Wulff Nachfolger von Köhler:Kandidatensuche à la Kanzlerin

Ignorieren, bremsen, abwägen: Während Köhler 2004 als Beleg für Merkels machttaktische Künste galt, zeigt die Nominierung seines Nachfolgers, in welch schwerem Wasser sich die Kanzlerin derzeit befindet. Wie es passieren konnte, dass von der Leyen als Favoritin galt - und am Ende doch Christian Wulff das Rennen machte. Ein Rückblick.

Stefan Braun

Am Schluss wird es ausgerechnet Christian Wulff, der Erfinder von Ursula von der Leyen. Der Mann, der die Tochter des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht vor wenigen Jahren in die Politik geholt hat. Das klingt bitter, fast zynisch, weil am Ende der Eindruck entstanden ist, der Noch-Ministerpräsident aus Hannover habe dieser Ursula von der Leyen in letzter Sekunde die Chance auf das höchste Staatsamt weggeschnappt. Doch die Frage, wie es passieren konnte, dass von der Leyen tagelang als Favoritin gehandelt wurde und am Ende Wulff das Rennen macht, ist dann doch komplizierter, als dass es mit einem einfachen Weggeschnappt ausreichend beschrieben wäre.

Bavarian state premier and CSU head Seehofer, German Chancellor and CDU head Merkel and Foreign Minister and FDP head Westerwelle present their candidate for presidential office Wulff in Berlin

CSU-Chef Seehofer, FDP-Vorsitzender Westerwelle (v.re.) und Kanzlerin Angela Merkel hatten sich am Ende doch noch geeinigt: Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff soll Köhlers Nachfolger werden.

(Foto: rtr)

Sicher ist nur: Anders als 2004 ist die Suche nach einem Präsidentschaftskandidaten diesmal zu dem geworden, was Angela Merkel vermeiden wollte: einem Prozess, aus dem die Kanzlerin am Ende mehr als Getriebene denn als Gestalterin rauskommt. Horst Köhlers Nominierung 2004 galt als Beleg für Merkels machttaktische Künste. Die Nominierung seines Nachfolgers Christian Wulff zeigt, in welch schwerem Wasser sich Merkel derzeit befindet.

Dienstag: Alles begann mt einer Falschmeldung

Angefangen hat es mit einer Falschmeldung. Am Dienstagnachmittag berichtet eine Regionalzeitung, die Kanzlerin habe im Sechs-Augen-Gespräch der drei Parteivorsitzenden Ursula von der Leyen als ihre Kandidatin vorgeschlagen. Wohlgemerkt: vorgeschlagen! Die Meldung verbreitet sich schnell, und viele denken, die Sache sei fast schon entschieden. Nach dem Motto: Wenn Merkel das tue, dann müsse sie sich sicher fühlen, dann müsse es auch so kommen. Allein: Merkel hat den Namen Ursula von der Leyen in der Sitzung gar nicht in den Mund genommen, geschweige denn vorgeschlagen. Genannt hat den Namen CSU-Chef Horst Seehofer, kombiniert mit anderen möglichen Kandidaten. Und Guido Westerwelle signalisiert weder Zustimmung noch erkennbare Ablehnung, sondern betont, zunächst müsse am Abend sein Präsidium die generelle Linie der FDP beschließen. Eine Botschaft, der Seehofer und Merkel mit Verweis auf die eigenen Präsidien sofort zustimmen.

Das Suchen und Abwägen hat hinter den Kulissen also gerade begonnen - während draußen viele Nachrichtenagenturen und Medien sie schon für so gut wie beendet erklären. Und das, obwohl die versammelte Riege der Regierungs- und Parteisprecher aus Union und FDP bemüht ist, zu bremsen.

Mittwoch: Der Würfel scheint schon gefallen

Das wird am nächsten Tag, dem Mittwoch, nicht besser. Als CSU und FDP am Morgen aus ihren Präsidien grundsätzliche Unterstützung für von der Leyen signalisieren, scheint für die Medien der Würfel gefallen. Merkel hat vorgeschlagen, die anderen machen mit - da kann doch eigentlich nichts mehr schief gehen.

Kann es aber doch. Denn während die meisten Medien sich auf Ursula von der Leyen konzentrieren und manches Boulevardblatt ab Mittwochmittag hoch verärgerte Beschwerdeanrufe startet, warum von der Leyen denn noch immer nicht nominiert sei, tut Merkel, was sie immer tut in diesen Fällen: Sie ignoriert alle Berichte, bremst absichtlich das Tempo, wägt ab, prüft das Für und Wieder und schert sich nicht drum, was die Medien zu wissen glauben.

Dabei gewinnen bei ihr zwischen Dienstagabend und Mittwochmittag durch Zwiegespräche, Telefonate und in Beraterrunden zwei Überlegungen bei ihr an Bedeutung: Erstens wäre von der Leyen als wichtiger Pluspunkt im Kabinett schwer zu ersetzen. Wie sagt es einer, der mit dabei ist: "Sie ist unser großes Pfund gerade auch bei den Gewerkschaften. Deshalb werden wir sie als Regierung noch dringend brauchen." Außerdem ist die Frage des Ersatzes im Kabinett schwierig. Nähme Merkel Volker Kauder als Arbeitsminister, wäre der Fraktionsvorsitz schwer zu besetzen. Nähme sie Kanzleramtsminister Ronald Pofalla, müsste sie für ihren Vertrauten einen Ersatz auftreiben. Beides behagt Merkel überhaupt nicht.

Warten auf ein Zeichen aus Niedersachsen

Zweitens aber, und das ist genauso wichtig, spürt Merkel, dass einer, so er gar nicht berücksichtigt wird, ihr noch schwere Probleme bereiten könnte. Seit Roland Kochs Rücktrittserklärung vor anderthalb Wochen und der neu ausgebrochenen Debatte über Merkels vermeintliche Benachteiligung der alten westdeutschen Männermannschaft um Koch, Peter Müller, Friedrich Merz und Wulff steht die CDU-Vorsitzende unter noch größerem Druck, sich diese Truppe nicht noch mehr zum Gegner zu machen. Deshalb reift im Laufe des Mittwoch bei ihr die Überzeugung, dass sie den Niedersachsen Christian Wulff nicht ignorieren und auf gar keinen Fall vergraulen darf. Zu instabil ist nach der Niederlage in Nordrhein-Westfalen ihre Lage in der CDU geworden; zu wichtig ist es, dem nach wie vor mächtigen Wulff gegenüber loyal zu erscheinen.

Dabei spielt die Erinnerung an die Zeit vor sechs Jahren eine wichtige Rolle. Damals hat sie (auch) unter dem Druck der FDP mit Wolfgang Schäuble jenen Politiker verhindert, der parteiintern als der beste CDU-Kandidat galt. Deshalb war sie seinerzeit gezwungen, einen Seiteneinsteiger aufzutreiben. Wäre sie 2004 statt mit Schäuble mit einem schwächeren CDU-Kandidaten angetreten, wäre die Mehrheit in der Bundesversammlung sehr unsicher gewesen.

Kaum anders, so ist es zu hören, empfindet sie ihre Lage diesmal. Sie mag andere CDU-Politiker für besser halten - solange andere erklären könnten, Wulff sei durch sie blockiert worden, muss sie sich um ihn kümmern. Andernfalls könnte ihre Lage in der CDU noch unbequemer werden als jetzt schon. Ihr einziges Problem: Wie spricht sie mit dem Niedersachsen? Fragt sie ihn direkt, ob er möchte? Oder sieht das aus wie eine offizielle Anfrage, was sie gerne vermeiden würde?

Am Ende entscheidet sie sich für ein gemeinsames Essen am Dienstagabend, in dem Wulff ihr noch kein klares Signal gibt. Und so folgt eine Zeit, in der zwei Entwicklungen parallel laufen. Während die meisten Medien auf von der Leyen setzen, wartet Merkel auf ein Zeichen aus Niedersachsen.

Dieses kommt am Mittwochnachmittag - allerdings ohne dass die Leute vor den Kulissen es mitbekommen. Als Merkel Seehofer und Westerwelle über die neue Personalie informiert, wächst bei beiden zunächst der Unmut. In der CSU, weil Wulff mit manchem unter den Bayern eine Geschichte des Streits hinter sich hat. Und bei der FDP, weil Parteichef Westerwelle sich auf etwas anderes eingestellt hat. Die Folge: Während von der Leyen in der Öffentlichkeit weiter gepuscht wird, beginnt zwischen Merkel, Seehofer und Westerwelle, aber auch in der CDU-Spitze, eine Debatte.

Die einen plädieren dafür, dass man von der Leyen nicht mehr fallen lassen könne. Zu weit sei das schon gediehen, zu gut sei der Vorschlag - und zu problematisch wäre ein Rückzieher. Die anderen werben um Verständnis, dass mit Wulffs Nominierung die Partei befriedet werde und das Kabinett zum Nutzen aller unangetastet bleibe.

Am Ende setzt sich Merkel mit der Wulff-Variante durch, wird aber von der öffentlichen Von-der-Leyen-Welle fast überspült. Sonderlich gut sieht das nicht aus. Zunächst lanciert sie am Donnerstagnachmittag, von der Leyen sei aus dem Rennen. Wenig später folgt die Einladung zum gemeinsamen Auftritt mit dem Mann aus Niedersachsen.

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