Wowereit und die Berliner SPD:Schwebend in Bodennähe

64. Berlinale - 'Der Kreis' - Premiere

Angeschlagen, aber trotzdem unangefochten: Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit

(Foto: dpa)

Die SPD sieht sich gern als die Berlin-Partei, seit einem Vierteljahrhundert regiert sie jetzt in der Hauptstadt. Aber der Jubilar steckt im Tief. Trotzdem traut sich niemand, den angeschlagenen Regierenden Bürgermeister Wowereit herauszufordern.

Von Jens Schneider, Berlin

Es ist ein beachtliches Jubiläum, 25 Jahre, eine Art silberne Ehe zwischen der Stadt und der Partei. Es darf wohl vermutet werden, dass niemand die Sache groß gefeiert hätte, wäre die SPD nicht selbst darauf gekommen. An diesem Montag laden Berlins Sozialdemokraten ins Schöneberger Rathaus.

Mit einem Sektempfang feiern sie, dass vor einem Vierteljahrhundert Walter Momper mit einer rot-grünen Regierung die Führung des Senats übernahm. Es wurde das erste Kabinett in Deutschland, dem mehr Frauen als Männer angehörten. Und es war der Beginn einer Ära, seither sind Berlins Sozialdemokraten ununterbrochen an der Macht, mit verschiedenen Partnern, lange nur als Junior, aber immer dabei.

Man wird über die Verdienste der Frauen damals sprechen, die im Senat viel voranbrachten. Über die schweren Neunziger als Juniorpartner der CDU. Bestimmt auch über das selbstbewusste Gefühl, inzwischen die Berlin-Partei zu sein, nach so vielen Jahren, die man auch in vielen Bezirken herrscht. Nur die wichtigste Frage dürfte offen bleiben: Wie geht es weiter für Berlin?

Angesichts der Dauer-Krise von Klaus Wowereit dümpelt die SPD in Umfragen knapp über zwanzig Prozent, der Regierende Bürgermeister liegt in Politiker-Rankings noch hinter Landespolitikern, die er vermutlich bisher kaum wahrgenommen hat. Aber die SPD schweigt, auch intern.

Eigenartige Gelassenheit in der SPD

Woanders wäre wohl längst eine Debatte entbrannt, ob der ewige Spitzenmann es noch mal reißen kann. So was sagt in Berlins SPD höchstens ein Veteran mit Distanz wie der frühere Generalsekretär der Bundes-SPD, Klaus Uwe Benneter. "Die Zeit ist reif, jetzt zu klären, wie man 2016 aufgestellt sein will", mahnt er.

Aber so etwas wollen die wenigsten hören. Wer sich unter Funktionären der Berliner SPD umhört, erlebt eine eigenartige Gelassenheit. Kann ja sein, dass die Lage nicht gut sei. Aber gerade deshalb sei jetzt der absolut falsche Zeitpunkt für Debatten.

Wowereit selbst hält sich eine neue Kandidatur offen, als Konkurrenten gelten der Landesvorsitzende Jan Stöß und Fraktionschef Raed Saleh. Zwischen den Dreien sei "jetzt ein Weitpisswettbewerb im Gange", spottet ein Parteimitglied. Keiner wisse, wann der Sieger ausgerufen wird. Wer fürchtet, dass die Zeit der SPD davon läuft, sagt das nur unter Vertrauten.

Andere beharren auf Gelassenheit. Der Bundestagsabgeordnete Fritz Felgentreu, SPD-Chef in Neukölln, spricht von "einer Art Schwebezustand". Viele rechneten damit, "dass Klaus Wowereit nicht noch einmal antritt". Andere wollten ihn noch mal als Spitzenkandidaten. "Aber die nächste Wahl ist noch weit weg", sagt Felgentreu. "Es besteht kein Handlungsbedarf. Vor allem gibt es keinen Druck, die Nachfolge jetzt zu regeln."

Die CDU ist als Koalitionspartner an einer stabilen Bindung interessiert, so wackelt nichts. Erst mal, sagt Felgentreu, stünden interne Wahlen an. Im Frühjahr werden Posten auf vielen Ebenen vergeben, bis hin zur Neuwahl des Landeschefs. Das sorgt für Vorsicht.

Eigener Kiez interessanter als Berliner Landespolitik

Es beschäftigt die Abteilungen in den Stadtteilen sehr, wer das Sagen hat - so wie man überhaupt lieber auf seinen Kiez schaut. "In den Kreisen widmet man sich oft eher seinen eigenen Themen", sagt Felgentreu.

Berlins Juso-Chef Kevin Kühnert erlebt, dass für die meisten Mitglieder die Landespolitik "fünftes Rad am Wagen" ist. "Der Personenkreis, der einen breiten Blick auf Berlin hat, ist sehr klein." Viele Zugezogene interessierten sich eher für Bundespolitik. "So bleibt die Landespolitik merkwürdig provinziell." Er habe gelegentlich das Gefühl, "was Berlin spannend macht, passiert nicht in der Politik".

Dem Veteranen Walter Momper fällt zu den so mächtigen Kreisverbänden der Berliner SPD das Wort "tiefer Teller" ein. Die Probleme im Kreis würden von vielen als wichtiger empfunden als alle Krisen des Senats. Die Kreisverbände vertreten manchmal mehrere Stadtteile, die zusammen größer sind als viele deutsche Städte.

Hinterzimmergeschöpf Wowereit

Pankow hat fast 380 000 Einwohner, Spandau fast 230 000. Man ist groß genug, eigene Sorgen zu haben. Aus Spandau, spotten zugereiste Genossen, fahre man eigentlich nicht zu Landesmitgliederversammlungen: "Man müsste ja über die Havel." Und bei dieser Perspektive, so sagt es Momper, sei der Senat immer schon das eigentliche Machtzentrum gewesen.

Lange war er das einzige. Wer ganz nach oben sollte, machten früher drei Westberliner Bezirke aus. Auch Wowereit wurde einst über solche Zirkel stark. Er gilt als Geschöpf der Hinterzimmer mit Verachtung für Ideen der Basis. Die SPD behandelt er meist wie einen Appendix des Senats. Heute gibt es in Bezirken und Partei viele Fürsten, keiner erscheint ihm ebenbürtig.

Derzeit sucht die Landespartei - die in der Bundes-SPD einen legendär miserablen Ruf hat - mühevoll eine eigene Linie. Sie war immer mehrheitlich links, aber trug oft mit geballter Faust in der Tasche die Senatspolitik mit. Vor zwei Jahren stürzte der linke Flügel den damaligen Parteichef und Wowereit-Vertrauten Michael Müller und setzte Jan Stöß als Vorsitzenden durch. Seither haben einige Linke das Gefühl, mehr Politik umsetzen zu können.

Aber in der Nachfolge-Frage beäugen die Anhänger von Stöß und andererseits Fraktionschef Saleh einander inzwischen misstrauisch. Vor den Parteiwahlen sei es auch da besser, lieber nicht Stellung zu beziehen. Man werde schnell abgestraft. Er habe sich abgewöhnt, über seine Präferenzen zu sprechen, wenn mehr als zwei Leute zusammenstehen, sagt ein Genosse. Keiner könne es wagen, als Königsmörder zu gelten, sagen andere. Gut für Wowereit - wo soll sich eine Gegenmacht bündeln?

Ohne Tendenz zur Selbstzerfleischung

Und es gibt für ihn auch Goodwill in der Partei. Berlins SPD hat in den letzten Jahren viele neue Mitglieder gewonnen, oft von außerhalb. Es spiegelt die dynamische Entwicklung der Hauptstadt wider, die allein in den letzten zwei Jahren um hunderttausend Einwohner wuchs. Um mehr als sechshundert Mitglieder wuchs Berlins SPD 2013, rund ein Viertel davon meldete sich in Berlin-Mitte an.

"Bei uns gibt es außerordentlich wenig Kritik am Senat", sagt der Kreisvorsitzende Boris Velter. "Es gibt keine Tendenz zur Selbstzerfleischung in dieser Partei, und das finde ich gut." Umfragen würden kaum beachtet, es gibt viel Begeisterung für die Stadt. "Ich glaube, es sehen viele auch die großen Verdienste von Klaus Wowereit. Diese Stadt hat international ein wahnsinnig gutes Image. Das wird auch ihm zugeschrieben."

Sonst aber fällt auf, mit wie viel Fremdheit Genossen über den Regierenden sprechen, wenn sie wissen, dass ihr Name nie auftaucht, manchmal beklemmend abfällig. So reden oft Leute, die sich ausgeliefert fühlen. Mit einer düsteren Faszination zählen sie einem auf, was Wowereit schon an Affären abgewettert hat, die andere aus dem Amt geschleudert hätten. Allein schon die Pannen um den Hauptstadt-Flughafen, dann die Steuer-Affäre um Staatssekretär Schmitz.

Wie lange wird das gehen? Na ja, Fettnäpfe gebe es genug, sagt ein Parteimitglied am Ende eines Gesprächs. Ein Fettnapf, ein neuer Skandal? So soll der Wechsel ja nicht gehen. Wenn Wowereit gehen sollte, möge doch sein Ansehen wieder gewachsen sein, zum Nutzen der SPD. Das ist die Hoffnung derer, die im Hintergrund warten auf einen guten Moment. Sie können nicht wissen, ob er je kommt.

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