Wortwörtlich - Koydls kleines Lexikon:Von Sauce in Parfüm-Flakons

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Warum Georgiens Hauptstadt Tiflis seinen Namen natürlich gekochtem Federvieh verdankt und wieso der hochwasserverheerte mexikanische Bundesstaat Tabasco mit der Sauce nur indirekt zu tun hat.

Wolfgang Koydl

Die Erkenntnis, dass Reiche reicher, und Arme ärmer werden, ist leider so alt wie die Menschheit. Vergangene Woche erinnerte eine Studie, dass sich an diesem Zustand - welch Überraschung - nichts geändert hat. Reichtum freilich bedeutet nicht nur Geld, sondern auch Macht - wie uns die Sprache hilfreich verrät.

In kleinen Flaschen, weil anfangs Parfum-Flakons benutzt wurden: Tabasco-Sauce (Foto: Foto: AP)

Denn das Reich, das ein König regiert, hat denselben Stammbaum wie seine Reichtümer: Die Indogermanen kuckten sich das Wörtchen ri bei den Kelten ab, das für einen Herrscher oder König stand. Zunächst behielten sie dieselbe Bedeutung bei: das lateinische rex = König geht auf diese Wurzel zurück. Aber allmählich wandelte sich ri zu einem Adjektiv und beschrieb die Vermögensverhältnisse.

Bleiben wir ein wenig bei Wörtern, die gleich geschrieben werden, aber verschiedene Dinge beschreiben. Der Gegensatz von reich gehört ebenfalls in diese Kategorie. Doch obwohl sowohl das Adjektiv arm als auch das gleichlautende Substantiv für das aus der Schulter wachsende Körperglied indogermanische Wurzeln haben, ist ihre Herkunft unterschiedlich.

Der arme Schlucker mag zwar nur davon träumen, aber seine Bezeichnung leitete sich ursprünglich aus dem Erbe ab. Damit nicht genug: Als Erben dachte man sich seinerzeit nicht Kinder reicher Eltern, sondern Waisen, für die die Gesellschaft sorgen musste.

Orbho war der indogermanische Begriff für ein elternloses Kind. Im griechischen orphanos = Waise (und im englischen orphan) lebt diese Bedeutung fort.

Eine Art von Baulatte

Waisenkinder aber waren zu allen Zeiten einsam, bemitleidenswert und unglücklich - mithin arm in spiritueller Hinsicht. (Auch ein armer Sünder muss ja nicht unbedingt mittellos sein.) Und deshalb übertrug man in westgermanischen Sprachen diese ideelle Armut allmählich auch auf materielle Not.

Der Arm hingegen erblickte das Licht der Welt als eine Art von Baulatte. Das indogermanische ar hieß soviel wie zusammenfügen oder zusammenpassen und wurde wohl ursprünglich auf Bauholz angewandt, das aufgestapelt auf seine Verarbeitung wartete.

Irgendwann kam man darauf, dass auch das menschliche Skelett mit einem Bausatz verglichen werden kann. Bevor es sich auf dem Arm spezialisierte, erwarb ar denn auch die Bedeutung eines Glieds oder Gelenks.

Die Gelenksentzündung Arthritis etwa verdankt ihren Namen dem griechischen arthron = Gelenk. Urvater ar kann auf eine schier unüberschaubare Zahl von Kindeskindern blicken: die Armee und die Arithmetik, der Artikel und die Harmonie, die Endzeitschlacht Armageddon und der bescheidene texanische Armadillo (Gürteltier) - sie alle können sich auf ihn berufen.

Die Steuer, ein Stützpfeiler

Letzte Woche ging es auch um die Steuerschätzung für das kommende Finanzjahr, und dabei begegnen wir abermals einem Doppelwort: denn es macht sehr wohl einen Unterschied, ob man die Steuer bezahlt oder das Steuer herumreißt und seinen Wohnsitz nach Monaco verlegt.

Erstaunlicherweise sind das Femininum und das Neutrum eng verwandt: Am Anfang stand der Pfahl oder die Stütze, abgeleitet vom selben Wort, das uns das Verb "stehen" gab.

Frühe Boote oder Flöße freilich wurden mit nichts anderem als einer langen Stange gesteuert, und dies erklärt das Steuerruder. Aber wie schaffte das Wort den Sprung zum Fiskus? Nun, schon in althochdeutscher Zeit verwendete man Steuer in seiner Bedeutung als Stützpfeiler auch im übertragenen Sinn als Unterstützung oder Hilfe für notleidende Mitmenschen.

Peu à peu wandelte sich die freiwillige Gabe in eine obligatorische Abgabe, und die Steuer im heutigen Sinne war geboren. Wem es bei der nächsten Steuererklärung hilft, der mag sich mit dem Gedanken trösten, dass er mit seinen Steuern einem armen Peer Steinbrück unter die Arme greift.

Ins Fadenkreuz der Steuerbehörden kam letzte Woche erneut die Pendlerpauschale. Hier haben wir endlich mal ein Wort, bei dem es kaum Geheimnisse gab. Ursprünglich brauchte sich ein Pendler gar nicht zu bewegen, schon gar nicht hin und her, schließlich war pendere das lateinische Wort für herabhängen. Doch alles, was lose baumelt, gerät leicht ins Schwingen - und das Pendel war geboren, aus dem später der Pendler hervorging.

Eine weitaus noblere Form des Pendelns als die tägliche Auto- oder U-Bahn-Fahrt zum Arbeitsplatz ist die sogenannte Pendel-Diplomatie. Als Henry Kissinger sie mit seinen Hin- und Her-Flügen kreuz und quer durch den Nahen Osten in den siebziger Jahren erfand, nannten die Amerikaner das Shuttle Diplomacy - und stürzten deutsche Zeitungsredakteure in helle Verzweiflung.

Tiflis und der gekochte Fasan

Ein Blick ins Wörterbuch zeigte, dass shuttle ein Weberschiffchen war, das im Webstuhl hin- und herfuhr. Die Ummünzung dieses Wortes war ein hervorragendes Beispiel für die Fähigkeit des Englischen, obsolet gewordene Begriffe in den Dienst moderner Entwicklungen einzuspannen.

Inzwischen hat sich das armselige Weberschiffchen von jeglicher Erdenschwere befreit und ist ins Weltall vorgestoßen. Und die Raumfahrt-Shuttle der Amerikaner würde auch in Deutschland niemand als Pendelrakete bezeichnen.

Grauenhafte Bilder erreichten uns aus der mexikanischen Provinz Tabasco, die von einer Flut-Katastrophe heimgesucht wurde. In diesem Zusammenhang ist es beklemmend, dass tabasco in der Aztekensprache eine Gegend beschrieb, in der die Erde feucht oder überflutet war.

Die feurige Tabasco-Sauce freilich kommt nicht aus Mexiko, sondern ursprünglich aus dem US-Bundesstaat Louisiana. Als der durch den US-Bürgerkrieg ruinierte Banker Edmund McIlhenny 1868 auf seinem Landsitz Avery Island mit scharfen Capsicum-Schoten zu experimentieren begann, verfiel er auf diesen Namen, weil er mexikanisch klang - und Mexiko bei den Yankees für gut gewürzte Küche bekannt war.

Dass Tabasco in kleinen Fläschchen vermarktet wird, hat übrigens nichts mit der Schärfe der Würze (5000 SHU auf der Scoville-Skala) zu tun, sondern ist einem Zufall zu verdanken: Als McIlhenny die ersten Proben seines neuen Produktes an Großhändler verschicken wollte, hatte er nur einen Berg von 350 leeren Parfüm-Flakons zur Hand.

Es steht zu hoffen, dass er sie gründlich ausspülte, bevor er sein Feuerwasser abfüllte.

Im weitesten Sinne hängt auch der Name der georgischen Hauptstadt Tiflis, wo es zu Unruhen kam, mit der Kochkunst zusammen. Auf georgisch nennt man die Stadt Tbilisi nach den warmen Quellen ( tbili = warm) in den Bergen ringsherum.

Der Legende nach erlegte König Wachtang I. Gorgassali so um das Jahr 458 herum hier einen Fasan, der in eine dieser Quellen fiel. Als man den Vogel aus dem Wasser fischte, sei er bereits gar gekocht gewesen.

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