Wulff nach Freispruch:Der Geschmähte erhält eine neue Chance

Christian Wulff hat sich durch eigenes Verhalten um alles gebracht, was ihm wichtig war: Amt, Familie und Reputation. Der Freispruch kann für Wulff ein Neuanfang sein. Dazu müsste er allerdings anfangen zu verstehen, warum sein Rücktritt als Bundespräsident unvermeidlich war.

Ein Kommentar von Thorsten Denkler, Berlin

Christian Wulff ist freigesprochen worden. Das Urteil war so erwartbar, dass nicht einmal mehr die Staatsanwaltschaft an einen Erfolg ihrer Klage glauben konnte. Stellt sich also die Frage: War alles umsonst? Die ganze Aufregung, der Rücktritt, die Schmähungen, der Zerfall seiner Familie, alles umsonst?

Nein, war es nicht. Wulff mag strafrechtlich rehabilitiert sein. Ein Vergehen war ihm zumindest nicht nachzuweisen. Sein Rücktritt aber bleibt richtig. Wer den Fall Wulff verstehen will, der darf nicht allein auf den Freispruch schauen, sondern muss sich auch an den Anfang erinnern. Und am Anfang war da ein niedersächsischer Ministerpräsident, der unbedingt ins höchste Staatsamt wollte. Er wurde nicht gedrängt, er hat das Amt gefordert.

Warum auch immer.

Wulff hatte keine Idee für das Amt. Als er Tage vor seiner Wahl dazu befragt wurde, sagte er in kleinem Kreis, darüber werde er sich Gedanken machen, wenn er gewählt sei. Vielleicht dachte er darüber dann Wochen später während seines Sommerurlaubs in der Ferienvilla des windigen Ex-Finanzberaters Carsten Maschmeyer nach.

Vielleicht ist ihm dort der Satz eingefallen, den er später zum Tag der Deutschen Einheit 2010 in Bremen sagte: "Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland." Diese Worte sind es, die inhaltlich vom Bundespräsidenten Wulff übrig geblieben sind.

Die Debatten um diesen ersten Urlaub hätten Wulff Warnung genug sein sollen, dass es etwas anderes ist, Bundespräsident zu sein als Regierungschef in Hannover.

Worte und Taten des Bundespräsidenten passten nicht zusammen

Er wollte es wohl nicht wahrhaben. Telefonische Drohungen auf der Mailbox des Bild-Chefredakteurs. Ein verheimlichter Hauskredit, den Wulff sich als Ministerpräsident sehr günstig von einem hannoverschen Geschäftsmann und Freund hat geben lassen. Seine völlig verunglückten Rechtfertigungsversuche im Fernsehen. Und natürlich das Bobbycar, ein privates Geschenk eines Autohändlers, den Wulff dann prompt und hochoffiziell zum Sommerfest ins Schloss Bellevue eingeladen hat. Wulff pflegte auch als Bundespräsident seine Netzwerke weiter.

Für all das stehen keine Verbote im Gesetz. Und doch bringt sich ein Bundespräsident so in Verruf. Darin liegen die wahren Gründe für den Rücktritt. Wulff war dem Amt nicht gewachsen. Er hat nicht verstanden, was er sein sollte: eine moralische Instanz. Der Bundespräsident hat wenig Macht. Sein ganzes Gewicht liegt darin, ein gutes Vorbild zu sein. In Wort und Tat. Mit Worten konnte Wulff umgehen. Seine Taten haben seine Worte manches Mal konterkariert.

Wulff hat mit dem heutigen Freispruch die Chance auf einen Neuanfang bekommen. Er kann zeigen, dass er gewillt ist, zumindest als Bundespräsident a. D. den hohen Ansprüchen zu genügen, die die Bürger zu Recht an ihn haben dürfen.

Seine Aufgabe ist es jetzt, Vertrauen zurückzugewinnen. Er wird dafür sogar bezahlt. Gut 200 000 Euro im Jahr bekommt er, bis an sein Lebensende. Der Staat stellt ihm so lange ein Büro, einen Dienstwagen und einen Fahrer. Jetzt muss er nur noch einsehen, dass und welche Fehler er gemacht hat. Sich öffentlich dazu bekennen, wäre ein erster Schritt.

Der Freispruch vor Gericht alleine wird ihn nicht reinwaschen. Das kann er nur selbst, wenn er Wort und Tat in Übereinstimmung bringt. Gelingt ihm das, dann kann Wulff immer noch ein guter Alt-Bundespräsident werden. Es wäre ihm zu wünschen.

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