Süddeutsche Zeitung

Katholische Kirche:"Moralische Verantwortung liegt natürlich auch bei mir"

Nach Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens spricht Kardinal Woelki von "systematischer Vertuschung" in der katholischen Kirche. Er bietet Hunderten Opfern sexueller Gewalt persönliche Gespräche an und räumt auch selbst Fehler ein.

Von Philipp Saul

Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki hat sich nach dem in der vergangenen Woche veröffentlichten Gutachten zum Umgang mit Missbrauchsvorwürfen in seinem Bistum geäußert und "systembedingte Vertuschung" eingeräumt. "Der Ruf der Kirche wurde höher bewertet als das Leid der Betroffenen", sagte Woelki auf einer Pressekonferenz. Generell habe es an Mitgefühl und Empathie mit Betroffenen gefehlt. "Ihnen wurde häufig nicht einmal zugehört."

Pflichtverletzungen hätten "im gesamten Spektrum kirchlicher Positionen stattgefunden, nicht nur in diesem Bistum", so der Kardinal. Über die Ursachen für Missbrauch und mangelnde Aufklärung sagte Woelki: "Das hätte nie passieren dürfen."

Aus dem Missbrauchsgutachten hatte sich ergeben, dass im Erzbistum Köln den noch verfügbaren Akten aus den Jahren 1975 bis 2018 zufolge mindestens 314 Personen - meist Jungen unter 14 Jahren - Opfer von sexualisierter Gewalt geworden waren. Woelki sagte, er wolle allen Betroffenen ein persönliches Gespräch anbieten und versuchen, zuzuhören.

Woelki: "Es braucht ein System der gegenseitigen Kontrolle"

Der Gutachter Björn Gercke hatte festgestellt, "dass sich Jahrzehnte offenbar niemand getraut hat, solche Fälle zur Anzeige zu bringen". Die Aktenführung des größten deutschen Bistums wurde als äußerst mangelhaft kritisiert.

Woelki sagte, als Konsequenz habe er die Anweisungen gegeben, dass keine Akten im Bistum Köln mehr vernichtet werden dürfen. Damit stelle er sich gegen das geltende Kirchenrecht, das Aktenvernichtungen vorschreibt. Es brauche ein "System der gegenseitigen Kontrolle", aber auch Kontrolle von außen. Es darf und es wird nicht mehr möglich sein, dass Seiten aus Akten verschwinden oder "ganze Akten hinter den Schrank fallen". Es müsse ausgeschlossen sein, dass Akten manipuliert werden können.

Woelki kündigte an, er wolle sich für die Abschaffung von Widersprüchen zwischen Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz und dem Kirchenrecht einzusetzen. "Es braucht Änderungen im Kirchenrecht, die den Umgang mit sexuellem Missbrauch noch eindeutiger und klarer regeln." Dass Missbrauch immer noch nur als Zölibatsverstoß gelte, sei eine ewige Fortsetzung der falschen Perspektive. Das so anzusehen, sei "reine Täterperspektive".

In dem Gutachten hatte der Jurist Gercke mehreren Verantwortungsträgern des Erzbistums Pflichtverletzungen vorgeworfen, so etwa dem früheren Personalchef und heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße und dem 2017 gestorbenen Kardinal Joachim Meisner.

Woelki räumt ein, er habe nicht alles Menschenmögliche getan

Auch Woelki selbst stand im Visier der Gutachter, die er selbst beauftragt hatte. Er soll den mittlerweile verstorbenen Düsseldorfer Pfarrer Johannes O. geschont haben, dem der Missbrauch eines Kindergartenjungen Ende der 1970er-Jahre zur Last gelegt wurde. Nachdem Woelki 2014 Erzbischof geworden war, entschied er, nichts gegen O. zu unternehmen, weil dieser aufgrund einer fortgeschrittenen Demenz "nicht vernehmungsfähig" gewesen sei.

Auch wenn die Juristen Woelki nicht belasteten, sagte er selbst: "Moralische Verantwortung liegt damit natürlich auch bei mir als dem heute zuständigen Erzbischof." Er gab zu: "Ich hätte mich in dem Fall des Priesters O. anders verhalten müssen." Es gehe "nicht nur darum, das Richtige zu tun, sondern alles Menschenmögliche zu tun. Und das habe ich nicht getan. Ich hätte nicht nach Rom melden müssen, aber ich hätte es tun können und auch tun sollen."

Einen Amtsverzicht schloss Woelki aber aus. "So ein Rücktritt wäre nur ein Symbol, das nur für eine kurze Zeit hält." Er könne es nur aus seinem Amt heraus besser machen und moralische Verantwortung übernehmen. "Ich werde in Zukunft alles dafür tun, dass möglichst keine Fehler mehr passieren können."

Unmittelbar nach der Vorstellung des Gutachtens hatte Kardinal Woelki den Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp und den Kirchenrichter Günter Assenmacher beurlaubt. Noch am selben Tag bat Erzbischof Heße den Papst um seine Entlassung. Am folgenden Tag wurde zudem der Kölner Weihbischof Ansgar Puff auf eigenen Wunsch von Woelki beurlaubt.

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