Wortwörtlich - Koydls kleines Lexikon:Im Land der Halsbinden

Warum sich Asterix-Anhänger freuen dürfen, was bayerische Sozialdemokraten mit den alten Ägyptern verbindet und wie Kroatien die Welt der Herrenmode bereichert hat - ein etymologischer Wochenrückblick.

Wolfgang Koydl

Barrikaden, brennende Autos, Straßenschlachten, in den Vorstädten von Paris herrschen wieder einmal bürgerkriegsähnliche Zustände. Es entbehrt nicht der Ironie, dass ausgerechnet in diesen Banlieues Recht und Ordnung ausgehebelt werden. Denn zu Beginn des frühen Mittelalters beschrieb das Wort vielmehr einen Ort, an dem Recht und Gesetz galten. In der wörtlichen Übersetzung kennen wir den Begriff auch im Deutschen als Bannmeile. Im Frankreich des zwölften Jahrhunderts war sie kein demonstrationsfreier Raum, sondern ein genau umrissenes Gebiet außerhalb der Stadtmauern, in dem die städtische Gerichtsbarkeit galt.

Wortwörtlich - Koydls kleines Lexikon: Die Krawatte leitet sich direkt vom "Krowaten" ab, wie Bewohner des Balkanstaates im süddeutschen Sprachraum noch heute genannt werden

Die Krawatte leitet sich direkt vom "Krowaten" ab, wie Bewohner des Balkanstaates im süddeutschen Sprachraum noch heute genannt werden

(Foto: Foto: dpa)

Als die Städte ihre Rechtshoheit nach und nach an die königlichen Gerichte verloren, geriet auch die Banlieue in Vergessenheit, bis sie im angehenden 18. Jahrhundert als Bezeichnung für die ländliche Umgebung einer Stadt, quasi als Naherholungsgebiet, wieder auferstand. Erst in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde der Begriff auf die seelenlosen Stadtrandquartiere ausgeweitet, in denen überwiegend Immigranten angesiedelt worden waren.

Am schlimmsten betroffen von den Unruhen war auch diesmal wieder Paris. Wie jeder Asterix-Leser weiß, hieß diese Stadt bei den Galliern Lutetia. Dies freilich war nur die Kurzform; vollständig lautete der Name Lutetia Parisiorum - das Lutetia des Stammes der Parisii, die man auf Deutsch wahrscheinlich wirklich nur mit Pariser wiedergeben kann. (Immerhin kann damit festgehalten werden, dass ein antiker Keltenstamm und ein neuzeitlicher Gebrauchsgegenstand nicht nur den Namen sondern auch den Herkunftsort teilen.)

Woher der Name Lutetia stammt, ist unklar. Es gibt zwei Denkschulen: für die eine ist es das keltische Wort für Dreck, für die andere der Name für den Wolf. Was die Parisii betrifft, so ist die Lage eindeutiger - und für Asterix-Freunde erfreulicher: zugrunde liegt das Wort für jenen großen Kessel, in dem der Druide Miraculix seinen Zaubertrank anrührte.

Mit den Namen von Völkern und Staaten ist es ohnehin so eine Sache. Die meisten Nationen benennen sich selbst, doch andere erhalten ihren Namen von Fremden - und müssen mitunter für immer damit leben. Dass die Waliser von den in ihr Land als Okkupanten einfallenden Angelsachsen als welisc = Ausländer beschimpft wurden, haben wir hier schon auseinandergesetzt.

Ähnlich abschätzig beurteilte der weiße Mann im hohen Norden lebende Völker. Eskimo beispielsweise ist heute als Begriff verpönt. Kein Wunder - bedeutet er doch nichts anderes als Fresser von rohem Fleisch. In Russland hingegen redet man noch immer von den Samojeden (nach denen eine elegante Hunderasse benannt ist). Doch ist der Name eine schlimme Beleidigung, welche frühe russische Fallensteller ersannen: samojedi sind auf Russisch Selbstesser, mit anderen Worten: Kannibalen.

Auf ähnliche Weise kam der Sudan zu seinem Namen, wo eine englische Lehrerin vor Gericht gestellt wurde, weil sie zuließ, dass ihre Klasse einen Teddybären Mohammed nannte. Das Land erhielt seinen Namen von den seit pharaonischen Zeiten überlegenen und arroganten Ägyptern: suad heißt schwarz und bilad as-sudan ist nichts anderes als das Land der Schwarzen - wegen der Hautfarbe seiner Einwanderer. Zu allen Zeiten und an allen Orten bezeichneten Menschen Fremde, die ihnen nicht geheuer waren, als Schwarze. (Man muss nur mit einem bayerischen Sozialdemokraten über die Münchner Staatsregierung sprechen.) In Russland meint man mit tschornije herablassend die Bewohner des Kaukasus, und wenn Finnen von mustalainen sprechen, dann entspricht das dem deutschen Zigeuner.

Kroatien freilich, das vergangene Woche ein neues Parlament wählte, dürfte sich seinen Namen selbst verliehen haben - wenn auch nicht mehr nachvollziehbar ist, was hrvat, die kroatische Form, ursprünglich bedeutete. Als am wahrscheinlichsten gilt, dass das Wort aus der sarmatischen Sprache stammt und einen Hirten bezeichnete. Dafür hat ausgerechnet Kroatien die Welt der Herrenmode um ein Kleidungsstück bereichert: Die Krawatte leitet sich direkt vom Krowaten ab, wie Bewohner des Balkanstaates im süddeutschen Sprachraum noch heute genannt werden. Im 17. Jahrhundert dienten kroatische Söldner im Heer des französischen Königs, und ihre leinenen Halsbinden entwickelten sich rasch zu einem Mode-Accessoire, das bald auch den Namen seiner Träger verpasst bekam.

Im zweiten Abschnitt: Wie die Antarktis zu ihrem Namen kam und warum der Dollar Dollar heißt.

Im Land der Halsbinden

Einen neuen Regierungschef gibt es in Australien,doch leider ist die Herkunft des Ländernamens nicht sehr phantasievoll. Als terra australis, lateinisch für Südland, notierten es frühe Kartographen auf ihren Karten. Auch als der Kontinent schon lange britische Kolonie war, lief er meist unter dem Begriff des südöstlichen Landeszipfels New South Wales, den der Entdecker Kapitän Cook in einem Anfall von Phantasielosigkeit ersonnen hatte. Erst 1817 regte Gouverneur Lachlan Macquarie an, dem Kronbesitz den Namen Australien zu verleihen. Es dauerte weitere sieben Jahre, bevor die Admiralität in London grünes Licht gab und diesen Namen genehmigte.

Die Antarktis, wo ein Kreuzfahrtschiff kenterte und sank, ist genau genommen nur ein anderer Begriff für Australien - wenn man es sprachlich nimmt. Das Wort kommt aus dem Griechischen: Antarktis sagt aus, dass dieser Ort der Arktis gegenüber liegt. Mit anderen Worten: Man könnte auch gleich Süden sagen. Die Arktis wiederum verdankt ihren Namen dem griechischen arktos = Bär. Die Hellenen hatten dabei freilich nicht Knuts Artgenossen im Sinn, sondern das Sternbild des Bären, das am nördlichen Firmament zu sehen ist. Im Polarkreis, englisch Arctic Circle, geht dieses Sternbild nie unter.

Das kann man - mit einer Entschuldigung für den brutalen Übergang - vom Dollar nicht sagen, der immer neue Tiefen auslotet. Dass der Dollar der verballhornte Enkel des deutschen Talers ist, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Der Taler freilich kommt vom Tal, genau genommen von Joachimsthal, einem Bergwerksstädtchen auf der böhmischen Seite des Erzgebirges. Dort wurde 1516 eine reiche Silberader entdeckt, worauf die Besitzer - die Grafen Schlick - Münzen prägen ließen. Sie hießen bald - nach ihrem Herkunftsort - Joachimstaler.

Im selben Maße, in dem die Münze in Umlauf gelangte, veränderten sich Name und Aussprache und wurden im Englischen zum Dollar - übrigens lange, bevor es eine amerikanische Regierung gab. Shakespeare verwendete das Wort (im ersten Akt von "Macbeth" ist von unerhörten 10.000 Dollar die Rede), und im spanischen Amerika waren Acht-Reales-Stück im Umlauf, die Spanischer Dollar genannt wurden. Auf diesen Münzen waren übrigens die Säulen des Herkules abgebildet, um die sich ein Spruchband wand. Wen dieses Bild an etwas erinnert, der muss sich nur das Dollar-Zeichen ansehen: $. Die junge amerikanische Republik übernahm nicht nur den Namen ihrer Währung von den Spaniern, sondern auch gleich das Symbol.

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