Süddeutsche Zeitung

Nordrhein-Westfalen:Die Kunst des Weghörens

Wie Regierungschef Wüst und Vize-Ministerpräsidentin Neubaur damit umgehen, dass ihnen ein versuchter Buchführungstrick um die Ohren fliegt.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Vor aller Welt so zu tun, als ginge sie dieser ganze Zank nichts an - das verlangt volle Konzentration. Hendrik Wüst und Mona Neubaur, der schwarze Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und seine grüne Stellvertreterin, geben sich an diesem Mittwochvormittag alle nur erdenkliche Mühe, von der Regierungsbank so gleichgültig wie möglich hinabzublicken in den Plenarsaal des Düsseldorfer Landtags. Es ist Haushaltsdebatte, der angeblich königlichste Moment eines jeden Parlaments. Da haben sich beide offenbar vorgenommen, höchst alert ihr Desinteresse zu simulieren.

Zumal jetzt, da vier, respektive sechs Meter links von ihnen Thomas Kutschaty ans Mikrofon tritt, der SPD-Fraktionschef. Wüst und Neubaur suchen prompt nach Ablenkung. Der Regierungschef greift nach der schwarzen Aktenmappe vor ihm, woraus er irgendein Blatt Papier zieht, das er in den nächsten fünf Minuten studieren wird. Neubaur wiederum starrt wie gebannt auf ihr Handy - jede noch so unwichtige Nachricht auf ihrem Smartphone soll ihr jetzt wichtiger sein als die lästige Philippika des Oppositionsführers.

Der Saal tobt. Nur Wüst und Neubaur haben kein Ohr dafür

Denn der schlägt an diesem Morgen besonders heftig zu. Nordrhein-Westfalens Koalition aus CDU und Grünen, so schimpft Kutschaty, sei in Zeiten größter Not "nicht regierungsfähig". Schlimmer noch, das seit gerade mal fünf Monaten regierende schwarz-grüne Bündnis sei nunmehr "des Verfassungsbruchs überführt worden". Der Saal tobt, SPD und FDP klatschen donnernd, grüne und schwarze Abgeordnete skandieren empörte Zwischenrufe. Hat jemand Wüst und Neubaur die Ohren verstopft? Er blättert in Vorlagen, sie liest Mails.

Sicher, solche Gesten parlamentarischer Missachtung gehören zum politischen Handwerk. Die Regierung schenkt der Opposition nichts, auch keine Aufmerksamkeit. Das schwarz-grüne Regierungsduo in NRW hebt diese Kunst des Weghörens jedoch auf ein höheres Niveau: Wüst und Neubaur ignorieren nicht nur angestrengt die Redner von SPD und FDP. Nein, auch den eigenen Finanzminister.

Marcus Optendrenk heißt der Mann, der seit Ende Juni die Kassen im Westen hütet. Der nordrhein-westfälische Finanzminister von der CDU ist kein Freund großer Worte. Aber gilt als solider Finanzfachmann und ehrlicher Haushalter. Genau deshalb mag in Düsseldorf niemand so recht glauben, dass sich ausgerechnet dieser langjährige Angestellte der Finanzbürokratie jene überaus kreative Geldbeschaffung zur Finanzierung der NRW-Regierungsgeschäfte ausgedacht haben soll, die an diesem Mittwoch Wüst und Neubaur um die Ohren fliegt.

Schädlich fürs Image des "Landesvaters"

Gleich zu Beginn der Debatte hat Minister Optendrenk gesprochen. Da legt er schon seinen zweiten Plan vor, wie das alte Industrieland NRW durch seine Energie- und Wirtschaftskrise zu führen sei. Die erste Idee war ja krachend gescheitert: Einfach mal mehr als vier Milliarden Euro Kredit für angebliche Corona-Hilfsmaßnahmen aufzunehmen und diese dann eilig umzuwidmen zu Haushaltsmitteln gegen die Kriegskrise - das hatte der Landesrechnungshof brachial als "verfassungswidrig" gegeißelt und gestoppt.

Eine politische Blamage. Und zwar eine so heftige, dass sich Wüsts Vertraute seither arg bemühen, Spuren für eine Verwicklung des Regierungschefs zu verwischen. Der Reinfall hätte Wüsts Selbstdarstellung als Landesvater im Kern beschädigt. Er verleiht doch gern Orden oder pflanzt Bäume - und schwebt ansonsten über den Untiefen der Alltagspolitik.

Und so kam es, dass der getreue Optendrenk sich am Mittwoch im trauerschwarzen Anzug am Rednerpult redlich plagt, den Regierungsplan für ein "Sondervermögen" mit fünf Milliarden neuen Schulden für allerlei Landeshilfen auszubreiten. Er übernimmt die Verantwortung, auch dafür, dass die Regierung für die Neuverschuldung eine "Notsituation" ausrufen muss, um die Schuldenbremse in NRW zu lockern. Just in dem Moment erlebt der Düsseldorfer Landtag den ersten exekutiven Akt vorgetäuschter Gleichgültigkeit: Wüst und Neubaur tuscheln so demonstrativ miteinander, als verbinde sie viel mehr als nur eine politische Koalition.

Optendrenk, ein promovierter Historiker, lässt es sich gefallen - und muss danach das Mitleid der Opposition ertragen. Der ehrenwerte "Herr Doktor Optendrenk" habe "wahrscheinlich mit schlechtem Gewissen und wahrscheinlich auf Anweisung des Ministerpräsidenten" gehandelt, hebt SPD-Chef Kutschaty an. Dann schlägt er zu: "Aber Sie haben es trotzdem getan!" Auch das Wort "Buchungstricks" fällt noch in seiner Rede. FDP-Fraktionschef Henning Höne, bis Mai noch Koalitionspartner von Wüsts CDU, haut in dieselbe Kerbe: Versuchte "politische Geldwäsche" sei das gewesen, was die Regierung da versucht habe. Wüst verzieht keine Miene und liest seine Akten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5711385
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/bac/skle
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.