Wulff erklärt seinen Rücktritt:Vertrauen verspielt, Amt verloren

Er sei "immer aufrichtig" gewesen, behauptet Christian Wulff in seiner nüchternen Rücktrittserklärung. Dass ihm das nicht einmal mehr die Kanzlerin glaubt, beweist Angela Merkel mit einem kleinen, aber gewichtigen Wort. Wie der Rücktritt verlief.

Thorsten Denkler, Berlin

Und dann ist es geschehen. Christian Wulff geht, seine Frau Bettina an der Seite, noch einen ernsten Blick Richtung Journalisten werfend. Die weißen Flügeltüren des Großen Saals schließen sich hinter ihm. Das Kapitel Bundespräsident, für Wulff ist es beendet.

Es kam wie es kommen musste. Am Vorabend hat die Staatsanwaltschaft Hannover beim Bundestag die Aufhebung der Immunität von Wulff beantragt. Der Verdacht: Vorteilnahme im Amt. Da war eigentlich schon klar, dass er das nicht durchhalten kann. Ermittlungen gegen einen Bundespräsidenten, das hat es noch nie gegeben. Schon die Anfrage der Staatsanwaltschaft: ein Novum.

Wulff verhindert mit seinem Rücktritt, dass der Immunitätssauschuss des Bundestages in seinem Fall eine Entscheidung hätte treffen müssen. Die Staatsanwaltschaft kann jetzt frei ermitteln.

Wenige Minuten nach elf Uhr betreten die Wulffs den Großen Saal. Vor ihnen hat sich das aufgebaut, was gemeinhin als "die Presse" bezeichnet wird. Kamerateams, Journalisten. Kaum einer dabei, der in den vergangenen Wochen und Monaten nicht über die Affäre Wulff berichtet hätte. Im Weltbild des Christian Wulff ist es wohl diese Presse, die Schuld an seinem Niedergang hat.

Die Berichterstattung, "die wir in den vergangenen zwei Monaten erlebt haben, haben meine Frau und mich verletzt", sagt er in seiner Erklärung. Und, als wäre er selbst über diesen Umstand erstaunt, befindet er, dass "unser Land, die Bundesrepublik Deutschland" einen Präsidenten brauche, "der vom Vertrauen nicht nur einer Mehrheit, sondern einer breiten Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger getragen wird". Die Entwicklung der vergangenen "Tage und Wochen hat gezeigt, dass dieses Vertrauen, und damit meine Wirkungsmöglichkeiten, nachhaltig beeinträchtigt sind".

Dass er daran einen gehörigen Anteil hat - kein Wort dazu.

Dann kommt Wulff zu seinem finalen Satz: "Ich trete deshalb heute vom Amt des Bundespräsidenten zurück, um den Weg zügig für die Nachfolge freizumachen." Wulff spricht wie jemand, der glaubt, er erweise dem Land gerade einen notwendigen Dienst. Dabei ist es die pure Not, die ihn jetzt zum Rücktritt treibt. Drei dürre Sätze widmet er den Ermittlungen gegen ihn wegen Vorteilsnahme: "Was die anstehende rechtliche Klärung angeht, bin ich davon überzeugt, dass sie zu einer vollständigen Entlastung führen wird. Ich habe in meinen Ämtern stets rechtlich korrekt mich verhalten. Ich habe Fehler gemacht, aber ich war immer aufrichtig."

Immer aufrichtig? Hat er nicht dem Parlament von Niedersachsen gegenüber verschwiegen, dass er geschäftliche Beziehungen zur Familie Geerkens gehabt hat? Hat man ihm nicht jede Wahrheit mühsam aus der Nase ziehen müssen? Wie kann er das "aufrichtig" nennen?

Rücktritt war "alternativlos"

Vieles ist anders als 2010, beim Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler. Köhler wählte den benachbarten und wesentlich kleineren Langhans-Saal. Er und sein Frau Eva Luise kamen Hand in Hand in den Saal und verließen ihn auch Hand in Hand. Es war der bescheidene Rücktritt eines bescheidenen Mannes. Sein einziger Grund für den Rücktritt: Er vermisste die Achtung vor dem Amt. Der Rücktritt war überraschend. Niemand hatte damit gerechnet.

Wenn Köhler sein Amt zu schnell aufgegeben hat, hat Wulff definitiv zu lang mit diesem Schritt gewartet.

Wulff hat gewartet, bis es keinen anderen Weg mehr gab. Erst die drohenden staatsanwaltlichen Ermittlungen haben ihm zeigen müssen, dass es nicht mehr geht. Am Ende war dieser Rücktritt wohl, wie Kanzlerin Angela Merkel vor einigen Jahren noch gerne zu sagen pflegte: "alternativlos".

Ihren Rückhalt dürfte Wulff längst verloren haben. Er hat ihre Geduld bis aufs Letzte ausgereizt. Keine halbe Stunde nach dem Rücktritt von Wulff erklärt Merkel, dass sie Respekt und Anerkennung für Wulffs Schritt empfinde. Eingeübte Phrasen einer Kanzlerin, die nach zwei Bundespräsidenten, einigen Ministern und diversen CDU-Ministerpräsidenten eine gewisse Routine darin entwickelt, Rücktritte zu kommentieren.

Debakel für Merkel

Entscheidend ist dieses eine kleine Wort, das ihr Lob vergiftet erscheinen lässt. Wulff habe, sagt Merkel, "seine" Überzeugung, nicht gegen Recht und Gesetz verstoßen zu haben, mit seinem Rücktritt zurückgestellt, um das Amt zu schützen.

Merkel gehört zu denen, die ihre Worte wohl wägen, wenn es darauf ankommt. Sie hat sie sich aufgeschrieben. Und als sie an diese Stelle kommt, da betont sie das Wort "seinen" ausdrücklich. Es ist klar, was sie damit sagen will. So überzeugt von der Unschuld Wulffs ist sie längst nicht mehr.

Jetzt muss Merkel einen Nachfolger finden oder eine Nachfolgerin. Es ist das Eingeständnis ihrer Niederlage, dass sie auf die Opposition in dieser Frage zugehen will, vor allem aber muss. Ihre Mehrheit in der Bundesversammlung ist denkbar knapp. Ein alleiniger schwarz-gelber Kandidat könnte womöglich wieder erst im dritten Wahlgang Bundespräsident werden. Der ganze Fall Wulff ist nach dem Rücktritt von Köhler schon ein Debakel für Merkel. Sie muss verhindern, dass es dazu noch einmal kommen kann.

In spätestens 30 Tagen wird das Land einen neuen Präsidenten haben. Eines kann dazu jetzt schon gesagt werden: Es wird ein besserer Präsident sein. Fast egal, wer es wird.

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