Zehn Jahre Afghanistan-Einsatz:Luftholen im endlosen Krieg

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Für die meisten Afghanen bedeutet der zehnte Jahrestag der US-Invasion wenig: Ihr Land befindet sich seit Jahrzehnten im Bürgerkrieg. Der Westen hat es versäumt, einen stabilen Staat aufzubauen. Es bleibt die Hoffnung, dass dies bis 2014 gelingt. Wahrscheinlich ist es aber nicht - weil Barack Obama einen Fehler gemacht hat.

Stefan Kornelius

Die Afghanen werden sich nicht unbedingt an den offiziellen Kriegsbeginn 2001 erinnern. Warum auch? Wieso sollten sie gerade an einen Tag vor zehn Jahren denken - da doch das Land seit 32 Jahren keinen Frieden gesehen hat? Könnte man sich nicht ebenso gut die sowjetische Invasion 1979 ins Gedächtnis rufen? Oder den Abzug der Roten Armee? Den Bürgerkrieg? Den Siegeszug und die Gewaltherrschaft der Taliban? Verdienen die Warlords oder die arabischen Kämpfer einen Moment der Erinnerung? Oder doch die Amerikaner, die am 7. Oktober vor zehn Jahren ins Land kamen - und auch keinen Frieden brachten?

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Zehn Jahre sind eine unendlich lange Zeit für einen Afghanen, der gelernt hat, nicht allzu weit in die Zukunft zu denken und am Abend dankbar zu sein für das Überleben in den letzten 24 Stunden. Zehn Jahre sind aber auch eine unendlich lange Zeit für einen Amerikaner, dessen Armee in der gesamten US-Geschichte noch nie so lange in einem einzigen Krieg gestanden hat.

Diese zehn Jahre haben in den USA eine Generation Wa r hervorgebracht - eine große Gruppe überwiegend junger Männer, die nach dem Schock von 9/11 Soldaten wurden und nun nichts anderes kennen als den Einsatz in Afghanistan oder in Irak. Und: Zehn Jahre sind auch für die amerikanische Politik eine extrem lange Zeit - vor allem, weil sie so unglaublich schlecht genutzt wurde.

Auf den Karten des 19. Jahrhunderts blieb der Landfleck zwischen dem russischen Zarenreich und dem britischen Kolonialimperium dereinst nicht zufällig ohne Namen. Das heutige Afghanistan war eine Kopfgeburt der Mächte, die damals so wenig wie die dominierenden Nationen heute die Gesetzmäßigkeiten der Region verstanden.

Immerhin: Nach der US-Invasion 2001 und dem kurz darauf beschlossenen Einsatz von mittlerweile mehr als 40 Nationen dauerte es diesmal nur sieben Jahre, bis die Komplexität eines Staatsaufbaus in diesem schwierigen Land erkannt war. Diese sieben Jahre waren verlorene Zeit - vertan mit naiven Hilfsplänen und einem Ersatzkrieg in Irak. 2008 erst, so scheint es, wurde verstanden, welch herkulische Aufgabe auf einen Friedensbringer in Afghanistan wartet.

Aber auch diese Erkenntnis allein hilft nicht weiter, wenn jede ehrlich gemeinte Hilfe scheitert, wenn die von außen ins Land getragenen Ideen zerschellen, wenn eine Grundkonstante der afghanischen Gesellschaft nicht außer Kraft gesetzt werden kann, die da lautet: Wenn der Druck von außen - durch Pakistan, durch ausländische Besatzer - wächst, dann steht das Land vereint im Widerstand. Wenn der Druck nachlässt, dann wenden sich die Ethnien, die Stämme, die Warlords gegeneinander. Frieden in Afghanistan - am Ende ein Vexierbild?

So sehr sich die Afghanen den Abzug der ausländischen Truppen wünschen, so sehr hat sich auch die Geduld der Helfernationen erschöpft. Denn das eigentliche Problem Afghanistans rückte erst viel zu spät in den Fokus: Der Staat muss überlebensfähig werden, resistent gegen die Angriffe von außen und innen. Er braucht ein politisches Korsett, das den Kräften im Inneren einen Ausgleich verschafft und die Kräfte von außen abhält.

Zehn Jahre Afghanistan-Einsatz
:Krieg ohne Ende

Vom ersten Bündnisfall zur größten Belastungsprobe der Nato: Vor zehn Jahren, am 7. Oktober 2001, fliegt die US-geführte Koalition die ersten Luftangriffe in Afghanistan. Was als kurzer Einsatz geplant war, dauert noch immer an. Eine Chronik des Krieges.

Von Michael König, Kathrin Haimerl und Florian Ladurner

Danach hätte man handeln, dafür hätte man Lösungen suchen müssen - aber diese Erkenntnis wurde an dem Tag zunichtegemacht, als Barack Obama das fatale Datum 2014 in die Welt setzte. 2014 sollen die letzten Kampftruppen das Land verlassen haben; von 2014 an werden demnach die Afghanen ihre Verhältnisse wieder untereinander auskämpfen.

Dankbar für Phase relativer Stabilität

Diese verbleibenden drei Jahre wären vermutlich sogar ausreichend viel Zeit, um weiter an einem stabilen Staat zu arbeiten, die Korruption zu bekämpfen, die Regierung zur Effektivität zu zwingen und die Sicherheitskräfte zu stärken. Weil aber der unselige Termin jetzt schon öffentlich festgelegt wurde, greift ein ganz anderer Mechanismus. Die Taliban müssen nicht mehr in Friedensgespräche einwilligen, weil sie bereits wissen, dass sie in drei Jahren mehr bekommen werden als heute mit jedem ausgehandelten Kompromiss.

Die korrupten und ineffektiven Figuren im Staatsapparat wissen ihrerseits, dass sie in drei Jahren der Volkszorn, exekutiert von den Taliban, aus dem Amt und ins Exil treiben wird. Und Reformer und Enthusiasten - sie müssen frustriert mitansehen, wie das bisschen Staat, das sie aufbauen konnten, wieder zerstört wird durch Korruption, Amtsmissbrauch und Gewalt. Wer übrig bleibt, muss um sein Leben fürchten, denn die Taliban haben sich auf die äußerst effektive Strategie der Schock-Bombardements verlegt: Gezielte Morde an Prominenten lassen die Verzweiflung im Land täglich wachsen.

Die Aussichten sind also frustrierend, wenngleich die Mehrzahl der Afghanen nach zehn Jahren Okkupation durchaus dankbar ist für eine Phase relativer Stabilität und Prosperität. Die Vertreibung der Taliban und der Terroristen von al-Qaida hat dem Land ja auch für eine kurze Weile Luft zum Atmen geschenkt. Nun aber wächst die Nervosität wieder. Denn die Afghanen wissen mit ihrem untrüglichen Gespür für Gefahr, dass ihre mehr als 30-jährige Leidensgeschichte von Krieg und Bürgerkrieg vermutlich weitergeht.

© SZ vom 07.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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