrenicas an mehr als 7000 Muslimen verübt haben sollen. Ein Richter des Haager Tribunals für Kriegsverbrechen nannte das, was damals geschah, "Szenen aus der Hölle, geschrieben auf den dunkelsten Seiten der Menschheitsgeschichte".

Was damals geschah, ist heute tabu zwischen Serben und zurückgekehrten Muslimen in dem trostlosen Ort in einem ostbosnischen Gebirgstal, der umgeben ist von den Hinrichtungsstätten und Massengräbern. An diesem Montag werden in Srebrenicas Vorort Potocari unter islamisch grünen Grabtafeln neben bisher 1300 identifizierten Opfern rund 600 weitere Tote beerdigt. Im Herbst 2003 hatte der ehemalige US-Präsident Bill Clinton den Gedenkfriedhof eingeweiht. Seither hat sich einiges verändert.

Warum die Anklägerin fehlt

Das Haager Tribunal für Kriegsverbrechen hat in der Zwischenzeit in einem rechtskräftigen Urteil gegen einen General der bosnischen Serben die Massaker von Srebrenica als Völkermord gewertet. Unter dem Druck des internationalen Bosnien-Gouverneurs Paddy Ashdown hat die bosnische Serbenrepublik (Republika Srpska) die Ermordung Tausender Muslime durch ihre Streitkräfte eingestanden und bedauert.

Der sich lange sträubende serbische Ministerpräsident Vojislav Kostunica hat im Zusammenwirken mit der Regierung der bosnischen Serben dem Haager Tribunal 14 noch fehlende Angeklagte übergeben, darunter acht, die den Massenmord von Srebrenica organisiert haben sollen. Und der serbische Präsident Boris Tadic will zur Gedenkfeier kommen, um sich, wie er sagte, vor den Opfern des Verbrechens zu verneigen, "das Angehörige meines Volkes im nationalen Namen begangen haben".

Die Haager Chefanklägerin Carla Del Ponte will der Feier in Srebrenica fernbleiben. Sie hat es eine "Schande" genannt, dass der bosnische Serbenführer Radovan Karadzic und sein Armeechef Ratko Mladic, obwohl seit zehn Jahren angeklagt, sich noch immer versteckt halten können. Die Chefanklägerin macht dafür nicht nur die bosnische Serbenrepublik und Serbien-Montenegro verantwortlich, sondern auch die Nato- und jetzige EU-Friedenstruppe in Bosnien. "Wie kann die internationale Gemeinschaft dies vor den Müttern, Schwestern, Töchtern und Liebsten der in Srebrenica Ermordeten rechtfertigen?", fragte Del Ponte. "Ich kann es nicht."

Chefanklägerin Carla del Ponte kommt nicht zur Feier in Srebrenica (Foto: Foto: AFP)

Srebrenicas Bürgermeister Malkic war bei der Einnahme der muslimischen Enklave durch General Mladic nach Serbien geflohen. Von dort wurde er ausgeliefert in das Kriegsgefangenenlager Batkovic der bosnischen Serben. Nach dem bosnischen Friedensschluss von Dayton 1995 kam er frei.

Flüchtige dürfen wählen

Dass er nun Bürgermeister von Srebrenica ist, hat er dem Umstand zu verdanken, dass im internationalen Protektorat Bosnien Vertriebene und Flüchtlinge in ihren Heimatgemeinden mitstimmen können, auch wenn sie dort garnicht mehr leben. Der Bürgermeister selber hat wie die meisten muslimischen Gemeinderäte seinen Wohnsitz nicht in Srebrenica.

Seine Familie lebt in Sarajewo. Vor Beginn des Bosnien-Kriegs hatte die Gemeinde Srebrenica 37.000 Einwohner, 72 Prozent von ihnen Muslime. Während der Vertreibung der Muslime durch Serben zu Kriegsbeginn 1992 wurde Srebrenica eine überfüllte Enklave. Heute hat die Gemeinde weniger als 10.000 Einwohner. Und es sind mehr Serben, meist ihrerseits Flüchtlinge, als muslimische Rückkehrer.

Der Muslimische Rückkehrer Jasmin Mustafic war zwölf bei der Einnahme von Srebrenica. Er gehörte zu den Kindern, Frauen und alten Männern, die General Mladic in Bussen in das Gebiet deportieren ließ, das die bosnische Armee hielt. Fragt man Mustafic, warum er hierher zurückgekehrt ist, sagt er: "Ich dachte, das bin ich meinem Vater und meinem Bruder schuldig, die hier umgekommen sind."

Ein Großteil der Menschen, die vor dem Massaker in der "UN-Sicherheitszone" Srebrenica zusammengepfercht waren, hatten beim Einmarsch der Serben 1995 panisch Zuflucht gesucht am Sitz der holländischen UN-Soldaten im Vorort Potocari.

Kriegsverbrecher verteilte Süßigkeiten

Mladic verteilte zuerst Bonbons an die Kinder, dann ließ er alle Männer zwischen 16 und 60 aussortieren. Es waren etwa tausend. 15 000 andere Muslime, auch bewaffnete Soldaten der bosnischen Armee, suchten in einer Kolonne durch die Wälder zu entkommen.

Fast die Hälfte der Männer schaffte es nicht über die Front nach Tuzla und wurde von den Serben gefangen genommen. Sie sind wie die zuvor Selektierten auch sie nie mehr zu ihren Angehörigen zurückgekehrt.

Srebrenica war 1993 zur UN-Sicherheitszone erklärt worden, doch ein Gewalteinsatz zu ihrem Schutz wurde nie geregelt. Die UN und ihr Generalsekretär Kofi Annan, 1995 zuständig für die Friedenstruppen in der Welt, gestanden später diesen Fehler ein, ebenso das verhängnisvolle Zögern mit Luftangriffen, als im Juli 1995 der Ernstfall eintrat. Als General Mladic die muslimische Enklave einnahm, machte er sie "dem serbischen Volk" zum Geschenk.

Vor der Fernsehkamera sagte er: "Der Moment ist für uns endlich gekommen, an den Türken hier Rache zu nehmen." Mit den Türken meinte er abschätzig die bosnischen Muslime. Wann und warum er die Entscheidung zum Massenmord an den Gefangenen fällte, ist nicht klar. Möglicherweise tat er es erst an Ort und Stelle, als die bewaffneten Muslime geflüchtet waren, wie das Niederländische Institut für Kriegsdokumentation meint.

Überforderte Niederländer

Die von dem überforderten Bataillon holländischer Soldaten angeforderte Luftunterstützung der Nato für das überforderte Bataillon holländischer Soldaten in der Enklave blieb aus, es gab nur zwei Angriffe auf zwei serbische Panzer.

Srebrenicas ansteigende Straßen wirken verlassen. Nach dem bosnischen Frieden von 1995 hatten hier vorübergehend serbische Flüchtlinge von ihren BehördenQuartiere zugewiesen bekommen. Später konnten überlebende Muslime Srebrenicaihre Häuser wieder in Besitz nehmen und mit ausländischer Hilfe renovieren. Die meisten sind allerdings eher auf dem Papier zurückgekehrt. Viele lassen die renovierten Häuser leer stehen, allenfalls von Großeltern bewacht - sie warten auf bessere Zeiten oder einen günstigeren Verkaufspreis.

"Wir sind in Srebrenica so arm, dass nicht einmal chinesische Straßenhändler und bettelnde Zigeuner herkommen", sagt ein Einheimischer. "Zurückgekehrt ist hier nur, wer sich anderswo nicht zurechtgefunden hat." Das Heilwasser des einstigen Kurorts fließt in die Kanalisation. Silber, das dem Ort seinen Namen gab, hatten Deutsche hier schon im Mittelalter ausgebeutet. Das Blei- und Zinkbergwerk betreibt eine russische Firma heute mit nur noch 400 Beschäftigten.

Die Last des Ungesühnten

In die Dörfer rings um Srebrenica sind inzwischen mehr Muslime zurückgekehrt. Dort, vor allem entlang der Straße, die von Srebrenica über Bratunac nach Norden führt, richten sie sich neu ein - in nächster Nähe zu Stätten von Massakern und von Massengräbern. Es gibt hier so genannte primäre und sekundäre Massengräber. Denn um die Verbrechen zu vertuschen, waren in den Monaten nach den Gräueltaten die Leichen, von Baggern und Planierraupen zerstückelt und vermischt, aus den ursprünglichen Massengräbern ausgehoben und in anderen neu verscharrt worden.

Es entstehen schwierige Nachbarschaften in einer Landschaft nicht gesühnter Verbrechen. In dem serbischen Dorf Kravica, wenige Kilometer hinter Bratunac an der Landstraße, baut man an einem Denkmal für serbische Opfer der Muslime, es hat die Gestalt eines Kreuzes gebaut.

Am Morgen des 7. Januar 1993, dem serbisch-orthodoxen Weihnachten, hatten Muslime aus Srebrenica, angeführt von ihrem Kommandanten Naser Oric, das Dorf überfallen, es geplündert und niedergebrannt. 48 Einwohner sollen nach serbischen Angaben bei dem Überfallgetötet worden sein. "Davon wird im Westen nicht geredet", beschwert sich einer der Männer, die an dem Denkmal arbeiten. Seinen Namen will er, wie viele Serben in der Region, ausländischen Journalisten nicht nennen.

Auf der anderen Seite der Landstraße steht ein flaches Gebäude. "Laut den Aussagen von Zeugen und Überlebenden wurden am späten Nachmittag und frühen Abend des 13. Juli 1995 in der Lagerhalle des landwirtschaftlichen Guts in Kravica Hunderte muslimischer Männer umgebracht", heißt es im Urteil des Haager Tribunals gegen Mladics General Radislav Krstic. Bomben seien in das Gebäude geworfen worden. Gefangene, die durch Fenster entkommen wollten, wurden niedergeschossen.

"Als das Schießen aufhörte, kamen Lastwagen und begannen ihr Beladen mit den Leichen." Ein Arbeiter an dem serbischen Denkmal in Kravica sagt aber schlichtweg: "Solche Verbrechen hat es nicht gegeben. Auf der Flucht durch die Wälder haben sich die Muslime gegenseitig umgebracht, in Panik und im Streit, ob sie kämpfen oder sich ergeben sollten." Andere Serben wollen nur gesehen haben, wie die Busse mit den muslimischen Frauen und Kindern aus Srebrenica durch den Ort fuhren. Von Transporten der aussortierten und der gefangen genommenen muslimischen Männer auf derselben Landstraße wüssten sie nichts, sagen sie.

Näher kommt man sich nicht

Der nächste Weiler nach Kravica heißt Sandici, dort waren im Krieg auf einer Wiese Gefangene zusammengetrieben worden. Heute leben hier muslimische Rückkehrer, die sichtlich mehr Hilfen für den Wiederaufbau erhalten als die Serben.

Mujo Muratovic hat kürzlich einen Serben zu Hause besucht, der hatte ihn als Militärpolizist auf der Flucht aufgegriffen. Zu Muratovic' Glück hatte das Morden nach einer Woche damaligen Zeitpunkts aufgehört. Der serbische Militärpolizist nahm ihn sogar zum Übernachten mit in sein Haus, ehe er ihn im Gefangenenlager Batkovic ablieferte. Viel näher scheinen sich die beiden jedoch bei der Begegnung zehn Jahre danach nicht gekommen zu sein. "Das Vertrauen ist einfach hin", sagt Muratovic.

Priester fordert Aufklärung

Der serbische Priester von Srebrenica, Zeljko Teofilovic, ist überzeugt davon, dass die Verbrechen aufgeklärt und bestraft werden müssen - auch solche, die im Juli 1995 an Muslimen verübt wurden. Es dürften aber jene Untaten nicht unterschlagen werden, die in der Region 1992/93 an Serben verübt wurden. Teofilovic meint damit Überfälle, die der Kommandant von Srebrenica, Naser Oric, brandschatzend auf umliegende Dörfer angeführt haben soll, und Serben, die dabei getötet wurden. Nach jüngsten Angaben der Regierung in Banja Luka sollen dabei mehr als tausend Serben ums Leben gekommen sein. Gegen Oric läuft ein Prozess in Den Haag.

Doch viele bleiben in ihrer Wahrnehmung in den alten Feindbildern und ihrer Verbitterung gefangen. "Für die serbischen Opfer interessiert sich niemand. Die Zahl der muslimischen Opfer wird katastrophal aufgebläht", sagt der Dragan Petrovic, der Museumswärter eines "Gedenkzimmers" des Veteranenverbandes in Bratunac, der Nachbargemeinde von Srebrenica, beschwert sich. Während der Tage um die Gedenkfeier für die ermordeten Muslime von Srebrenica sind in der Region parallele Feierlichkeiten geplant, unter der Schirmherrschaft der Regierung der bosnischen Serbenrepublik und der serbisch-orthodoxen Kirche.

Der serbische Museumswärter Petrovic hat den Gedenkfriedhof in Potocari noch nie besucht. Eine gemeinsame Gedenkstätte für muslimische und serbische Opfer von Kriegsverbrechen hält er für "unvereinbar". Abdurahman Malkic, der moslemische Bürgermeister von Srebrenica, ist da schon weiter: könnte sich vielleicht später einmal eine Gedenkstätte vorstellen."Irgendwann wird es wohl ein gemeinsames Mahnmal geben, das an die Sinnlosigkeit des Krieges erinnert", sagt er.

© SZ vom 11.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: