Süddeutsche Zeitung

Bürgermeisterwahl:Grünes Zagreb

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Bürgermeister von Kroatiens Hauptstadt wird am Sonntag wohl der linksgrüne Kandidat Tomislav Tomašević. Ein Trend, der bereits mehrere Hauptstädte Südosteuropas erfasst hat.

Von Tobias Zick

Am kommenden Sonntag wird Kroatiens Hauptstadt Zagreb allen Prognosen zufolge in der Stichwahl einen links-grünen Bürgermeister bekommen. Tomislav Tomašević, der 39 Jahre alte Kandidat des Bündnisses "Možemo" ("Wir können") hatte bei der Kommunalwahl Mitte Mai bereits mehr als 45 Prozent der Stimmen erzielt.

Auf dem zweiten Platz landete - weit abgeschlagen mit knapp 12 Prozent - der rechtsnationale Volksmusiksänger Miroslav Škoro. Er war bereits bei der kroatischen Parlamentswahl im vergangenen Juli angetreten und mit seiner "Heimatbewegung" drittstärkste Kraft im Land geworden. Die beiden etablierten großen Parteien, die sozialdemokratische SDP und die konservative HDZ, holten in Zagreb jeweils nur etwa zehn Prozent der Stimmen.

Das ist nicht weniger als eine Zeitenwende: Viele Wähler in der Hauptstadt können mit den lang gehegten Rivalitäten der traditionellen politischen Lager nicht mehr viel anfangen, die einander mit gegensätzlichen Lesarten zur Rolle Kroatiens im Zweiten Weltkrieg und zur Herrschaft von Josip Broz Tito im früheren Jugoslawien beharken. Sie wünschen sich einen Neuanfang, ein Ende von Vetternwirtschaft und korrupten Strukturen.

Ende Februar ist eine Ära abrupt zu Ende gegangen, als der damalige Bürgermeister von Zagreb, Milan Bandić, an einem Herzinfarkt starb. Der ehemalige Sozialdemokrat, der später seine eigene Partei gegründet und sich dem konservativen Lager angenähert hatte, regierte die Hauptstadt insgesamt fast zwei Jahrzehnte lang. Seine Kritiker machten ihn für Filz und Ineffizienz in der Verwaltung verantwortlich. Mehrmals wurde gegen ihn wegen Korruptionsvorwürfen ermittelt.

Stadtbekannter Aktivist für nachhaltige Entwicklung

Einer dieser Kritiker wird nun voraussichtlich sein Nachfolger. Fotos von Tomislav Tomašević, die nach seinem Wahlsieg Mitte Mai in sozialen Medien zirkulierten, zeigen ihn, wie er im Jahr 2010 eine Demonstration gegen ein umstrittenes Parkhausbau-Projekt anführt. Dieses galt seinerzeit als Symbol für Bandić' Misswirtschaft.

Es war ein erster Höhepunkt seiner Laufbahn als stadtbekannter Aktivist. Tomašević war Geschäftsführer einer Umweltorganisation, organisierte diverse Kampagnen gegen zu hohe Mieten und für nachhaltige Entwicklung. Er hat erst Jura, dann Politikwissenschaft in Zagreb studiert und in Cambridge einen Abschluss in "Umwelt, Gesellschaft und Entwicklung" gemacht. Nach seiner Rückkehr arbeitete er zunächst für das Zagreber Büro der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung, wurde dann Programmleiter eines Instituts, das die Wechselwirkungen von Umweltschäden und sozialer Ungleichheit erforscht.

Während des Wahlkampfs wurden diverse Details seines Privatlebens in Medien und Öffentlichkeit kolportiert. Etwa der Spitzname "Senf", den ihm alte Freunde verliehen haben sollen, weil eine bekannte internationale Senfmarke der Kurzform sowohl seines Vor- als auch seines Nachnamens entspricht. Von sich selbst sagte Tomislav Tomašević einmal, er sei in einer Familie aufgewachsen, in der unterschiedlichste politischen Positionen vertreten wurden. Deshalb sei er in der Lage, "Menschen mit verschiedenen Ansichten zu akzeptieren".

Zuerst die Hauptstadt verändern, dann ganz Kroatien

Anfeindungen aus dem rechten Lager, er sei ein Linksradikaler und stehe den "traditionellen Familienwerten" des katholisch geprägten Landes feindselig gegenüber, hielt er in einem Interview entgegen, seine Frau und er hätten in einer katholischen Kirche geheiratet. Die Zeremonie habe sein Onkel geleitet, der übrigens Generalsekretär der Bischofskonferenz von Bosnien-Herzegowina sei. "Wir sind keine Atheisten, aber wir sind auch keine klassischen Gläubigen", sagte Tomašević über seine Frau und sich selbst.

Im Wahlkampf erklärte Tomašević, der im Rest Kroatiens längst noch nicht so bekannt ist wie in Zagreb, das Bündnis "Možemo" wolle zuerst die Hauptstadt verändern, dann das ganze Land. Mit diesem Anspruch ist er nicht der einzige in Südosteuropa. Auch andere Hauptstädte werden inzwischen von vergleichsweise jungen Bürgermeistern regiert, die sich vom jeweiligen politischen Establishment ihrer Länder distanzieren. In Budapest etwa hat der linksliberale Gergely Karácsony, der sich 2019 gegen einen Kandidaten der nationalkonservativen Regierungspartei Fidesz durchsetzte, kürzlich erklärt, er wolle im kommenden Jahr bei der Parlamentswahl als Kandidat eines Oppositionsbündnisses gegen den Amtsinhaber Viktor Orbán antreten.

Für Zagreb hat sich Tomislav Tomašević, sofern er denn wie erwartet die Stichwahl am Sonntag gewinnt, zunächst vorgenommen, mehr öffentliche Parks zu schaffen und den öffentlichen Nahverkehr auszubauen. Seinen Dienstwagen will er nur in seltenen Fällen "fürs Protokoll" nutzen und sich ansonsten so viel wie möglich per Fahrrad und zu Fuß durch die Stadt bewegen.

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