Wolfsmasken:Der Mensch als Bestie

Elfjährige in München vergewaltigt

Die Münchner Polzei fahndete auch mit einer Abbildung der Wolfsmaske, die der mutmaßliche Vergewaltiger bei seiner Tat trug.

(Foto: Wera Engelhardt/dpa)

Der Wolf weckt eine kulturell verankerte Urangst, die sich nicht so leicht beiseiteschieben lässt.

Von Johan Schloemann

Der mutmaßliche Vergewaltiger von München-Fasangarten trug bei seiner Tat am Dienstag eine Wolfsmaske. Zwei Tage zuvor, am Sonntag, war im ARD-Fernsehen der Kieler "Tatort" mit dem Titel "Borowski und das dunkle Netz" wiederholt und in die Mediathek gestellt worden. Dieser Film beginnt mit einer brutalen Mordszene, die den Täter mit einer ebensolchen Wolfsmaske zeigt. Am Montagabend wiederum war im ZDF ein Krimi gelaufen, in dem ein Entführer von minderjährigen Mädchen eine Affenmaske trug. Auch sonst sind Tier- und andere Masken von Verbrechern aus Thrillern und Horrorfilmen bekannt.

Eine Bezugnahme auf solche fiktiven Vorbilder ist allerdings nicht nachweisbar - der Tatverdächtige in München schweigt, und direkte Wirkungen von Fernsehfilmen auf Straftaten lassen sich ohnehin meist nicht einfach feststellen. Dennoch wirken die Bilder von solchen Masken in jedem Fall verstörend, und man fragt sich, welche Funktion sie für die Täter haben.

Die Maske soll zum einen die Identität verschleiern. Im Fall des mutmaßlichen Vergewaltigers des elfjährigen Mädchens in München ist das anscheinend nicht gelungen. Er wurde mithilfe von DNA-Spuren gefasst. Zum anderen aber verstärkt die Maske auch die Ängste des Opfers, die tief in jedem Menschen sitzen. Ein nicht etwa mit einem Nylon-Strumpf, sondern als Raubtier oder auch als Horrorclown maskierter Täter erzeugt bewusst eine sichtbare zeitweilige Störung und Verkleidung seiner Individualität. Damit versteckt er sich selbst hinter dem Bild vom Verbrecher als Bestie, das nach einer abscheulichen Tat ohnehin gerne heraufbeschworen wird, um das Unerklärliche eines menschlichen Verhaltens durch eine Entmenschlichung des Täters zu erklären.

Insbesondere die Wolfsfratze auf einem Menschenkopf nun spricht eine Urangst an, die kulturell tief verankert ist. Ein Wolf, der sprechen kann, der ein unbefangenes Mädchen verfolgt, das vom sicheren Weg abgeht, und das am helllichten Tage - damit erinnert die Vergewaltigung in München auf schreckliche Weise an das Märchen von Rotkäppchen, noch dazu an einem Tatort, der unweit eines großen Waldgebietes liegt, in einer grünen Siedlung nahe dem Perlacher Forst. Das Märchen ist denn auch oft als eine Verarbeitung von Gefahren sexuellen Missbrauchs gedeutet worden, der durch List und Gewalt verübt wird.

Die darin ausgedrückte Angst vor dem Wolf wurde und wird durch immer neue Bilder und Erzählungen am Leben gehalten, die meist gar nicht mehr der realen Begegnung mit bedrohlichen Wölfen entspringen. Der Wolf ist das potenziell domestizierbare Tier, das gerade im Kontrast zum braveren Hund, dem gezähmten Wolf, übermäßig dämonisiert wurde.

Auch in Computerspielen treiben Wolfsmenschen inzwischen ihr Unwesen

Dass es bei diesen Ängsten oft eher um den Menschen selber geht, zeigt die lange Wirkungsgeschichte der Mythen von Wolfskindern sowie von Menschen, die zu Wölfen werden können, den "Werwölfen". Es reicht vom Gilgamesch-Epos aus dem zweiten Jahrtausend vor Christus, wo ein Schäfer in einen Wolf verwandelt wird, bis zu dem Computerspiel "World of Warcraft", wo die aufrecht gehenden Wolfswesen "Worgen" heißen. Die Verwandlung von Männern in Werwölfe wurde gerne einem Pakt mit dem Teufel zugeschrieben. Ein Pionierwerk des Horrorfilms ist "Der Wolfsmensch" von 1941, neu verfilmt als "Wolfman" von 2010 mit Benicio del Toro als Werwolf. Auch Jack Nicholson spielte 1994 ein solches Wesen in dem Film "Wolf - das Tier im Mann".

Zuletzt wurden diese Ängste mobilisiert, weil die echten Wölfe wieder an die Zivilisation heranrücken. Und die Verbreitung von Grusel-Masken hat über den Karneval hinaus durch Halloween zugenommen. Eine Wolfsmaske aus Latex, wie sie der mutmaßliche Vergewaltiger in München trug, kann man günstig im Internet bestellen.

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