Wladimir Putin:Worauf Putins Macht beruht - und wo sie enden könnte

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Was junge Russen wollen, kann Präsident Putin offenbar nicht bieten. (Foto: AP)

Russlands bisheriger und künftiger Präsident Wladimir Putin erfüllte in seinen frühen Amtsjahren viele Hoffnungen. Doch inzwischen ist er selbst die größte Bedrohung für die Zukunft des Landes.

Von Paul Katzenberger, Moskau

Wladimir Putin steht für Stabilität und Kontinuität. Die Russen haben ihn schon als Präsidenten erleben können, der im Land für stabile Verhältnisse sorgte, und die meisten von ihnen trauen ihm das immer noch zu. Seine Strahlkraft als Hoffnungsträger hat bei vielen kaum nachgelassen, er profitiert von ihr bis heute. Putins Image rührt noch immer aus jenen Jahren nach 2000, als er zum ersten Mal Russlands Präsident wurde.

Dass ihm die Menschen in Russland auch nach 18 Jahren Regentschaft noch vertrauen, ist bemerkenswert. Eine Umfrage nach der anderen belegt, dass die Mehrheit der Russen keine Alternative zu dem 65-Jährigen sieht. Damit überholt er sogar den sowjetischen Langzeit-Potentaten Leonid Breschnew, der bei seinem Tod 1982 ein verkrustetes und versteinertes Land zurückließ. Doch auch das heutige Russland droht die fortwährende Regentschaft ein und desselben Mannes mit Erstarrung zu bezahlen.

Während der frühere KGB-Agent Putin die gute alte Sowjetunion beschwört, die orthodoxe Kirche hofiert, und Homosexuelle oder Feministinnen drangsaliert, sind vor allem viele junge Russen im Zeitalter der Digitalisierung und Globalisierung angekommen.

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Putin wirkt wie ein Anachronismus in dieser Welt. Dabei war der russische Präsident in seinen ersten Amtsjahren tatsächlich ein Mann, der Zukunft verhieß. Der damals 47-Jährige verkörperte das Gegenteil seines Vorgängers Boris Jelzin, der erst im Rentenalter abgetreten war, und dem in seinen späten Regierungsjahren die gesundheitlichen Probleme ins Gesicht geschrieben standen.

Jelzin war zuletzt bei offiziellen Terminen immer wieder alkoholisiert aufgetaucht, und hatte die Amtsgeschäfte zunehmend einem engen Zirkel von Einflüsterern überlassen, darunter seine Tochter Tatjana. Im Vergleich dazu machte Putin eine überaus gute Figur: jung, dynamisch, kalkuliert und asketisch.

Er blieb immer der Geheimdienstler von einst

Ein Macher, der den Bürgern das Gefühl gab, dass er nach Jahren des Chaos für Ordnung sorgen werde. Und tatsächlich löste der Reformer aus St. Petersburg die Versprechen ein. Unter ihm gab es gab keine Staatspleite wie 1998 und keine Verfassungskrise wie 1993. Stattdessen spürten die Menschen eine Steigerung ihres Lebensstandards, die sie in den ersten Jahren von Putins Präsidentschaft einer Konsolidierung der staatlichen Institutionen und vor allem dem rapide steigenden Ölpreis verdankten. Dafür zollen viele Russen ihrem Präsidenten bis heute Anerkennung, obwohl sich die wirtschaftliche Lage des Landes inzwischen deutlich verschlechtert hat.

In seinem Inneren blieb Putin allerdings der Geheimdienstler von einst. Die Kontrollwut, die Spione eingebläut bekommen, prägte durchgehend seinen Regierungsstil. Das politische System Russlands konzentriert sich auch im Jahr 2018 immer noch voll auf Putin, außer ihm gibt es keinen unabhängigen Akteur von größerer Bedeutung. Der frühere Schachweltmeister und Putin-Kritiker Garri Kasparow kommentierte Putins Beliebtheit kürzlich in dem neokonservativen US-Wochenmagazin The Weekly Standard entsprechend mit: "Kann man von der Beliebtheit eines Restaurants sprechen, wenn es das einzige der Stadt ist und alle anderen Gaststätten niedergebrannt wurden?"

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Auch bei dieser Präsidentschaftswahl überließ der Kreml nichts dem Zufall: Alle Aspiranten, die antreten durften, sind chancenlose Zählkandidaten, die dem Urnengang einen demokratischen Anstrich geben sollen. Der einzige echte Herausforderer Alexej Nawalny, ein Charismatiker und politisches Talent, wurde mit einem fadenscheinigen Verfahren wegen angeblicher Unterschlagung aus dem Rennen gedrängt. Er erhielt keine Zulassung zur Wahl.

Putins Sieg wurde penibel vorbereitet: Der Wahltermin wurde auf den Jahrestag der der Annexion der Krim gelegt, die im Volk nach wie vor populär ist. Das unabhängige Meinungsforschungsinstitut Lewada und die Wahlbeobachter-NGO "Golos" wurden als ausländische Agenten eingestuft und in der Öffentlichkeit diskreditiert. Und allem Anschein nach waren auch wieder Trolle im Einsatz, um die öffentliche Wahrnehmung im Internet in eine Richtung zu lenken, die dem Kreml genehm ist.

Die unangefochtene Stellung, die Putin im politischen System Russlands einnimmt, führt zu der kuriosen Situation, dass er allein das politische Spektrum abdeckt, das in anderen Ländern durch vier oder fünf Parteien vertreten wird. Egal, ob es um liberale Positionen geht, oder um konservative, sozialdemokratische oder nationalistische Standpunkte - stets wird Putin als der wichtigste Repräsentant jeder dieser politischen Strömungen genannt.

Viele Bürger betrachten ihn auch als den aktivsten Reformer des Landes, während er in Wahrheit seine Hand über die korrupten Strukturen der politischen und wirtschaftlichen Machtausübung hält. Er sichert seine eigene Macht ab und das Land kommt wegen der anhaltenden Vetternwirtschaft nicht voran.

Grigori Jawlinski, liberales Urgestein der post-sowjetischen Politik und Präsidentschaftskandidat bei dieser Wahl, gab Radio Free Europe schon 2011 eine Einschätzung ab, die nach sieben weiteren Putin-Jahren noch zutreffender klingt: "Es gibt in dieser Gesellschaft keine Dynamik und keine Weiterentwicklung. Stattdessen nehmen Erschöpfung und Entfremdung zu, während die Menschen dem System den Rücken zukehren. Das liegt nicht nur an der allgegenwärtigen Korruption, den Menschenrechtsverletzungen und dem mangelnden Schutz von Eigentumsrechten, sondern auch daran, dass sich seit langem nichts mehr geändert hat. Wandel ist nur möglich, wenn es Alternativen gibt."

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Die Stagnation, die Jawlinski beschreibt, erscheint vielen Russen allerdings weiterhin als bessere Option. Ildar, ein 23-jähriger Bau-Ingenieur aus der Millionenstadt Kasan an der Wolga, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will, erklärt das mit dem Chaos der Neunzigerjahre, das sich allen, die es miterlebt hätten, tief eingeprägt habe: "Alle, die damals erwachsen waren, also diejenigen, die heute 40 Jahre alt sind oder älter, erlebten die ersten Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als eine Zeit harter Prüfungen. Heute idealisieren sie Putin, weil sie glauben, er habe sie aus der damaligen Krise geführt."

Diese Menschen, so Ildar, seien bereit, sich mit dem sinkenden Lebensstandard und den laufenden Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln und Benzin abzufinden, sowie Gesetze zu tolerieren, die ihre Rechte und Freiheiten einschränken. Alles, nur nicht zurück in die Neunzigerjahre, laute ihre Devise.

Die Älteren fügen sich, die Jüngeren begehren auf

Die Jüngeren, die der "Generation Putin" angehören und sich nur an Zeiten erinnern können, in denen Putin Präsident war, sehen die Sache allerdings anders als ihre Eltern. Jung und Alt reagierten unterschiedlich, wenn ihr Gerechtigkeitssinn verletzt werde, sagt die Moskauer Politologin Jekaterina Schulmann der SZ. "Die Kinder werden eher aktiv, die Eltern bleiben eher passiv." Die Sowjetzeit und die Neunzigerjahre sind die beherrschenden Themen der Talkshows im Staatsfernsehen. Oft geht der Blick zurück zu Stalin, Breschnew, Iwan, dem Schrecklichen, und Nikolaus II. "Unsere ganze Propaganda ist auf den Sowjetmenschen zugeschnitten", sagt Schulmann: "Sie zielt darauf, die Sowjetareale im Hirn zu aktivieren. Wenn jemand diese Areale nicht hat, dann plätschert das alles an ihm vorbei."

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Für junge Russen, die nicht nur über das Internet an der Globalisierung teilhaben, gibt es andere Prioritäten als Stabilität und Kontinuität. Im städtischen Raum trug die Politik diesen neuen Bedürfnissen bereits Rechnung. Unter Sergej Sobjanin, seit 2010 Bürgermeister von Moskau, wurde die Hauptstadt zugänglicher und freundlicher im Stadtbild. Neue Grünstreifen zieren die Straßen, der Gorki-Park ist im Sommer voller Leben und im Zentrum gibt es inzwischen sogar Radwege.

Diese neue Offenheit im Stadtbild fordern die jungen Leute aber auch in anderen Lebensbereichen ein. Und da fängt das Problem an, denn sie müssen erleben, dass in den korrupten Strukturen des Putin-Reiches ihre Bedürfnisse wenig zählen.

Viele von ihnen wollen das nicht mehr akzeptieren und verlassen ihr Land. Wie Stasja, eine junge Studentin aus Sotschi, denken viele von den Jüngeren: "Ich habe mein Leben vor mir, ich will Veränderungen, damit sich die Dinge verbessern." Mit der Mehrheit ihrer Landsleute, die sich in ein bescheidenes Leben fügten und alle staatlichen Repressionen stoisch hinnähmen, sei das nicht zu machen.

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Alina Poljakowa von der Washingtoner Denkfabrik Atlantic Council sieht in dieser Haltung die größte Bedrohung für die nationale Sicherheit Russlands. In den Jahren von 2000 bis 2014 seien 1,8 Millionen meist gut ausgebildete und junge Russen ausgewandert, um ihre Ambitionen in Nordamerika oder Westeuropa zu verwirklichen, mahnt sie.

Dem Land ginge damit die wichtigste Resource verloren, mit der es sich aus seiner Abhängigkeit von Öl- und Gasexporten befreien könne: das Know-How junger, qualififzierter und ambitionierter Leute. "Genau die Menschen, die das Land für seine wirtschaftliche Erholung am meisten braucht, sind diejenigen, die es verlassen", konstatiert die Eurasien-Expertin.

Langfristig könnte also der anhaltende Machtanspruch eines einzelnen Mannes zur größten Gefahr für Russland werden - nicht nur aus demokratischen und zivilgesellschaftlichen Erwägungen heraus, sondern auch aus wirtschaftlichen.

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