Süddeutsche Zeitung

Wutrede im Bundestag:"Was für ein Blödsinn"

  • Die AfD reizt selbst die freundlichsten und verbindlichsten Abgeordneten im Bundestag - das bewies jüngst die Grünen-Politikerin Britta Haßelmann.
  • Die Fraktions-Geschäftsführerin hielt eine laute und zornige Rede gegen das von der AfD befeuerte Gerücht, dass sich die Abgeordneten heimlich bereichern wollten.
  • Für ihre Worte ernetete die sonst so bescheidende Politikerin donnernden Applaus von allen anderen Fraktionen.

Von Stefan Braun, Berlin

Darauf mussten die Abgeordneten bei Britta Haßelmann lange warten: einen harschen Auftritt. Wahrscheinlich hätte es ihn ohne die AfD nie gegeben. Doch deren Gebaren im Bundestag bringt inzwischen die freundlichsten und verbindlichsten Abgeordneten auf die Palme. Am Mittwoch war es bei der Grünen-Politikerin so weit.

Wer ihre kurze Rede im Nachgang noch einmal ansieht, der zwickt sich erst mal in den Arm - weil man so viel Zorn, Lautstärke und Entschlossenheit bei Britta Haßelmann nicht für möglich gehalten hätte. Die Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion zählt seit Jahren zu den uneitelsten Führungspersonen in der Hauptstadt. Bescheiden, nie aggressiv, in keiner Frage fundamentalistisch. Sie sucht nicht die Attacke und auch nicht die große Bühne. Am Mittwoch aber packte sie ein heiliger Zorn, weil die AfD falschspielte.

Es ging um das für die Abgeordneten nicht eben leichte Thema, zu Beginn einer Legislaturperiode die Abgeordnetendiäten automatisch an die Nettolohnentwicklung zu koppeln. Was auf den ersten Blick wie Vorteilsnahme in eigener Sache aussieht, ist seit Jahren strikt geregelt. Deshalb kann es keine Einflussnahme geben; die Anpassung muss schlicht alle vier Jahre verlängert werden. Trotzdem befeuerte die AfD das Gerücht, die Abgeordneten wollten sich heimlich bereichern - und lancierte die Nachricht, sie allein habe erzwungen, dass darüber debattiert werde.

"Was für ein Blödsinn", schimpfte Haßelmann nun. Alles sei transparent abgelaufen, die AfD habe nie Einspruch erhoben. Im Übrigen habe die CDU die Aussprache angestoßen. Wer meine, er könne alle anderen vorführen, der müsse "früher aufstehen".

Für alle Demokraten gesprochen

Es folgte eine Szene, die sich noch oft wiederholen könnte: donnernder Applaus bei allen Fraktionen und viele Hände, die Haßelmann dankten. Nur die AfD stand alleine da und viele ihrer Abgeordneten machten ein Gesicht, als seien sie bei einer Schummelei ertappt worden.

Für Haßelmann geht es jedoch längst um mehr als Tricksereien. Seit Wochen wächst bei ihr das Gefühl, die AfD nutze ihre Präsenz im Parlament vor allem, um das Parlament madig zu machen. "Diese Art von Verächtlichmachung ist gefährlich", warnt Haßelmann. "Das muss entlarvt werden." Deshalb habe sie "nicht nur für die Grünen, sondern für alle Demokraten gesprochen".

Der Wirbel darum ist ihr fast schon unangenehm. Im Mittelpunkt stehen ist ihre Sache nicht so wirklich. Viele Jahre hat die heute 56-Jährige in der Sozialhilfe gearbeitet, dann wechselte sie in die Landespolitik, wurde später Vorsitzende der Grünen in Nordrhein-Westfalen. Seit 2005 sitzt sie im Parlament, aber so viel Zuspruch wie jetzt hat sie noch nie erfahren.

In ihrem Büro hängt ein Plakat aus dem westfälischen Landesmuseum. Es erinnert an eine Ausstellung mit dem Titel: "Als die Frauen noch sanft und engelsgleich waren". Seit 20 Jahren ist es immer wieder mit ihr umgezogen. Sie mag es; es ist so wunderbar ironisch.

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SZ vom 15.12.2017/spes
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