Yıldırım in Oberhausen:Bereit für eine mächtige Türkei

Ministerpräsident Yıldırım trommelt in Oberhausen dafür, dem jetzt schon übermächtigen Erdoğan mehr Macht zu verschaffen. Tausende in Deutschland lebende Türken jubeln. Warum?

Von Deniz Aykanat, Oberhausen

Im Korridor zur Arena hört man schon die Schreie "evet, evet, evet", "ja, ja, ja". An der Wand hängen vergilbte Tourplakate von den Kastelruther Spatzen und Chris de Burgh. Die Szenen in der Arena erinnern dann auch eher an ein Konzert als an eine politische Veranstaltung: Ein Meer aus roten Türkei-Flaggen wogt durch die Halle, eine junge Frau mit Kopftuch trägt stapelweise AKP-Flaggen hinauf in die Ränge. Mehrere Redner heizen die Menge immer wieder an. "Wie stimmt ihr am 16. April?" "Ja! Ja! Ja!"

Dann ertönt ein türkischer Pop-Song, extra für die Kampagne der Evet-Fraktion komponiert. Der Refrain lautet: "Türkei, Türkei, Türkei! Natürlich ja, natürlich ja, natürlich ja." Mit ziemlicher Sicherheit werden fast alle der 8000 Besucher der Arena in Oberhausen am 16. April mit "ja" stimmen. "Ja" zur Verfassungsreform, "ja" zum Präsidialsystem, "ja" zu mehr Macht für den jetzt schon übermächtigen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Sie sind aus allen Teilen Deutschlands nach Oberhausen gekommen, um in der riesigen Mehrzweckhalle dem türkischen Ministerpräsidenten Binali Yıldırım zu bejubeln. Der soll in Deutschland dafür werben, dass Erdoğans Plan eine Mehrheit bekommt.

Aus dem Baukasten für populistische Reden

Dann betritt der Ministerpräsident unter tosendem Applaus die Bühne. "Ich überbringe vom ganzen türkischen Volk die herzlichsten Grüße an euch", sagt er. "Wenn es euch gut geht, geht es mir gut. Wenn ihr hoffnungsvoll seid, bin auch ich es." Yıldırım steht nicht wie festgenagelt am Rednerpult, er wandert umher wie der launige Gastgeber einer Samstagabend-Show. Das Publikum jubelt ihm zu wie einem Popstar. "Ihr seid türkische Staatsbürger, die für Freiheit, Frieden und Brüderlichkeit einstehen", ruft er in die Menge. Und: "Vergesst nicht, ihr seid hier nicht allein. 80 Millionen Türken sind eure Freunde." Seine Parolen stammen aus dem Baukasten für populistische Reden.

Er zählt auf, was die AKP-Regierung für in Deutschland lebende Türken bisher getan hat: von der Mavi-Card, die Türkeistämmigen, die die türkische Staatsbürgerschaft zugunsten der deutschen abgaben, weiterhin weitreichende Bürgerrechte in der Türkei gewährt, bis zu Abkommen mit Telefonanbietern, damit sie billiger in die Heimat telefonieren können. Yıldırım sagt nichts, was er nicht schon dutzende Male gesagt hat.

Als er über die Nacht spricht, in der das Militär den Putsch gegen den Präsidenten gewagt hat, buht die Menge, vor allem als das Wort Gülen fällt. Der einstigen Atatürk-Partei CHP, der größten Oppositionspartei in der Türkei, wirft er ein falsches Spiel vor. Auch hier buht die Menge wie geplant.

Draußen ist die Polizei mit einem Großaufgebot im Einsatz. Ein Fußballspiel zwischen Rot-Weiß Essen und der zweiten Mannschaft des BVB Dortmund musste zuvor schon abgesagt werden, das hätte die Polizei sonst nicht mehr stemmen können.

Reisebus reiht sich an Reisebus, Händler verkaufen Fanschals mit Erdoğan-Konterfei und türkische Flaggen. Sie machen ein gutes Geschäft. Im Eingangsbereich stehen mehrere junge Frauen, die Gesichter stark geschminkt, die Kopftücher straff um das Gesicht gebunden und um den Hals die die Eintrittskarte mit dem Slogan von Yıldırıms Besuch "Wer das Heimatland liebt, stimmt mit Ja".

Was wird dieser 16. April bringen? An diesem Tag wird in Deutschland die Auferstehung Christi gefeiert, zumindest von gläubigen Christen, der Rest gönnt sich ein üppiges Frühstück und sucht Ostereier. Für Türken wird der 16. April hingegen womöglich als der Tag in die Geschichte eingehen, an dem sich ein Volk die eigenen Rechte nahm. Oder, wenn man die Menschen in dieser Halle fragt, der Tag an dem die Türkei zu alter Größe zurückkehrte.

Alles sieht danach aus, dass die Mehrheit der Türken für die Pläne des Präsidenten stimmt. AKP und Erdoğan selbst sagen, sie wollen ein Präsidialsystem nach Vorbild Frankreichs und der USA. Doch das stimmt natürlich nicht. Dem Präsidenten, also Erdoğan, sollen durch die Verfassungsreform so weitreichende Befugnisse verliehen werden, dass das türkische Parlament danach nur noch einem Marionettentheater gleichen wird. Der Präsident könnte weitgehend per Dekret regieren, den Ausnahmezustand verhängen, Minister und Spitzenbeamte ernennen oder das Parlament auflösen. Und der Mann, der in Oberhausen für die Verfassungsreform trommelt, der wäre seinen Job los. In der neuen Türkei wäre auch kein Platz für einen Ministerpräsidenten.

"Seid ihr bereit für eine mächtige Türkei?"

Das hält Yıldırım nicht davon ab, alles zu geben. "Seid ihr bereit für eine mächtige Türkei?", brüllt Yıldırım so laut in die Halle, dass ihm fast die Stimme kippt. "Ja!!!!"

Mitorganisiert wurde die Veranstaltung von der türkischen Regierung, angemeldet von der UETD, der Union Türkisch-Europäischer Demokraten, die der türkischen Regierungspartei AKP nahesteht. Da es sich um eine private Veranstaltung handelt und nicht um einen offiziellen Staatsbesuch, haben deutsche Behörden aber wenig Handhabe, solche Auftritte zu verhindern.

Die Grünen sehen das anders. "Es gibt einem schon zu denken, dass der türkische Ministerpräsident Yıldırım Wahlkampf für einen Staat von Erdoğans Gnaden unter den in Deutschland lebenden türkischen Staatsbürgern macht, während die Opposition in der Türkei in Gefängnissen schmort", sagte Parteichef Cem Özdemir. Und die FDP forderte die Bundesregierung gar auf, den Auftritt zu verhindern. "Deutschland ist keine Werbeplattform, um für die Entdemokratisierung, die Abwicklung eines Rechtsstaats und die Einführung der Todesstrafe zu werben", sagte Parteichef Christian Lindner. Auch die kurdische Gemeinde fand es "nicht nachvollziehbar, warum in einem demokratischen Land für eine Diktatur in einem anderen Land geworben werden darf."

Ein verkorkstes Verhältnis

Die Bundesregierung und das Auswärtiges Amt hingegen waren in den Tagen vor Yıldırım Auftritt sichtlich darum bemüht, dass sich die Aufregung legt: "Wir gehen selbstverständlich davon aus, dass alle Beteiligten dieser Veranstaltung in Oberhausen sicherstellen werden, dass dabei nicht innertürkische Konflikte in irgendeiner Weise hier auf deutschem Boden ausgetragen werden", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

Seiberts Aussage führt allerdings knapp am Thema vorbei. Der Konflikt ist längst da. Binali Yıldırım trägt ihn mit seinem Auftritt nicht ins Land, er veranschaulicht ihn nur. Dass in Deutschland tausende Menschen zu einer Veranstaltung rennen, die für das Einführen der Autokratie in ihrem Herkunftsland wirbt, zeigt vielmehr das verkorkste Verhältnis zwischen dem deutschen Staat, der deutschen Gesellschaft zu einem ihrer Teile: den Türkeistämmigen.

Canan Senel, groß gewachsen, rote Locken, erzählt, wie es ihrer Mutter erging, als diese als Gastarbeiterin nach Deutschland kam. Wie ein Tier sei sie untersucht worden, sagt Senel. "Die haben ihre Zähne begutachtet. Jahrelang hat sie für Deutschland gearbeitet, jetzt liegt sie krank zuhause." Die Türkei solle wieder zu ihrer alten Größe zurückfinden, als es noch das Osmanische Reich gab, fordert Senel. "Warum soll die Türkei nicht dieselbe Macht haben wie die USA oder Deutschland."

Erdoğan und seine AKP haben mit ihrer Hinwendung zu den türkischen Auswanderern einen Nerv getroffen. Vor allem bei denjenigen, die sich in der türkischen Gesellschaft nicht angenommen fühlen. Und so tönt es aus den Rängen in der Arena am lautesten, wenn Yildirim von der Stärke und Macht der Türkei spricht, für die die AKP stehen will. "Seid ihr bereit, für eine neue mächtige Türkei?" "Wir sind bereit!"

"Nicht alles Idioten"

Fast drei Millionen Menschen, die entweder selbst oder deren Eltern aus der Türkei stammen, leben in Deutschland. Etwa 1,4 Millionen davon sind berechtigt, an türkischen Wahlen teilzunehmen. Erdoğan war es, der ihnen vor ein paar Jahren zu dem Recht verhalf, in den türkischen Auslandsvertretungen ihre Stimme abzugeben. Bei den letzten Parlamentswahlen im November 2015 stimmten 59,7 Prozent der Türken in Deutschland für Erdoğans AKP, etwa 500 000 waren zur Wahl gegangen. Im Ruhrgebiet, wo Yıldırım auftritt, ist die Unterstützung für die AKP besonders hoch. Wie viele der drei Millionen Türkeistämmigen, ob nun mit deutschem, türkischem oder beiden Pässen, nun aber tatsächlich die AKP favorisieren, ist schwer zu sagen. Doch Veranstaltungen wie jene in Oberhausen prägen das Bild der Türkeistämmigen. Diejenigen, die Erdoğan nicht anhängen, finden wenig Gehör.

Nilgün Rudolphi-Yumusak zum Beispiel. Die Kurdin mit Wurzeln in der Türkei hält ein Schild mit dem Wort "Hayir" hoch. Nein. Mit einer Gruppe von ein paar hundert Menschen steht sie vor dem Oberhausener Hauptbahnhof. Kurdische Lieder werden von der Internationalen abgelöst. Sie erzählt von ihrem letzten Urlaub in der Türkei, nach dem Putschversuch. Mittlerweile werde sie schon schief angeschaut, wenn sie als Frau auf der Straße eine Zigarette rauche. Frauen würden immer öfter angegangen, wenn sie sich nicht sittsam genug kleideten. "Die Türken, die hier wählen gehen und für Ja stimmen, machen das Leben der Menschen in der Türkei kaputt", sagt sie und erzählt von einer türkischen Kollegin in Deutschland, mit der sie sich seit dem Putschversuch kaum noch unterhalten könne. "Die hat ein Haus im Grünen, einen tollen Job, sie ist gebildet. Die Menschen in Deutschland, die Erdoğan hinterherlaufen, sind nicht alles Idioten."

In Deutschland fragen sich viele, warum da ein Teil der Gesellschaft "Todesstrafe, Todesstrafe" skandiert. Warum sie zu Tausenden zusammenkommen, um der Propaganda zu lauschen. Warum ein Politiker hier auftritt, der für die Verhaftung von tausenden Menschen verantwortlich ist. Der in der Türkei ungeniert gegen Minderheiten hetzt.

Doch: Ähnliche Fragen stellt man sich vermutlich auch, wenn man montags in Dresden Pegida-Aufmärsche beobachtet.

Als wäre es ein Volksfest

Was dem Besuch des türkischen Ministerpräsidenten aber einen besonderen Beigeschmack verleiht, sind die Umtriebe der AKP, die bis nach Deutschland reichen. Da ist der Moscheeverband Ditib, der unter Verdacht steht, Mitglieder ausspioniert zu haben. Da ist die UETD in Köln, die nach dem Putschversuch in der Türkei eine Hotline auf ihrer Website veröffentlichte, mit dem Aufruf vermeintliche Verdächtige zu verpetzen.

In der Arena wird die Stimmung derweil immer ausgelassener, junge Männer in frischgebügelten Hosen und gestärkten Hemden binden sich Türkei-Flaggen wie Umhänge um. Die Ordner und freiwilligen Helfer sind gut gelaunt und freundlich. Die Kinder sind mit Halbmond und Stern auf den Wangen geschminkt. Als wäre Volksfest und es gehe darum, sich das nächste Karussell auszusuchen. Nur, dass nicht alle dazu eingeladen sind. Reportern der neuen Berliner Nachrichtenseite Özgürüz, die der türkische Exil-Journalist Can Dündar kürzlich gegründet hat, wird der Zutritt zur Arena verweigert. Und auch ein taz-Journalist darf nicht rein.

"Ist das jetzige politische System in der Türkei gut? Offensichtlich nicht!", schreit Yıldırım . Nach fast einer Stunde kommt er langsam zum Ende. "Wenn ein Schiff zwei Kapitäne hat, geht es unter." Der Schiffbauingenieur wählt diesen Vergleich gerne, um zu erklären, warum er sich dafür einsetzt, dass sein eigenes Amt abgeschafft wird.

Am Donnerstag vor Yıldırıms Auftritt war in einer Chemiefabrik in Oberhausen ein Tank mit Schwefelsäure geborsten. Eine giftige Wolke breitete sich über Teilen der Stadt aus. Unsichtbar. Aber mit ätzender Wirkung.

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