Wortwörtlich - Koydls kleines Lexikon:Sumpfige Hauptstadt

Warum die Sonne auch wortwörtlich im Osten aufgeht, Bangkok die wahre Stadt der Engel ist und was Berlin sprachlich mit einem großen Schlammloch zu tun hat - der etymologische Wochenrückblick von Wolfgang Koydl.

Wir neigen dazu, Dingen, die uns gefallen, schöne Namen zu geben. Das gilt auch für die Länder, die wir bewohnen, und für die Städte, die wir erbauen. Eine Ausnahme von der Regel sind jene beiden Staaten, welche Bundeskanzlerin Angela Merkel in der vergangenen Woche besuchte: China und Japan.

Berlin; Regen

Nasse Sache: Der Berliner Hauptbahnhof spiegelt sich in einer Pfütze.

(Foto: Foto: ddp)

Zugegeben, für beide asiatische Giganten gibt es im Westen blumige Umschreibungen: das "Reich der Mitte" und das "Land der aufgehenden Sonne". Doch genau genommen lassen sich die Namen auf nüchterne geographische Bezeichnungen zurückführen. Zhongguo nennen die Chinesen ihr Land in ihrer Sprache, was nichts anderes bedeutet als "zentrales Land", oder Land in der Mitte.

Der Name erlaubt Rückschlüsse auf das Selbstverständnis Chinas als Nabel der Welt, ähnlich dem vorkopernikanischen Weltbild, das die Erde in den Mittelpunkt des Universums stellte. Der in den meisten westlichen Sprachen gängige Begriff China leitet sich von der Qin-Dynastie ab, die über die persische Aussprache "tschin" zu uns gelangte.

Die Russen und andere Slawen greifen hingegen auf das Volk der Khitan zurück, die einst den Norden Chinas eroberten und sprechen von Kitai. Ein alter englischer Name für China lautete Cathay, was im Namen der Hongkong-Airline Cathay Pacific weiterlebt.

Ihr Selbstbewusstsein verführte die Chinesen dazu, auch Nachbarländern Namen zu verpassen, die hängenblieben. Für eine Inselkette im Osten etwa fanden sie die Bezeichnung riben, was so viel heißt wie "Sonnenherkunft", oder schlicht Osten. Im Westen wurde aus riben auf schwer nachvollziehbare Weise die Aussprache Japan. Japaner wiederum sprachen das chinesische Wort nippon aus. Das ist bis heute der japanische Name des Landes.

Sumpfige Hauptstadt

Noch einfallsloser gingen Chinesen bei der Benennung ihrer Städte vor: Beijing ist die nördliche Hauptstadt, im Gegensatz zu Nanjing, der südlichen Kapitale. Tonkin, das heutige Hanoi in Vietnam, war die östliche, und Xian die westliche Hauptstadt.

Brot

Sprachlich gesehen ist Bier nichts anderes als flüssiges Brot.

(Foto: Foto: ddp)

Das Muster setzte sich auch anderswo durch: Die japanischen Meji-Kaiser tauften 1869 ihre Metropole Tokio - zu deutsch: Hauptstadt des Ostens. Das alte Kyoto hingegen heißt schlicht Hauptstadt, ebenso wie der frühere Name des koreanischen Seoul - Gyeongseong - nur Hauptstadt bedeutet.

Wenn man eine asiatische Stadt mit einem phantasievollen Namen sucht, muss man nach Bangkok gehen. Krung Thep - der Name der thailändischen Metropole in der Landessprache ist fast schon ein Roman: Die Stadt der Engel, die großartige Stadt, die ewige Juwelenstadt, die uneinnehmbare Stadt des Gottes Indra, die große Hauptstadt der Welt, ausgestattet mit neun wertvollen Juwelen, die glückselige Stadt, die sich hervortut durch einen enormen königlichen Palast, der dem Himmelssitz ähnelt, wo der wiedergeborene Gott herrscht, eine Stadt gestiftet von Indra und gebaut von Vishnu.

Wieder daheim in Berlin (dessen Name vermutlich nicht sehr glamourös auf ein westslawisches Wort für Sumpf zurückgeht) konnte Frau Merkel sich mit zwei Neuerungen beschäftigen: dem Rauchverbot an öffentlichen Plätzen und der Tatsache, dass nach Milch und Bier nun auch Brot teurer wird.

Der Tabak kommt als Wort aus derselben Weltgegend wie als Blatt. Mit tabaco bezeichneten die Ureinwohner der Karibik gerollte Tabakblätter, also den Vorläufer der kubanischen Cohiba-Zigarre. Cohiba wiederum waren, was passionierte Zigarrenraucher verwirren dürfte, Blätter vor dem Rollvorgang.

Sumpfige Hauptstadt

Eine Alternativerklärung sieht den Ursprung im Wort tabago, einer y-förmigen Pfeife, in der die Kariben ihre cohibas rauchten. Wahrscheinlich taten sie das auch auf der kleineren Schwesterinsel von Trinidad - die heute den Namen Tobago trägt.

Brot ist - ähnlich wie Bier oder Milch - ein Urwort, das seit Menschengedenken verwendet wird. Kein Wunder: Brot als Nahrung ist schließlich seit der Eisenzeit bekannt. Etymologisch verwandt ist das Wort mit der Brühe, mit brodeln und brauen - womit sprachlich der Beweis erbracht wäre, dass Bier doch nichts anderes ist als flüssiges Brot.

Sehr viel späteren Datums ist der Hacker, der in seiner chinesischen Ausführung westliche Regierungsdatenbanken heimsucht. In seiner heutigen Bedeutung als Bezeichnung für jemanden, der unbefugt in ein Computernetzwerk eindringt, taucht das Wort zum ersten Mal 1984 auf. Doch schon Mitte der siebziger Jahre war hacker am Massachusetts Institute of Technology (MIT) als Slangbegriff geläufig für jemanden der wie ein hack, wie ein Pferd schuftet und Computerprogramme schreibt.

Den hack als niedrigen Lohnschreiber gibt es im Englischen seit dem frühen 19. Jahrhundert. Seit Anfang des 18. Jahrhunderts war ein hack ein Tagelöhner, der harte aber schlichte Arbeiten verrichtete. Dieser erste Hacker stammte - etymologisch - von einer Brut billiger Arbeitspferde ab, die seit dem 14. Jahrhundert in Hackney in der englischen Grafschaft Middlesex gezüchtet worden waren. Wüssten Computer-Hacker, dass sie nichts anderes sind als alte Mähren, wären sie vermutlich nicht so stolz auf ihre Taten.

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