Wladimir Putin: Waldbrände in Russland:Brennender Ehrgeiz

Wladimir Putin schwingt sich während der Brandkatastrophe in Russland zum starken Mann auf und bringt sich für die nächste Präsidentenwahl in Stellung. Darin liegt auch eine Portion Zynismus.

Frank Nienhuysen

Alexej Wenediktow hat längst eingesehen, dass er etwas naiv war. Der Chefredakteur des Radiosenders "Echo Moskaus" hatte einen dieser kritischen Blogs gelesen, ein Mensch namens "top_lap" hatte ihn geschrieben, und irgendwie dachte Wenediktow, das schicke er jetzt einfach mal weiter an den Ministerpräsidenten. An Wladimir Putin. Top_lap hatte seinen Ärger hinausgeschrieben, dass es früher unter den Kommunisten in jedem Dorf noch drei Löschteiche gegeben habe, eine Feuerglocke, und - ja - sogar ein Feuerwehrauto. Jetzt aber gebe es unter den Demokraten stattdessen nur noch ein Telefon. "Gebt mir die Feuerglocke zurück", bat er, "und nehmt Euer Telefon wieder mit."

Vladimir Putin

Arbeitet an dem Ruf als Retter: Wladimir Putin bei Woronesch.

(Foto: AP)

Präsident Dmitrij Medwedjew würde den Blog vermutlich ja sogar selbst lesen, dachte sich Wenediktow, aber bei Putin machte er sich diese kühnen Gedanken nicht wirklich. Putin aber las ihn, und er antwortete sogar selbst. "Lieber Nutzer", begann er - und dann dankte er top_lap für dessen offene Worte und versprach, dass in seinem Ort die Feuerglocke wieder aufgebaut werde. Wo der Ort genau liegt, ist bis heute nicht bekannt.

Die politische Botschaft aber ist klar. Der Regierungschef ist der Seelentröster in Russlands schwerster Feuer-Katastrophe. 200.000 Quadratkilometer Wald brennen im Land, die Luft in der Hauptstadt Moskau hat die Werte eines gut gefüllten Aschenbechers und vernebelt sogar die Regierungsgebäude, da braucht Russland wenigstens eine sichtbare Führung. Und Putin versteht zu punkten.

Zu Beginn seiner Amtszeit als Präsident hatte er einen Fehler begangen, der sich nicht wiederholen sollte. Auf dem Grund der Barentssee kämpfte die Besatzung der Kursk um ihr Leben, und Putin urlaubte in der Sonnenstadt Sotschi. Diesmal aber ist er dort, wo es brennt. Er reist in die Region Nischnij Nowgorod und verspricht, dass die heruntergebrannten Häuser noch bis Oktober durch neue ersetzt würden und lässt den Neubau seinem Volk per Webcam zeigen. Er sagt unbürokratische finanzielle Entschädigung zu, krempelt die blauen Hemdsärmel auf, redet mit erschöpften Feuerwehrleuten und telefoniert aus verkokelten Birkenwäldern mit dem Kreml. Er lässt wegen der eingebrochenen Ernte den Export von Weizen stoppen, damit wenigstens das eigene Volk satt werden kann, und er kanzelt Behördenchefs ab, die sich zu spät aufbäumten gegen die Walze aus Feuer und Rauch.

Das Regieren ist nun einmal die Aufgabe des Regierungschefs, und doch huschen die Spekulationen bereits durch Russlands Zeitungen: Putin bringe sich mit all dem bereits für die Präsidentenwahl im übernächsten Jahr in Stellung. "Die untypische Kommunikation mit Bloggern, zuvor bereits die Motorrad-Spritztour auf der Krim, das alles sieht aus wie eine Wahlkampagne", sagte Nikolaj Petrow der Moscow Times. "In der jetzigen Katastrophe basteln sowohl Putin als auch Medwedjew an ihrem Ruf als Retter."

Darin liegt auch eine Portion Zynismus, denn Präsenz, Führung, Symbolik in Zeiten der Not ist das, was jedes Land braucht, nicht nur Russland. Eine derartige Feuersbrunst hat das Land lange nicht gequält, mit jedem Tag werden die bisherigen historischen Rekordtemperaturen überboten.

Ein heißester Tag reiht sich an den nächsten, und wenn die Grade Mitte der nächsten Woche endlich leicht heruntergehen sollten, dann stehen die erwarteten Ziffern immer noch bei 35. Putin schrieb in der Korrespondenz mit top_lap bei aller von ihm geteilten "generellen Kritik" beschwichtigend, dass die jetzigen Feuer doch nun mal die schlimmsten seien. "Niemals hatten die Kommunisten es mit einem solch großen Problem zu tun."

Für die russische Führung ist der Kampf gegen das Feuer nach der Finanzkrise bereits die zweite Grenzerfahrung innerhalb kurzer Zeit. Und die Katastrophe ist groß genug, dass sie zwei Krisenmanagern Platz bietet, sich zu beweisen. Präsident Dmitrij Medwedjew brach seinen Urlaub in Sotschi ab, um sich in der Plage mit der Nation zu solidarisieren. Schnurstracks entließ er einige Offiziere, als ein wichtiges Nachschubdepot der Streitkräfte in Brand geriet und 200 Flugzeuge und Hubschrauber vernichtete. Doch die Schreckensmeldungen kommen von allen Seiten. Das Übergreifen der Flammen auf ein strategisches Atomzentrum konnten die Helfer gerade abwehren, da warnte Putins Katastrophenschutz-Minister Sergej Schojgu, dass im Südwesten des Landes radioaktive Bodenpartikel - Altlasten des Tschernobyl-Gaus - in die Luft wirbeln könnten.

Mit jedem neuen Front-Foto von Putin rückt die Kritik an ihm etwas mehr in den Hintergrund. Dass er nämlich selbst mitverantwortlich sei am gewaltigen Ausmaß der Brände. Als Präsident hatte er mit einem neuen Gesetz den Schutz der russischen Wälder aus der Hand gegeben und damit praktisch einen Kahlschlag des Personals genehmigt. Zehntausende Forstmitarbeiter mussten gehen.

Und doch: Wohl keine Naturkatastrophe kann in Russland groß genug sein, dass sie bestimmt, wer der nächste Präsident wird. Das liegt derzeit noch immer allein in der Macht von Putin und Medwedjew. Vermutlich nur in der von Putin.

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