Wladimir Putin:Die Macht der Ungewissheit

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Wie redet man mit jemandem, bei dem man nie sicher sein kann, ob er selbst glaubt, was er gerade sagt? Russlands Präsident Wladimir Putin. (Foto: Alexander Zemlianichenko/picture alliance/AP)

Russlands Präsident kann von einem Moment zum anderen über Krieg und Frieden entscheiden. Seine Autorität rührt nicht zuletzt daher, unberechenbar zu bleiben.

Kommentar von Silke Bigalke

Wenn in Europa in diesen Tagen über Sicherheit gesprochen wird, geht das nicht ohne Kopfzerbrechen über den Mann, der den Kontinent an den Rand eines Krieges führt. Wie entscheidet Wladimir Putin? Selbst oder gerade diejenigen Menschen, die ihn kennen, sagen offen: Wir wissen es nicht.

Die Ratlosigkeit über die nächsten Schritte Putins ist inzwischen so groß, dass selbst das Mobiliar im Kreml als Hinweisgeber herhalten muss. Sechs Meter Holz trennten Putin vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz (und übrigens auch vom ungarischen Premier). Eine extralange Tischplatte als Maß dafür, wie weit sich Moskau vom Rest Europas entfernt hat?

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Zwischen Putin und dem kasachischen Machthaber Kassym-Schomart Tokajew hatte kaum mehr als ein Beistelltischlein Platz. Die Erklärung für das Tischmaß: Nur wer sich vom Kreml testen lässt, darf in Putins Nähe. Die Kluft zwischen Russland und dem Westen ist so groß wie seit 30 Jahren nicht mehr.

Wladimir Putin hat Europa in eine Situation gebracht, in der er von einem Tag auf den anderen über Krieg und Frieden entscheiden kann. Die Frage, was der Präsident tatsächlich will, stellt sich dringender als je zuvor. Doch gerade jetzt taugt der alte Ratschlag wenig, ihn nicht an Worten, sondern an seinen Taten zu messen. Denn Worte sind ja die einzige Hoffnung: So lange Putin mit sich reden lässt, wird er auch nicht zur Tat schreiten. Aber wie redet man mit jemandem, bei dem man nie sicher sein kann, ob er selbst glaubt, was er gerade sagt?

Im Inland führte Putins Paranoia zu einem Feldzug gegen die Zivilgesellschaft

Putin bezeichnet den Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze weiterhin als Übungen. Warnungen vor einer Eskalation interpretiert er in Russlandfeindlichkeit um. Er fordert "stichfeste, wasserdichte, kugelsichere, rechtsverbindliche" Sicherheitsgarantien von Washington - und sagt doch, dass er auch auf schriftliche Verträge mit den USA nicht mehr vertraut. Aus westlicher Sicht hört sich das alles unauflösbar an. Doch vieles von dem, was Putin nun beklagt, gehört seit Jahren zum Repertoire.

Den USA warf er bereits auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 vor, sie überschritten in ihrem Streben nach Vorherrschaft nahezu alle Grenzen. Die Osterweiterung der Nato nannte er schon damals eine Provokation und forderte Sicherheitsgarantien. Aus seiner Weltsicht hat Putin nie ein Geheimnis gemacht: Der Westen habe Russland stets schwach halten wollen, wirtschaftlich, geopolitisch, militärisch. Wladimir Putin sieht sich von Feinden umzingelt.

Im Inland hat seine Paranoia erst zu einem Feldzug gegen Oppositionelle und dann gegen die Zivilgesellschaft geführt. Putin hat Russland so umgebaut, dass er sich seiner eigenen Macht auf lange Sicht sicher sein kann. Neu ist das Selbstbewusstsein, mit dem er seine Durchschlagskraft außerhalb seiner Grenzen testet. Wie weit will er noch gehen?

Beim Wort nehmen sollte man ihn nie, aber doch ganz genau zuhören

Anfang der Woche hat Putin erst den russischen Außenminister, dann den Verteidigungsminister zum Rapport bestellt. Beide saßen sehr weit von Putin entfernt an einem Tisch, der sogar noch länger wirkte als der, an dem Macron und Scholz Platz genommen hatten. Außenminister Sergej Lawrow erhielt mehr Redezeit als der Verteidigungsminister Sergej Schoigu, er empfahl weitere Verhandlungen mit dem Westen. Grund zur Hoffnung oder eine Nebelkerze?

Wladimir Putin verändert das Sicherheitsgefüge in Europa spürbar. Er erreicht sein Ziel schon, indem er die Europäer in Ungewissheit wiegt. Auch das gehört zum Repertoire: Er sorge für Russlands Sicherheit, indem er den Westen in "Anspannung" versetze. Der Kremlchef hat angeordnet, diesen angespannten Zustand so lange wie möglich zu halten. Man sollte Putin zwar nie beim Wort nehmen. Aber es ist dennoch aufschlussreich, ihm ganz genau zuzuhören.

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