Wladimir Putin:Mächtig und machtlos

Lesezeit: 2 Min.

Mächtigster Mann der Welt, Person des Jahres - und doch in manchner Hinsicht ohnmächtig: Wladimir Putin (Foto: AFP)

Er bietet Whistleblower Snowden Asyl und wird zu einer entscheidenden Figur in der Syrien-Frage: Auch deshalb küren Magazine Wladimir Putin zum mächtigsten Mann der Welt, zur Person des Jahres. Doch der russische Präsident lenkt nur von den Problemen im eigenen Land ab.

Ein Kommentar von Julian Hans, Moskau

Fast wäre es ein gutes Jahr geworden für Wladimir Putin, sein erfolgreichstes sogar, fanden viele. Mehrfach hat er den USA die Stirn geboten und dafür Applaus geerntet. Er hat Edward Snowden aufgenommen, der die Datenschnüffelei der US-Geheimdienste aufdeckte, einen amerikanischen Angriff auf Syrien abgewendet und gleichzeitig die Vernichtung von Baschar al-Assads Chemiewaffen auf den Weg gebracht. Als das Magazin Forbes Putin im Oktober zum mächtigsten Mann der Welt erkor, ahnte noch niemand, dass er wenig später auch die EU ausspielen und Brüssel die Ukraine entreißen würde.

Ein Jahr nach Antritt seiner dritten Amtszeit eilte der russische Präsident scheinbar von Triumph zu Triumph. Am Wochenende kürte ihn auch die Londoner Times zur Person des Jahres - kurz darauf riss in Wolgograd die zweite Bombe eines Terroristen innerhalb von 24 Stunden mindestens zehn Menschen in den Tod.

Was hört man seitdem von Wladimir Putin? Er schickt den Geheimdienstchef nach Wolgograd. Er ordnet schärfere Sicherheitsmaßnahmen an. Nur persönlich tritt er nicht auf. In dem Augenblick, in dem Terroristen sein Land angreifen, schweigt der mächtigste Mann der Welt.

Dahinter stecken zwei Probleme: ein verdrängtes und ein erfundenes. Seit Beginn des ersten Tschetschenien-Krieges 1994 begleitet der separatistische und islamistische Terrorismus Russland. Seit dem offiziellen Ende des zweiten Krieges in der Republik Tschetschenien 2009 erstickt ihr Präsident Ramsam Kadyrow jede Autonomiebestrebung mit roher Gewalt und hohen Subventionen aus Moskau.

Doch der Widerstand hat sich in die benachbarten Republiken verlagert. Die Meldungen über ermordete Sicherheitskräfte und "vernichtete Banditen", die beinahe täglich aus Dagestan, Inguschetien oder Kabardino-Balkarien kommen, sind zu einem Hintergrundrauschen geworden, das in Moskau kaum noch wahrgenommen wird, weil man sich daran gewöhnt hat. Wenn einmal im Jahr auch im europäischen Teil des Landes ein Sprengsatz explodiert, ist die Überraschung groß, als gäbe es den Bürgerkrieg im Süden nicht.

Stattdessen bestimmt ein anderer Kampf die staatlich gelenkten Massenmedien. Der Kreml hat sich in den vergangenen Jahren selbst Feindbilder geschaffen, die sich mit rhetorischen Mitteln bekämpfen lassen: westliche Geheimdienste und Politiker, die in unermüdlicher Wühlarbeit alles daransetzen, das Volk gegen den Kreml aufzuwiegeln, traditionelle russische Werte zu untergraben und den Einfluss Russlands in der Welt zu schmälern. Die Erfolge, die Putin in diesem Jahr feiern konnte, waren vor allem Erfolge an dieser Front. Er kauft die Ukraine mit Milliarden, aber die eigene Wirtschaft will nicht mehr wachsen. Er stoppt die US-Bomber, aber nicht die islamistischen im eigenen Land.

Sotschi - Putins Olympia-Stadt, der der Terror von Wolgograd eigentlich gilt - ist der Ort, an dem nun die Gegensätze aufeinanderprallen: Russlands Größe in der Welt und Russlands Probleme im Innern.

© SZ vom 31.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: