BundesregierungDeutschlandturbo statt Deutschlandtempo

Lesezeit: 3 Min.

„Wir brauchen Tempo, Tempo, Tempo, und das machen wir jetzt.“: Die neue Bundesbauministerin Verena Hubertz (SPD) zeigt sich zusammen mit ihrem Parteichef und Vizekanzler Lars Klingbeil (li.) entschlossen.
„Wir brauchen Tempo, Tempo, Tempo, und das machen wir jetzt.“: Die neue Bundesbauministerin Verena Hubertz (SPD) zeigt sich zusammen mit ihrem Parteichef und Vizekanzler Lars Klingbeil (li.) entschlossen. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Mit deutlich vereinfachten Verfahren soll das Bauen nun wirklich schneller gehen und das Wohnen günstiger werden. Neue Zahlen zur Entwicklung der Mietpreise zeigen, wie dringend etwas geschehen muss.

Von Georg Ismar, Berlin

Es wirkt ein wenig wie ein Déjà-vu. Schon die vorige Bauministerin Klara Geywitz ging gern auf eine Baustelle, wenn es Großes zu verkünden galt. Im November 2023 wurde auch schon einmal ein „Bau-Turbo-Pakt für Deutschland“ verkündet. In einer Schubkarre liegen nun weiße Helme für die neue Bauministerin Verena Hubertz und Vizekanzler Lars Klingbeil bereit. Aber sie lassen sie liegen, sie schreiten am Rohbau eines Berliner Bauprojekts vorbei, hier soll auf einem früheren Parkplatz neuer bezahlbarer Wohnraum entstehen.

Die beiden stehen im staubigen Sand vor den Mikrofonen, am Baugerüst hinter ihnen hängt ein Plakat, damit jeder es versteht: „Wir zünden den Bau-Turbo – weil jedes Zuhause zählt“. Die beiden SPD-Politiker kommen direkt von der Sitzung des Bundeskabinetts, bei der ein neuer „Bau-Turbo“ beschlossen worden ist, oder etwas bürokratischer, ein Gesetz zur Beschleunigung des Wohnungsbaus und zur Wohnraumsicherung. Klingbeil als Finanzminister will das auch mit Investitionen aus dem Sondervermögen Infrastruktur unterstützen.

Die neue Bauministerin sagt: „Wir werden aus den fünf Jahren jetzt zwei Monate machen.“

Kommunen sollen mit dem Gesetz von unnötigen Auflagen befreit werden. Hubertz legt die Messlatte für dieses Gesetzesvorhaben der schwarz-roten Koalition – und sich selbst – ziemlich hoch. „In einer durchschnittlichen deutschen Großstadt dauert ein Bebauungsplan auch mal fünf Jahre. Wir werden aus den fünf Jahren jetzt zwei Monate machen.“ Zwei Monate habe die Gemeinde, die Stadt, die Kommune Zeit, um ein neues Bauvorhaben auf den Weg zu bringen.

So soll im Baugesetzbuch ein neuer Paragraf eingeführt werden, der Kommunen ein Abweichen von bauplanungsrechtlichen Vorschriften erlaubt.  So können laut Ministerium zusätzliche Wohnungen bereits nach einer zweimonatigen Prüfung ohne Aufstellung oder Änderung eines Bebauungsplans genehmigt werden. Dies erlaube es, durch Neubau, Umbau oder Umnutzung zügig neuen Wohnraum zu schaffen. Diese Regelung wird zunächst bis zum 31. Dezember 2030 befristet. Erleichtert werden soll zum Beispiel auch die Bebauung etwa über Supermärkten, und generell die Aufstockung, Anbauten oder das Bauen in der zweiten Reihe. Hubertz nennt immer wieder den Fachbegriff „Nachverdichtung“, auch die strengen Lärmschutzregeln beim Bauen sollen gelockert und generell Kommunen mehr Planungsfreiheiten bekommen.

Mietwohnungen sollen zudem weiterhin nicht einfach in Eigentumswohnungen umgewandelt werden können; der Umwandlungsschutz in Wohngebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt soll um fünf Jahre verlängert werden. Allerdings zeigen neue Zahlen, dass viele der bisher ergriffenen Maßnahmen wenig Wirkung zeigen.  Einer Auswertung des Bauministeriums zufolge stiegen die Angebotsmieten in den 14 größten kreisfreien Städten bei einer Wohnfläche von 40 bis 100 Quadratmetern seit 2015 im Schnitt um fast 50 Prozent – vorne liegt dabei Berlin mit Mietsteigerungen von 107 Prozent. Gefolgt von Leipzig (plus 67,7 Prozent) und Bremen (plus 57 Prozent), am moderatesten fallen die Mietsteigerungen mit 28,4 Prozent demnach in Dresden aus.

Die Linken-Abgeordnete Caren Lay hatte diese Daten vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) abgefragt. Am teuersten ist das Mieten demnach weiterhin in München mit Quadratmeterpreisen von fast 22 Euro. Es folgen Berlin mit fast 18 Euro und Frankfurt am Main mit rund 16 Euro pro Quadratmeter. Lay sagte dazu, die Mietpreisbremse sei viel zu löchrig und biete keinen wirksamen Schutz. In Städten wie Hamburg, Köln oder Leipzig seien die Mieten trotz Mietpreisbremse sogar stärker angehoben worden als zuvor. „Umzüge werden unmöglich, und das alles trägt zur weiteren sozialen Spaltung unserer Gesellschaft bei“, kritisiert Lay.

„Wir wollen, dass die Bagger in unserem Land rollen“, sagt Lars Klingbeil

Hubertz und Klingbeil setzen daher darauf, dass mehr – am besten auch mehr bezahlbarer – Wohnraum entsteht, auch durch die Förderung des sozialen Wohnungsbaus. „Wir haben in Deutschland ein Problem, wir sind viel zu langsam“, sagt Hubertz, die früher als Start-up-Gründerin auch schon ihre Erfahrungen mit deutscher Bürokratie machen konnte. Ihre Losung: „Wir brauchen Tempo, Tempo, Tempo, und das machen wir jetzt.“ Was die Vorgängerregierung noch als Deutschlandtempo pries, soll nun also gewissermaßen zum Deutschlandturbo werden. Klingbeil formuliert es so: „Wir wollen, dass die Bagger in unserem Land rollen.“ Kommende Woche wird der Finanzminister seinen ersten Bundeshaushalt vorlegen und darlegen, wie das 500 Milliarden Euro umfassende neue Sondervermögen Infrastruktur über die Jahre investiert werden soll.

Immerhin, zuletzt ging es etwas voran. Nach neuen Zahlen des Statistischen Bundesamts wurde im April in Deutschland der Bau von 18 500 Wohnungen genehmigt, ein Zuwachs von 4,9 Prozent im Vergleich zum April 2024. Insgesamt wurden von Januar bis April damit  73 900 Wohnungen genehmigt; 2 700 Wohnungen (plus 3,7 Prozent) mehr als im Vorjahreszeitraum.

Aber natürlich bezieht sich dann gleich die erste Frage nach dem Statement der beiden Minister auf vergangene Versprechen. Der vormalige Kanzler Olaf Scholz hatte im Wahlkampf 400 000 neue Wohnungen pro Jahr angekündigt, um mit mehr Angebot die Kosten für die Bürger zu senken. Das klappte in keinem Jahr. Hubertz verweist auf die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine, die Inflation, gestiegene Baukosten und Zinsen. Auf eine neue Zahl will sie sich daher lieber nicht festlegen. Sie wolle sich schon daran messen lassen, wie sich nun die Quadratmeterpreise, Bauzeiten und Baukosten entwickeln. Sie sagt aber auch: „In der Zeit, in der wir leben, einer Welt, die sehr dynamisch ist, da macht es einfach gar keinen Sinn, 400 000 Wohnungen als Ziel in Stein zu meißeln und diesem Ziel vier Jahre hinterherzulaufen“.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ JetztZusammenleben
:Sieben Tipps für ein harmonisches WG-Leben

Wie findet man heraus, mit welchen Menschen man gut zusammenlebt? An welchen Putzplan halten sich alle? Und wie spricht man Dinge an, die einen stören? Sieben Tipps unserer Autorin nach zehn Jahren WG-Erfahrung.

SZ PlusText: Franziska Setare Koohestani, Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

Lesen Sie mehr zum Thema

  • Medizin, Gesundheit & Soziales
  • Tech. Entwicklung & Konstruktion
  • Consulting & Beratung
  • Marketing, PR & Werbung
  • Fahrzeugbau & Zulieferer
  • IT/TK Softwareentwicklung
  • Tech. Management & Projektplanung
  • Vertrieb, Verkauf & Handel
  • Forschung & Entwicklung
Jetzt entdecken

Gutscheine: