China schränkt mit einem neuen Gesetz in der nordwestlichen Provinz Xinjiang die Religionsfreiheit der Einwohner ein. Das Gesetz gilt seit diesem Wochenende und verbietet das Tragen "abnormal" langer Bärte und die Verschleierung in der Öffentlichkeit. Die Maßnahmen sollen laut staatlicher Nachrichtenagentur Xinhua Extremismus "eindämmen und ausradieren", sowie eine Grenze zwischen "legaler" und "illegaler" Religion ziehen.
Laut Xinhua gelten künftig 15 Verhaltensweisen als Zeichen von "Extremismus". Dazu zählt etwa die Heirat durch religiöse statt staatliche Zeremonien, oder die "Einmischung in die religiösen Freiheiten von anderen". Auch eine Weigerung, staatliches Fernsehen zu sehen, kann künftig bestraft werden. Das Gesetz beschränkt zudem die Verwendung des Begriffs "Halal", mit dem im islamischen Recht erlaubte Dinge und Handlungen geregelt werden. Halal soll demnach nur noch für Lebensmittel zulässig sein, nicht mehr für andere Lebensbereiche. Allerdings sind viele Formulierungen unklar, etwa ab welcher Länge ein Bart als unnormal zu gelten hat. Die Regierung in Peking hält die Verbote für notwendig, um religiösen Fundamentalismus, islamistischen Terror und Separatismus zu bekämpfen.
Die Maßnahmen dürften das religiöse Leben in der Region stark einschränken. Etwa die Hälfte von Xinjiangs 22 Millionen Einwohnern sind Muslime. Sie gehören vorwiegend der uigurischen Minderheit Chinas an, einem Turkvolk mit eigener Sprache und Kultur.
Verpflichtende Anti-Terror-Übungen und Flaggen-Zeremonien
In den letzten Monaten haben sich die Spannungen in der Region massiv verschärft. Im November begannen die Behörden damit, Reisepässe in Xinjiang einzuziehen. Einwohner benötigen nun eine spezielle Erlaubnis, um ins Ausland zu reisen und ihre Pässe zurückzubekommen. Bei der Bewerbung für Reisedokumente müssen Einwohner teilweise DNA-Proben abgeben. Der Verkehr wird satellitengestützt überwacht. Die Regierung rechtfertigt die strengen Sicherheitsvorkehrungen mit Angriffen gewaltbereiter Extremisten. Im Februar kamen bei einem Messerangriff im Süden von Xinjiang acht Personen ums Leben. Unmittelbar nach dem Vorfall entsandte die Zentralregierung in Peking Tausende schwer bewaffnete Sicherheitskräfte in die Unruheprovinz. Die Polizisten halten seither lautstarke Aufmärsche und Ehrbezeugungen in größeren Städten ab.
Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet von hysterischen Szenen, die sich in der Stadt Kashgar abspielen. Drei Mal täglich schallen Sirenen durch die Straßen der alten Handelsstadt. Daraufhin rennen Ladenbesitzer aus ihren Geschäften und fuchteln mit Holzschwertern herum - laut Reuters handelt es sich um neu eingeführte, verpflichtende Anti-Terror-Übungen, um die Abwehr von messerschwingenden Angreifern zu trainieren. Die Nachrichtenagentur berichtet zudem von wöchentlichen Zeremonien, bei denen die chinesische Flagge gehisst wird. Für Uiguren sei die Teilnahme an solchen Zeremonien Pflicht, Vertreter der Kommunistischen Partei überprüften die Ausweise der Anwesenden und ihre Kleidung.
Xinjiang:Keine langen Bärte mehr, dafür Anti-Terror-Übungen
In der chinesischen Unruheprovinz Xinjiang gehen die Behörden immer stärker gegen die Religionsausübung der Uiguren vor.
Knotenpunkt der neuen Seidenstraße
Der Kopf hinter der härteren Gangart der chinesischen Behörden ist Chen Quanguo, seit letztem August Parteichef von Xinjiang. Seit seinem Amtseintritt ließ Chen Tausende neue Polizeihäuschen errichten, die teilweise nur einige hunderte Meter voneinander entfernt an Straßenkreuzungen liegen. Solch ein netzwerkartiges Polizeisystem zum "sozialen Management" hatte Chen zuvor in Tibet aufgebaut, wo er sich in seiner fünfjährigen Amtszeit den Ruf eines Hardliners erwarb. Beobachter fürchten, Chen könnte in Xinjiang den bestehenden Überwachungsapparat massiv ausbauen.
Für den chinesischen Präsidenten Xi Jinping steht in Xinjiang viel auf dem Spiel. Die Region ist ein Knotenpunkt seiner außenpolitischen Strategie "ein Gürtel, eine Straße". Mit Investitionen im Wert von vielen Milliarden US-Dollar will Peking die alte Seidenstraße für den Handel mit dem Westen wiederbeleben. Unruhe in einer wichtigen Transitregion kann Xi für sein Prestigeprojekt nicht gebrauchen.
Ein neuer Bericht der Menschenrechtsorganisation Freedom House kommt zum Ergebnis, dass die Restriktionen des religiösen Lebens seit 2012 unter Xi erheblich zugenommen haben. Laut Freedom House sind die Repressionen jedoch häufig kontraproduktiv: "Das Ergebnis ist wachsender Unmut und Wut auf die chinesische Regierung unter Uiguren."