Wortwörtlich - Koydls kleines Lexikon:Die Krankheit Büromanie

Anti-Bürokratie-Kämpfer Stoiber muss in Brüssel gegen eine Krankheit kämpfen - zumindest etymologisch. Außerdem erklärt Wolfgang Koydl, wie amerikanische Städte die Namen europäischer Adeliger unsterblich machen.

Ist in Brüssel in dieser Woche ein neues Zeitalter angebrochen? Zitterten die Eurokraten an ihren Schreibtischen dem Dienstantritt von Edmund Stoiber entgegen? Schließlich ist der ehemalige bayerische Ministerpräsident ausgezogen wie ein Sankt Georg der Neuzeit, um den Drachen der Bürokratie in der Europäischen Union zu bezwingen.

Wortwörtlich - Koydls kleines Lexikon: Anti-Bürokratie-Kämpfer Stoiber

Anti-Bürokratie-Kämpfer Stoiber

(Foto: Foto: AFP)

Wörtlich genommen handelt es sich bei diesem Phänomen, das schon den Hochkulturen der Sumerer, Azteken und Ägypter bekannt war, um die Herrschaft (griechisch kratia) der Schreiber. Im Französischen war ein bureau anfangs nur ein Schreibtisch, so benannt nach dem Filzbelag, mit dem seine Oberfläche bezogen war. Dieser sogenannte burel lässt sich ins alte Rom zurückverfolgen: die burra war ein zottiges Gewand aus billigem Stoff.

Interessanterweise erblickte der Begriff Bürokratie schon als Schimpfwort das Licht der Welt. Der Pariser National-Ökonom Vincent de Gournay, der in den Jahren vor der Französischen Revolution die Theorie der von staatlichen Einflüssen ungehinderten Laissez-faire-Wirtschaft entwickelte, verspottete die Hofbeamten zunächst als bureaumanie, als seien sie die Verbreiter einer Krankheit, bevor er auf bureaucratie kam.

Seine Definition ist heute so aktuell wie vor 250 Jahren: "Die Büros, Beamten, Sekretäre, Inspektoren und Aufseher wurden nicht zum Nutzen des öffentlichen Interesses berufen; vielmehr scheint das öffentliche Interesse erst für diese Büros geschaffen worden zu sein."

Eine eigene Regierungsbürokratie wird es sicherlich auch geben, sobald der Kosovo ein unabhängiger Staat geworden ist. Es bleibt abzuwarten, welchen Namen sich das Land geben wird. Denn obwohl patriotische albanische Sprachforscher behaupten, dass sich Kosovo von einem alten illyrischen Wort für Hochebene ableitet, ist die Wahrheit viel banaler - und politisch heikler.

Kos ist das serbische Wort für Amsel, und auf dem Amselfeld (Kosovo Polje) in der Nähe der Kosovo-Hauptstadt Pristina fand am St.-Veitstag des Jahres 1389 jene Schlacht statt, die das Nationalgefühl Serbiens bis heute geprägt hat: Die Serben wurden vom Heer des Osmanen-Sultans Murad I. vernichtend geschlagen.

Tod und Vernichtung anderer Art hat der Zyklon "Sidr" in Bangladesch angerichtet. Zyklone sind nichts anderes als das, was im Atlantik als Hurrikan und im westlichen Pazifik als Taifun bezeichnet wird: Wirbelstürme. Die beiden anderen Winde haben wir, zusammen mit dem Tornado, an dieser Stelle schon behandelt.

Dass sie im Indischen Ozean Zyklon heißen, verdanken wir einem gewissen Henry Piddington. Der Engländer stand als Hauptmann im Dienst der britischen East India Company, die Indien für die Krone verwaltete. Nebenbei betrieb er wissenschaftliche Studien.

Für einen Sturm, der drei Jahre zuvor ein Frachtschiff im Kreis herumgewirbelt hatte wie ein Salatblatt in einem Ausguss erfand er 1848 nach dem griechischen Wort für Kreis (kyklos) den Namen Zyklon.

Hinter Bangladesch hingegen verbirgt sich nichts anderes als eine neutrale Beschreibung: Bangla heißen in der Landessprache die hier lebenden Bengalen, und desh ist das Sanskrit-Wort für Land. Bevor der Staat sich in einem blutigen Bürgerkrieg 1971 unabhängig erklärte, trug er einen noch einfallsloseren, ja geradezu bürokratischen Namen: Ost-Pakistan - im Gegensatz zu seinem westlichen Bruder auf der gegenüberliegenden Seite Indiens.

Die Männer hingegen, welche die Neue Welt entdeckten, hätten ihrer Phantasie bei der Benennung der neuen Länder, Flüsse und Gebirge freien Lauf lassen können. Doch die meisten ehrten - einfallslos, aber realistisch - nur ihre gekrönten Herren und Damen.

Die Stadt Annapolis im US-Bundesstaat Maryland, wo die internationale Nahostkonferenz beginnt, erhielt 1694 den Namen der späteren englischen Königin Anne. Polis steht griechisch für Stadt und zieht sich als Endsilbe von Städtenamen durch Kontinente und Zeitalter - vom persischen Persepolis über das byzantinische Konstantinoúpolis (Konstantinopel) bis zum amerikanischen Indianapolis.

Gegründet worden war Annapolis bereits 1649 und wurde später Anne Arundel's Towne getauft - so benannt nach der Frau des Lord Baltimore, der die Ländereien rings um die Chesapeake-Bucht als Lehen von der Krone erhalten hatte.

Der Edelmann taufte das neue Land voller Dankbarkeit nach Henrietta Maria, der Frau des englischen Königs Karl I., Maryland. Sie war mit den edelsten und ältesten Familien Europas verwandt: eine Tochter des französischen Königs Heinrichs IV. und Maria de Medicis, die Mutter der englischen Könige Karl II. und Jakob II., und die Schwester von Ludwig XIII. Es entbehrt nicht der Ironie, dass der Name eines Angehörigen des europäischen Hochadels im republikanischen Amerika weiterlebt.

Edle Steine und Metalle spielten vergangene Woche ebenfalls eine Rolle - wenn auch nur im übertragenen, etymologischen oder kulturellen Sinn. Zypern trägt seinen Namen schon seit mehr als zweitausend Jahren.

Er wurde dem Land von Außenstehenden gegeben, die wegen des wichtigsten Rohstoffes der Insel hierher gesegelt waren: Kupfer - das auf Griechisch kypros heißt. Die Römer nannten es aes Cyprium - Erz aus Zypern.

Griechischen Ursprungs ist auch der Diamant. Wegen seiner Härte nimmt man ihn als Synonym für eine 60-jährige Ehe, wie sie vergangene Woche Königin Elisabeth II. von England und Prinz Philip feierten.

Adamas bedeutet unzerbrechlich, und die Griechen verwendeten das Wort zunächst für ein hypothetisches, unzerstörbare Material. Pate stand daman = besiegen, zähmen, dem die negierende Vorsilbe a-, vorangestellt wird. Mit anderen Worten: etwas Unbezähmbares.

Das Wort lässt sich denn auch in einem anderen Begriff aufspüren: dem Dompteur. Anders gesagt: Mit Diamanten, solange sie nicht hypothetisch, sondern echt sind, werden auch verärgerte Frauen wieder zahm.

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