Wohnungsbau:Das Volk soll mitentscheiden

Plattenbauten aus DDR Zeiten zum großen Teil schon saniert im Stadtbezirk Berlin Marzahn Im Hinte

Mietwohnungen im Berliner Bezirk Marzahn.

(Foto: imago/Hohlfeld)

Die Krise lässt sich nur lösen durch eine gerechte Nutzung von Wohnraum und ein soziales Bodenrecht. Alle Bürgerinnen und Bürger sollten in diesen Fragen mitreden dürfen.

Kommentar von Gerhard Matzig

Zunächst hört es sich an wie eine spätsozialistische Rachefantasie, was sich Aktivisten in Berlin zur Zukunft des Wohnens ausgedacht haben. Demnächst will eine Initiative mit Blick auf die überschießende Mietpreisentwicklung Unterschriften für einen Volksentscheid sammeln. Ziel ist es, bestimmte Unternehmen "zu vergesellschaften". Das richtet sich etwa gegen die börsennotierte Wohnungsgesellschaft Deutsche Wohnen, die allein in der Hauptstadt mehr als 100 000 Wohnungen besitzt. Der Großvermieter soll letztlich enteignet werden, wobei sich die Initiative auch auf das Grundgesetz beruft. Dort heißt es in Artikel 14: "Eigentum verpflichtet." In der Verfassung von Berlin ist zudem zu lesen: "Jeder Mensch hat das Recht auf angemessenen Wohnraum."

Die Verstaatlichung privaten Eigentums ist kein Willkürakt, sondern unter bestimmten Rechtsannahmen diskutabel. Gleichwohl wäre es absurd, würde man die private Wohnungswirtschaft auf diese Weise enteignen, um aus der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland eine Art Immobilien-Nordkorea zu machen.

Eine derartige Eskalation im Streit um bezahlbaren Wohnraum in den Städten ist jedoch nicht nur seltsam, sondern auch zwangsläufig. Wobei der Anstieg der Mieten mittlerweile auch das Umland der Metropolen erreicht hat, wie der soeben veröffentlichte Monatsbericht der Bundesbank zeigt. Das Wohnen wird allerorten zur Existenzfrage.

Deshalb ist es bemerkenswert, dass die radikalisierte Rede von Vergesellschaftung und Enteignung gerade jetzt zu hören ist. Jetzt, da beispielsweise im Streit um eine Stadterweiterung im Münchner Nordosten auch die "städtebauliche Entwicklungsmaßnahme" (SEM) geprüft wird, die das extreme Mittel der Enteignung kennt. Nur müsste hier der Staat, was die Lokalpolitik bereits ausgeschlossen hat, keine Firmen, sondern beispielsweise Bauern enteignen, um das "öffentliche Interesse" an einem neuen Stadtteil und neuen Wohnungen durchzusetzen.

Auch in Freiburg, wo man am Sonntag per Bürgerentscheid über die Zukunft einer für 15 000 Einwohner geplanten Stadterweiterung befindet, ist die SEM mit dem Reizwort der Enteignung im Spiel. Auch hier ist die Debatte um die Frage, was im öffentlichen Interesse liegt und was nicht, zuletzt eskaliert. Die Nerven liegen blank in Deutschland.

Die Politiker würden sich gern ein neues Volk wählen

Das Wohnen ist zur zentralen sozialen Frage geworden, die Politik wird getrieben von Daten, Zahlen, Prognosen. Und von jenen Defiziten einer desaströsen Wohnungspolitik, die auch jetzt, da sie im Innenministerium verantwortet wird, nicht durch Weitsicht auffällt. Sondern allenfalls mit dem Populismus, der darin liegt, das Bundesministerium des Innern und für Bau auch noch eines für "Heimat" sein zu lassen. Wo doch schon die zunehmende Zahl von Volks- und Bürgerentscheiden offenbart, dass es gerade diese Heimat ist, die in der Bevölkerung als gefährdet und bedroht gilt. Dieser Angst käme man mit Wohnsicherheit, also mit einer nicht nur privat, sondern auch öffentlich organisierten Wohnungsbauwirtschaft eher als mit dem vagen Begriff "Heimat" entgegen.

Die Wohnungspolitik befindet sich nahe am Rand zur Kapitulation. Denn die im Volk herbeigerufenen Entscheide, die das Wohnen betreffen und auf das Leben zielen, sind zunehmend auch als Misstrauensvoten wahrnehmbar. Das Verhältnis von Volk und Volksvertretern erscheint in dieser Frage zerrüttet. Doch wie ist darauf zu reagieren, wenn das Regieren und Gestalten, das Planen und Realisieren eingeschränkt wird? Eine in dieser explosiven Situation geäußerte Idee stammt von der CDU in Baden-Württemberg. Dort, wo seit 2015 Bürgerentscheide gegen die Ausweisung von Baugebieten möglich sind, könnte, so die Idee, die Regelung doch wieder rückgängig gemacht werden. Weil die Bürger den Bauherrn, der Bauindustrie und den am Bau tätigen Fachplanern so offensichtlich misstrauen, würden sich Politiker und Verwaltung offenbar gern ein neues Volk wählen. Beziehungsweise: Nervende Bürgerentscheide, die Zeit und Geld kosten, möchte man nach Möglichkeit unterbinden. Das wäre fatal.

Ja, manchmal hört sich die Stimme des Volkes wirr an. Wie in Berlin, wo man vor einiger Zeit die geplante Bebauung des Tempelhofer Feldes (vornehmlich mit Wohnraum) per Volksentscheid untersagt hat, um jetzt abermals per Volksentscheid private Immobilienfirmen zu enteignen - auch im Namen von bezahlbarem Wohnraum. Aber solche Stimmungen muss die Demokratie aushalten.

Die Lösung der Wohnungskrise liegt in der gerechten Nutzung von Wohnraum und einem sozialen Bodenrecht. Ohne den Neubau von Wohnungen wird es nicht gehen. Und der kann nur mit den Bürgern, aber nicht gegen ihren Willen durchgesetzt werden. Partizipation ist daher das Gebot der Stunde. Politik und Bauwirtschaft müssen das verloren gegangene Vertrauen zurückerobern. Das wird schwer - aber es ist der einzige Weg.

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