Wladimir Putin:Rechtsbeuger im Kreml

Gesetze sind in Russland zu einer Waffe geworden, die vor allem gegen die Opposition und für den eigenen Machterhalt eingesetzt wird. Dies spricht dafür, dass Russlands Führung alles fürchtet, was im eigenen Lande nicht unter strenger Kontrolle steht.

Daniel Brössler

Von seiner akademischen Ausbildung her ist Russlands Präsident Wladimir Putin Jurist. Dies mag ihn in den ersten Monaten seiner Herrschaft dazu bewogen haben, seinem Volk die "Diktatur des Gesetzes" zu verheißen. So martialisch das damals klang, erlaubte es doch noch die Hoffnung, der junge Präsident habe nur eine griffige Formulierung für das gesucht, was anderswo Rechtsstaat heißt.

Seitdem sind siebeneinhalb Jahre vergangen. Für Putin reichte diese Zeit, um den russischen Staat nach seinen Vorstellungen zu formen. Die "Diktatur des Gesetzes" ist längst in Kraft. Putins Wortschöpfung hat ihr Geheimnis verloren, nicht aber ihren Schrecken. Die Justiz verkommt in Russland zu einem Werkzeug der Macht. Gesetze sind ihre Waffen. Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Waffen am Wochenende gegen den früheren Schachweltmeister Garri Kasparow zum Einsatz gekommen sind.

Für einen Augenblick die Aufmerksamkeit des Westens erhaschen

Mit Mitstreitern wollte er nach einer genehmigten Versammlung zum Gebäude der zentralen Wahlkommission ziehen, um dort ein Protestschreiben zu überbringen. So kamen dann im Gericht des Moskauer Abschnitts 382 die Artikel 19 (Widerstand gegen die Staatsgewalt) und Artikel 20 (Störung der Ordnung bei einer Versammlung) aus dem Verwaltungsgesetzbuch zur Anwendung. Die Diener des Gesetzes verhängten fünf Tage Haft. Dieses Risiko war Kasparow vor dem nicht genehmigten Gang zur Wahlkommission bewusst gewesen. Er nahm es in Kauf, um die für kommenden Sonntag angesetzte Parlamentswahl als weder frei noch fair zu brandmarken.

Tatsächlich ist es Kasparow gelungen, für einen Augenblick die Aufmerksamkeit des Westens zu erregen. In Russland selbst aber ist seine Stimme viel zu schwach, um gehört zu werden. Umso erstaunlicher mag da die Härte der Staatsmacht erscheinen. Sie spricht dafür, dass Russlands Führung zwar keine Kritik aus dem Ausland mehr fürchtet, wohl aber alles, was im eigenen Lande nicht unter strenger Kontrolle steht. Putin und seine Hintersassen glauben in Wahrheit am allerwenigsten an die so häufig gepriesene Stabilität des Systems. Sie sind nicht gewillt, etwas dem Zufall zu überlassen - schon gar nicht freie Wahlen.

In einer Demokratie entscheidet das Volk in Wahlen für einen begrenzten Zeitraum über seine Führung. In Putins System, von Kreml-Politologen "souveräne Demokratie" getauft, verfügt der Souverän über diese Macht nicht. Dies war auch schon zu Zeiten des Boris Jelzin nicht viel anders gewesen. Oligarchen setzten eine Menge Geld und alle ihre Medien ein, um die eigene Macht und die Macht Jelzins zu sichern.

Putin hat den Milliardären den Einfluss entrissen und sie Bürokraten, Russlands neuen Herren, übertragen. Die vom Präsidenten in die Wahl geführte Partei Einiges Russland ist ein Club sowjetischer Funktionäre. Sie haben jegliche Ideologie über Bord geworfen, reden von Russlands Größe und leben dank der Milliarden aus den Öl- und Gasverkäufen großartig dabei.

Gesetze sind in Russland Auslegeware

In der Wahlkabine kommt Russlands Bürgern nun lediglich noch die Aufgabe zu, diese bestehende Ordnung zu legitimieren. Auch deshalb reden die Propagandisten des Kreml gar nicht mehr von einer Wahl. Sie haben die Abstimmung umfunktioniert zu einem Referendum zur Unterstützung Putins.

In der Diktatur des Gesetzes findet das Oberste Gericht nichts dabei, dass der Präsident sein Amt im Wahlkampf für seine Partei missbraucht. Gesetze sind in Russland Auslegeware. Sie führen stets dahin, wo sie gebraucht werden. Wenn das mal nicht reicht, müssen sie eben zugeschnitten werden. Putin ließ das Wahlrecht so ändern, dass seine Gegner chancenlos sind. Die meisten Parteien wurden gleich ganz von der Wahl ausgeschlossen. Auch die Unlust, ausländische Wahlbeobachter zuzulassen, verheißt nichts Gutes.

In der Theorie ist Putin immerhin seine Verfassungstreue zugute zu halten. Schließlich hat er angekündigt, sich an das Verbot einer unmittelbaren dritten Kandidatur bei der Präsidentenwahl im März zu halten. In der Praxis aber arbeitet der Kremlchef am Machterhalt. Nichts wird in Moskau derzeit für unmöglich gehalten, das diesem Zweck dienen kann.

Putin könnte beispielsweise zurücktreten und dann erneut kandidieren, denn die Verfassung verbietet es nur, mehr als zwei Amtszeiten ohne Unterbrechung im Kreml zu absolvieren. Der Trick wäre zwar weder durch Buchstaben noch durch den Geist der Verfassung gedeckt. Bei Bedarf aber finden sich unter Juristen und Politologen genug willfährige Helfer, die das Gegenteil behaupten und Putin für diesen weisen Kniff noch preisen werden. Nichts benötigt die Diktatur des Gesetzes so dringend wie flexible Rechtsgelehrte.

Andere Planspiele sehen Putin gar in der Rolle des "nationalen Führers". Die Idee kommt aus dem Kreml, wo das Geschichtsbewusstsein in den Jahren der Putin-Herrschaft arg gelitten hat. Es ist unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich, dass erhebliche Eingriffe ins politische System die Macht Putins sichern sollen. Ein autoritärer Staat kann sich immer in zwei Richtungen bewegen - hin zur Demokratie oder noch weiter weg von ihr. Russland steht am Scheideweg.

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