Wolfgang Clement:Letzter Kampf ums letzte Wort

Als ihn die SPD nicht mehr ausschließen will, schließt er seine weitere Parteimitgliedschaft aus. Jetzt macht sich Wolfgang Clement als Sozialdemokrat selbständig.

Susanne Höll

Über mangelndes Interesse an seiner Person kann sich Wolfgang Clement nicht beklagen an diesem Dienstag. Viele wollen von ihm wissen, was denn eigentlich los ist. Warum verlässt er ausgerechnet jetzt die SPD, wo ihm doch gerade ein Parteiausschluss erspart blieb? Was treibt einen Mann, der über Monate hinweg dafür gekämpft hatte, Mitglied der Sozialdemokraten zu bleiben, das Parteibuch in eben jenem Moment hinzuwerfen, in dem er es behalten konnte?

Wolfgang Clement: Wolfgang Clement gibt sein SPD-Parteibuch zurück.

Wolfgang Clement gibt sein SPD-Parteibuch zurück.

(Foto: Foto: ddp)

Doch Wolfgang Clement, so wird mitgeteilt, mag sich nicht öffentlich äußern. Und die, die ihn dennoch erreichen, haben keine Lust oder vielleicht auch keine Geduld mehr, um nach den Motiven des einstigen Wirtschaftsministers zu fragen. Dazu gehört Franz Müntefering, der Parteivorsitzende.

Fast zwei Stunden lang saß er am Montagabend in der Bundesschiedskommission, dem obersten Parteigericht der Sozialdemokraten, und hat gute Worte für Clement eingelegt - was dem Vernehmen nach nicht einfach gewesen sein soll. Denn die Genossen aus Nordrhein-Westfalen, die den Ausschluss des einstigen Ministerpräsidenten verlangten, sollen bockig gewesen sein.

Und die Parteirichter hätten es, wie es heißt, eigentlich schöner gefunden, wenn sich Clement zu dem Termin eingefunden hätte, bei dem es schließlich um ihn und seine politische Zukunft ging. Doch der hatte abgesagt, schon vor Wochenfrist.

Gegen 18.30 Uhr fällt das Urteil: kein Ausschluss, nur eine Rüge. Die Beteiligten bis hin zu Müntefering meinen, das Spektakel sei nun vorbei. Aber zumindest einer weiß, dass dem nicht so ist, Wolfgang Clement nämlich. Er soll, so jedenfalls berichten Gewährsleute, schon am Montagabend entschlossen gewesen sein, den Tadel nicht hinzunehmen und die Partei zu verlassen, der er 38 Jahre angehörte.

Er sei erbost gewesen über seine Widersacher, die ihn aus der Partei werfen wollten, nicht nur wegen seiner Warnungen vor einer Wahl der hessischen SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti vor Jahresfrist. Sondern auch mit dem Argument, er habe als Befürworter der Agenda 2010 eine "menschenverachtende Politik" betrieben und Kinder in die Armut gejagt.

Und erbost auch über all jene Parteioberen, die am Schluss des Verfahrens erklärten, Clement und seine Kritiker seien aufeinander zugegangen.

Eine Nacht, das gestand Clement zu, wolle er aber noch über seine Entscheidung schlafen. Am Dienstag muss er dann wohl früh aufgestanden sein. Kurz nach neun Uhr jedenfalls ging im Willy-Brandt-Haus ein Fax ein, gerichtet an den SPD-Parteivorstand.

Es ist jene Erklärung, die Clement wenig später öffentlich machen wird. Drei Gründe nennt der 68-Jährige für seinen Austritt, zu dem er sich, wie er schreibt, nach gründlicher Abwägung entschlossen habe. "Drangsaliert" fühle er sich durch die Entscheidung der Schiedskommission, die sein Recht auf Meinungsfreiheit - gemeint sind die Äußerungen zu Ypsilanti - mit einem Tadel belege.

Zum Zweiten stört er sich daran, dass die Bundes-SPD Landesverbände zur Zusammenarbeit mit der, wie er schreibt, "PDS/Linken" ermuntere, statt sich klar abzugrenzen.

Und zum Dritten beklagt er eine SPD-Wirtschaftspolitik, die auf die "De-Industrialisierung Deutschlands" hinauslaufe.

Müntefering wählt Clements Nummer, erreicht ihn auch, will wissen, ob er noch umzustimmen sei. Nein, sagt der Ex-Genosse, die Entscheidung sei definitiv. Kurz soll das Gespräch gewesen sein, keine Warum- und Wieso-Fragen. Anschließend werden Müntefering und andere SPD-Spitzenvertreter sagen, dass sie den Schritt Clements bedauern, ein wenig jedenfalls. Trauer allerdings spricht nicht aus diesen Worten, eher Unverständnis.

Umweltminister Sigmar Gabriel, der sich beim Kapitel Wirtschaftspolitik durchaus von Clement angesprochen gefühlt haben dürfte, sagt, ihn verwundere dessen "Schein-Radikalität, die sich nur noch um die eigenen Positionen dreht". Und dann nennt er den einstigen Superminister in einem Atemzug mit jener Ypsilanti-SPD, die Clement seinerzeit so empörte. "Das ist dieselbe Ich-Bezogenheit, wie wir sie auch bei dem Drama in Hessen erlebt haben."

Andere in der SPD sind enttäuscht und zornig. So wie Axel Schäfer, Bundestagsabgeordneter aus Bochum, der Heimatstadt Clements. Schäfer hatte noch vor ein paar Tagen versucht, bei SPD-Senioren aus Nordrhein-Westfalen um Verständnis für den als starrsinnig und aufbrausend bekannten Clement zu werben. "Das waren Mitglieder der richtigen altgedienten Basis. Und die hatten eine Riesenwut."

Schäfer beruhigte damals die Gemüter und ist nun selbst wütend: "Das ist beschämend, wie sich Clement jetzt verhält. Er schädigt die SPD, durch die er alles in seinem Leben geworden ist."

Da ist er wieder: der Egomane Clement, der Mann, der so oft auf eigene Rechnung arbeitet, der unberechenbar ist, selbst für langjährige Weggefährten. Hatte er sich nicht bei einem sorgfältig geplanten Auftritt im August in Bonn bemüht, den Eindruck zu erwecken, ihm täten seine Äußerungen zu Ypsilanti leid? Hatte sein Rechtsvertreter und Parteifreund Otto Schily am Montagabend vor der Schiedskommission nicht eine ähnlich lautende Stellungnahme abgegeben?

Es gibt nicht wenige, die sich über Clements Abgang freuen. Martin Rockel, Vorstandsmitglied des klageführenden SPD-Ortsvereins Bochum-Hamme, sagte, man habe am Montag stundenlang um einen Kompromiss gerungen und diesen auch gefunden. "Aber ganz offensichtlich ist Wolfgang Clement nicht mehr in der Lage, im Team zu arbeiten. Von daher ist sein Parteiaustritt nur konsequent. Sein Entschluss ist aber rein sachlich nicht zu erklären, sondern nur mit der besonderen Persönlichkeitsstruktur Wolfgang Clements."

Seinen ehemaligen Parteikollegen kündigte Clement auch noch eines an: Der Austritt sei nicht das Letzte, was sie von ihm zu hören bekämen. An jedweden weiteren Diskussionen um Meinungsfreiheit in der SPD, das Verhältnis zur Linken und die Wirtschaftspolitik werde er sich, "nunmehr als Sozialdemokrat ohne Parteibuch nach Kräften beteiligen".

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