ZDF-Moderator:Merkel betritt im Fall Böhmermann juristisches Neuland

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Um Harmonie bemüht: Kanzlerin Angela Merkel mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Istanbul im Oktober 2015. (Foto: Tolga Bozoglu/Reuters)
  • Die juristischen Voraussetzungen für ein Verfahren gegen den ZDF-Moderator liegen vor, Angela Merkel trifft nun eine rein politische Entscheidung.
  • Die bisherige Praxis gibt ihr wenig Orientierung, weil sich zwar schon häufiger ausländische Staatsoberhäupter beleidigt sahen, aber wohl noch nie durch Satire.
  • In der SPD war schon am Dienstag eine deutliche Tendenz zu einem Stopp des Verfahrens erkennbar.

Von Nico Fried, Berlin

Man sieht sich im Kabinett. Und deshalb ist es sehr gut möglich, dass die Bundeskanzlerin am Rande der Sitzung an diesem Mittwoch auch ihre Entscheidung im Fall Böhmermann endgültig abstimmt. Die rechtliche Bewertung wurde dem Vernehmen nach bereits am Montag während eines Treffens im Auswärtigen Amt weitgehend vollzogen. Beteiligt waren neben Staatssekretär Stephan Steinlein auch der außenpolitische Berater der Kanzlerin, Christoph Heusgen, sowie Vertreter aus Justiz- und Innenressort. Sämtliche Chefs wiederum kommen am Mittwoch routinemäßig im Kanzleramt zusammen.

Das wichtigste Ergebnis der bisherigen Prüfung macht die Sache so schwierig: Die juristischen Voraussetzungen für ein Verfahren gegen den ZDF-Moderator liegen vor, Angela Merkel trifft nun eine rein politische Entscheidung. Das klingt selbstverständlicher, als es ist. Denn während in der Diskussion über den Ärger des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan über Böhmermanns Schmähgedicht das Wort von der "Ermächtigung" aus Paragraf 104 a Strafgesetzbuch besondere Aufmerksamkeit hervorruft, ist auch der Begriff der "Gegenseitigkeit" nicht unbedeutend.

So konnte zum Beispiel die damalige Schweizer Bundespräsidentin Micheline Calmy Rey 2007 in Deutschland ein Strafverfahren mit Verurteilung wegen Beleidigung erwirken, weil es eine entsprechende Vorschrift auch in ihrem Land gibt. Dagegen scheiterte George W. Bush 2005 mit dem Begehr einer Strafverfolgung wegen Beleidigung des Präsidenten, weil dies umgekehrt in den USA auch nicht möglich wäre. Mit der Türkei wiederum ist Gegenseitigkeit gegeben.

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Wenn am Mittwoch zwischen Merkel und ihren Ministern Thomas de Maizière (beide CDU), Frank-Walter Steinmeier und Heiko Maas (beide SPD) eine Entscheidung verabredet werden sollte, endet die Sache da, wo sie auch begonnen hat: auf höchster Ebene der Bundesregierung. Normalerweise ist das Auswärtige Amt befugt, über derartige Begehren für die Bundesregierung als Ganzes zu entscheiden, was in weniger aufsehenerregenden Fällen auch passiert. Das war im Fall Erdoğan natürlich anders.

Als am Samstag die Verbalnote der türkischen Botschaft per Fax die zuständige Rechtsabteilung im Auswärtigen Amt erreicht hatte, wanderte der Fall flugs die Hierarchie hinauf, im Auswärtigen Amt auf die Ebene der Staatssekretäre, im Kanzleramt zu Abteilungsleiter Christoph Heusgen. Auch Steinmeier, der sich im chinesischen Changsha aufhielt, und Merkel selbst nahmen miteinander Kontakt auf.

Schon drängen sich die nächsten Kandidaten für eine Anklage auf

Die Kanzlerin bewegt sich auf unbekanntem Terrain. Die bisherige Praxis gibt ihr wenig Orientierung, weil sich zwar schon häufiger ausländische Staatsoberhäupter beleidigt sahen, nach den Recherchen der Regierungsexperten aber noch nie durch Satire. Merkel schafft, so oder so, einen Präzedenzfall. Schon drängen sich die nächsten Kandidaten für eine Anklage auf, etwa der Kabarettist Dieter Hallervorden, der Erdoğan in einem via Internet verbreiteten Lied als Terroristen bezeichnete. Winkt sie nun ein Verfahren durch, wird sie vielleicht bald viele ermöglichen müssen.

Und andersrum. Eines der wichtigsten Kriterien für Merkel ist: Die Entscheidung muss halten - und sie muss sie durchhalten können. Eine Korrektur ist nicht mehr möglich, zu unsicher wirkte schon bisher Merkels Umgang mit den Erdoğan-Satiren. Vor allem bei einer Ermächtigung der Mainzer Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen könnte aber bis hinein in die Koalition die Versuchung groß sein, sich über eine Kanzlerin zu empören, die sich angeblich nicht hinter die Grundrechte stellt.

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In der SPD war schon am Dienstag eine deutliche Tendenz zu einem Stopp des Verfahrens erkennbar. Aus dem Außenministerium verlautete: "Wir sind skeptisch, ob das Strafrecht der richtige Weg sein kann." Fraktionschef Thomas Oppermann plädierte zudem dafür, die einschlägigen Paragrafen im Strafgesetzbuch schon in der nächsten Sitzung zu streichen - was im aktuellen Fall nichts hilft.

Unter Kundigen galt es am Dienstag als wahrscheinlich, dass Merkel die Ermächtigung verweigern werde. Mit einer solchen Entscheidung könnte sie den Vorwurf vermeiden, sie handele wegen des Flüchtlingsabkommens willfährig gegenüber der Türkei. Die Kanzlerin selbst hatte diesen Eindruck zuvor schon mit ihrer missglückten Kommunikation befeuert, als sie erklären ließ, Böhmermanns Satire in einem Telefonat mit Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu als bewusst verletzend bezeichnet zu haben. Das Risiko, dass Erdoğan den Flüchtlings-Deal infrage stellt, müsste Merkel in Kauf nehmen. Wie als Mahnung wies sie am Dienstag erneut darauf hin, dass eine Lösung der Flüchtlingskrise im deutschen Interesse liege - aber auch im Interesse der Türkei.

© SZ vom 13.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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