Süddeutsche Zeitung

WM 2006:Das Märchen vom Sommermärchen

  • Die Vergabe der Fußball-WM 2006 an Deutschland soll nur durch Schmiergelder an Wahlmänner zustandegekommen sein.
  • Der frühere Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus soll das Geld zur Verfügung gestellt haben, das auf ein schwarzes Konto eingezahlt worden sein soll.
  • Später habe er das Geld zurückgefordert, was Tricksereien nötig gemacht habe, um die Zahlung zu vertuschen.

Von Hans Leyendecker und Klaus Ott

Die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland war anders als andere Turniere. Es galt als Sommermärchen, weil alles passte: ein gastfreundliches Land, begeisternde Spiele, tolle Stimmung, bestes Wetter. Jetzt liegen Hinweise vor, dass die Vergabe der WM nach Deutschland gekauft worden sein könnte. Ist das Sommermärchen also ein Märchen?

Schon lange gibt es Anhaltspunkte, dass bei den Turnieren in Frankreich (1998) und in Südafrika (2010) Schmiergeld geflossen sei. Auch die kommenden Weltmeisterschaften in Russland (2018) und in Katar (2022) stehen unter Verdacht. Nun meldet der Spiegel , das deutsche Bewerbungskomitee für die WM-Vergabe habe frühzeitig eine schwarze Kasse mit umgerechnet 6,7 Millionen Euro eingerichtet. Gefüllt habe diese Kasse der damalige Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus. Eingeweiht gewesen seien allem Anschein nach Franz Beckenbauer, der Chef des Bewerbungskomitees, und später auch Wolfgang Niersbach, der heutige Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB).

Das Geld soll eingesetzt worden sein, um sich Stimmen der asiatischen Vertreter im Exekutivkomitee des Fußball-Weltverbandes Fifa zu sichern. Die Fifa-Exekutive hatte im Jahr 2000 Deutschland den Zuschlag erteilt. Der Spiegel berichtet weiter, Dreyfus habe später das Geld zurückgefordert. Die Rückzahlung sei auf Wegen geschehen, die den Fall als dubios erscheinen lassen. Der DFB erklärte am Freitag, er trete "mit aller Entschiedenheit den völlig haltlosen Behauptungen" entgegen und behalte sich rechtliche Schritte vor. Beckenbauers Management lehnte eine Stellungnahme ab. Die Fifa will die WM-Vergabe untersuchen und leitete den Fall an eine interne Prüfkommission weiter.

Vier Stimmen aus Asien waren entscheidend

Sollte der Verdacht einer schwarzen Kasse und eines angeblichen Stimmenkaufs zutreffen, hätte der deutsche Fußball eine Affäre neuer Dimension. Verglichen damit wäre selbst der legendäre Skandal um gekaufte Bundesligaspiele in den Siebzigerjahren fast eine Provinzgeschichte. Die Geschichte soll so gehen, dass Dreyfus dem deutschen Bewerberkomitee vor der Entscheidung über die WM-Vergabe eine Summe in Höhe von 10,3 Millionen Franken zur Verfügung gestellt habe. Diese Summe soll weder im Haushalt des Bewerbungskomitees noch später im Haushalt des Organisationskomitees aufgetaucht sein. Was dann bei der Abstimmung am 6. Juli 2000 passierte, ist bekannt: Deutschland gewann ganz knapp gegen Südafrika mit 12:11 Stimmen. Vier Stimmen aus Asien hatten den Sieg ermöglicht. Nord- und Südamerika hatten hinter der südafrikanischen Bewerbung gestanden, Europa hinter der deutschen. Im letzten Wahlgang hatte ein Funktionär aus Neuseeland nicht mit abgestimmt.

Seitdem über die Fifa und Korruption diskutiert wird, ist auch die Vergabe der WM 2006 ein Thema. Deutsche Unternehmen machten große Geschäfte in und mit Ländern, in denen wichtige Mitglieder der Fifa-Exekutive zu Hause waren. Diese Vorgänge galten schon bisher als Indiz für unsaubere Vorgänge. Das muss aber nicht so gewesen sein. Nun steht ein neuer Verdacht im Raum.

Dreyfus soll das Geld zurückgefordert haben

Dreyfus war ein großer Strippenzieher im internationalen Sportgeschäft. Als Chef von Adidas und als millionenschwerer Erbe einer Handels- und Reederdynastie hätte er die Mittel gehabt, um aus seiner eigenen Kasse eine größere Summe vorzustrecken. Er war auch im späteren Steuerfall Uli Hoeneß früh mit Geld behilflich.

Dreyfus, der 2009 starb, soll das angeblich den Deutschen geliehene Geld ein paar Jahre vor seinem Tod zurückgefordert haben. Die 6,7 Millionen Euro seien dann, so der Spiegel, als deutscher WM-Beitrag auf ein Fifa-Konto in Genf geflossen und von dort auf ein Konto von Dreyfus weitergeleitet worden. Der DFB teilte mit, eine solcher Betrag sei im Jahr 2005 an die Fifa gegangen und "möglicherweise nicht dem angegebenen Zweck entsprechend" verwendet worden. Gedacht gewesen sei das Geld für ein Fifa-Kulturprogramm. Der Vorgang werde seit Monaten untersucht. Auch wenn die Zahlung möglicherweise nicht für den angegebenen Zweck verwendet worden sei, stehe sie aber in keinem Zusammenhang mit der WM-Vergabe.

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Quelle:
SZ vom 17.10.2015/ewid
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