Zehn Jahre Irak-Krieg:Beginn einer neuen Weltordnung

Als sie vor zehn Jahren den Irak angriffen, binnen weniger Tage nach Bagdad vorstießen und Saddam Hussein vertrieben, erlebten die USA ein kollektives Gefühl der Genugtuung. Heute hat sich Amerikas Politik von ihrem hyper-hegemonialen Augenblick weitgehend erholt. Aber um welchen Preis?

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

Frédéric Auguste Bartholdi wollte der Welt ein gewaltiges Bauwerk hinterlassen, die Figur einer Frau, modelliert nach dem Bild einer ägyptischen Bäuerin. Überlebensgroß sollte die Dame sein und die nördliche Einfahrt zum Suezkanal zieren wie ein Leuchtturm. Doch dem Khediven in Ägypten ging das Geld aus, und so wurde Bartholdis Monumentalbau an anderer Stelle errichtet, an der Hafeneinfahrt von New York. Dort steht die Freiheitsstatue noch heute.

Die wenigsten in Amerika werden diese Fußnote in der Geschichte ihres Nationalsymbols kennen. Dabei erzählt sie so wunderbar von der Jahrhunderte währenden Verquickung der USA mit dem Nahen Osten. Als das gerade gegründete Amerika seine Handelsschiffe durch Algier, Tunis und Tripolis bedroht sah, beschloss es den Aufbau einer Marine und kämpfte seinen ersten Krieg an den Küsten des Mittelmeers.

Und als der amerikanische Bürgerkrieg die Arbeit auf den Baumwollplantagen revolutioniert hatte und der Rohstoff teuer wurde, da entschied sich die britische Regierung 1882 zur Besetzung Ägyptens - mit allen Konsequenzen für den Niedergang des Osmanischen Reiches. Hier fließen sie also, die kräftigen Strömungen im Nahostkonflikt, die sich bis heute nicht umlenken lassen wollen.

Angriff auf den Irak - für die USA ein Gefühl der Genugtuung

Kultur-Romantik und geostrategische Sehnsüchte, Sendungsbewusstsein und die Verantwortung für das jüdische Volk, Handelsinteressen, Öl und Transportwege - die Motive für Amerikas Nahostpolitik haben sich bis heute so wenig geändert wie die Interessen. Beschränkt waren die USA jedenfalls nie auf den unmittelbaren Kernkonflikt im Heiligen Land, auf den Streit um Territorium und Staatlichkeit zwischen Israel und Palästinensern.

Endgültig herausgefordert waren die USA in ihrer Autorität, als der wahabitische Fanatismus in Gestalt von al-Qaida Amerika am 11. September 2001 angriff und wenige Kilometer von der Freiheitsstatue entfernt ins Herz des Landes traf.

Als vor zehn Jahren eine US-Streitmacht mit ein paar Alibi-Alliierten den Irak angriff, binnen weniger Tage nach Bagdad vorstieß und Saddam Hussein vertrieb, da erlebten die USA ein kollektives Gefühl der Genugtuung. Der Irak war die Rache für New York, so plump kann man das heute sagen. Denn natürlich gab es ein Bedürfnis nach einem Gegenschlag, nach einer Demonstration von Stärke. Die öffentliche Kriegsbegründung war im Vergleich dazu eher nebensächlich: Chemiewaffen, ein Atomprogramm, Saddam als lange gepflegtes Feindbild - nein, Amerika wollte seine Autorität wiederherstellen. Afghanistan reichte dazu nicht aus.

Immense Schuld, Verlust an Glaubwürdigkeit

Heute, zehn Jahre später, hat sich Amerikas Politik von ihrem hyper-hegemonialen Augenblick weitgehend erholt. Aber um welchen Preis? Niemand mehr mag behaupten, dass sich Ordnung und Stabilität mit Waffengewalt erzwingen lassen; geschweige denn Demokratie. Nicht mal im Stillen wird sich das Land zu der immensen Schuld bekennen, die sich im Schatten der Kriege aufgetürmt hat.

Niemand mag den Verlust an Glaubwürdigkeit ermessen, den Amerika und damit auch der Westen in der ganzen Welt erlitten haben. Wer in Deutschland triumphierend den Finger hebt, sollte zweimal nachdenken: Hohe Staatskunst war im spalterischen Widerstand gegen George W. Bush nirgendwo auszumachen.

In der Geschichte gibt es nicht immer eine klar benennbare Abfolge von Kausalitäten. Der sunnitisch-schiitische Bürgerkrieg im Irak wird inzwischen weit über die Landesgrenzen hinweg ausgetragen. Aber er wäre wohl auch ohne Amerikas Hilfe ausgebrochen - irgendwann hätte auch Saddams Schlachtermesser seine Bedrohlichkeit verloren. Den Aufstand der arabischen säkularen und urbanen Schicht hätte es ebenfalls ohne die Vertreibung des Diktators von Bagdad gegeben. Die Uhr lief bereits gegen die Autokraten.

Anfang einer neuen Weltordnung für die USA

Und auch dies: Jener blutige, alles beherrschende Konflikt zwischen religiösen Eiferern und den modernen Kräften in der arabischen Welt ist keine Erfindung von George W. Bush. Der Furor der Bärtigen kennt andere Ursachen.

Und dennoch bildete der Irak-Krieg eine gewaltige Zäsur - für die Menschen in der Region, aber auch für Amerika. Er steht am Beginn einer Phase tiefer gesellschaftlicher Verwerfung in der arabischen Welt. Und er markiert den Anfang einer neuen Weltordnung für die USA. Wie zum Beleg reist Präsident Barack Obama in dieser Woche nach Israel - zum ersten Mal in seiner Amtszeit und weitgehend ohnmächtig.

Die Freiheitsstatue steht weiter am Hafentor von New York und kündet von der amerikanischen Mission für die Welt. Die ist im Nahen Osten unüberschaubar groß geworden - so groß, dass selbst die USA in Demut ihre Grenzen erkennen werden.

Zehn Jahre Krieg im Irak: Opfer in US-Armee und Zivilbevölkerung

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