Spott war immer ein treuer Begleiter von Autokraten und Diktatoren. Für die Herrscher ist er lästig wie Kaugummi am Schuh, für die Beherrschten fungiert er als Ventil, als Garant dafür, dass sich irgendwo noch Nischen der Wahrheit, des Widerstands, des Zusammenhalts finden. Auch in Putins Russland gibt es trotz Gehirnwäsche und Zensur idealistische, mutige Hofnarren, die kremlkritische und kriegsoppositionelle Witze fabrizieren. Sie zeigen, dass nicht alle Russen der Propaganda ihres Präsidenten erliegen.
Entsprechend verdient macht sich Christine Engel, ehemalige Professorin für Slawistik an der Universität Innsbruck, wenn sie für den Heel-Verlag „politische Witze aus Putins Russland“ im Web aufstöbert, übersetzt und einordnet. Flankiert werden sie von gelungenen Karikaturen. Ein brisantes Thema und erstaunlich für einen Verlag, der sonst sehr buntes und harmloses Allerlei im Programm hat, von „Modelleisenbahn“ über „Heißluftfritteuse Gold – Die besten Rezepte“ bis „Projekte mit Ziegelsteinen“.
Autos, Blondinen und der Personenkult
Engel hat fünf Internetplattformen durchkämmt, etwa Anekdoty iz Rossii (Anekdoten aus Russland). Alles keine Bollwerke gegen den Kreml, die meisten Witze dort drehen sich, wie anderswo, um Ehegatten, Autos, Blondinen, Alkohol, Fußball, Wetter und ähnlich Banales. Allerdings schafft es auch bissiger politischer Humor dorthin, etwa zum Personenkult: „Putins Bad im Eisloch musste mehrmals aufgenommen werden, denn Wladimir Wladimirowitsch lief wie gewohnt direkt über das Wasser.“ Oder zu seiner TV-Sendung „Die direkte Leitung“, in der Putin nach ergiebiger Selbstdarstellung ausgewählte Fragen aus dem Volk beantwortet: „Es gibt Lügen, freche Lügen und die Pressekonferenz von Putin.“ Typisch sind auch Bonmots zu seinen Kommunikationsstrategien, insbesondere zu seinem Whataboutismus: „Sehr geehrter Wladimir Wladimirowitsch! Ich verdiene 12.131 Rubel, also 125 Euro im Monat, meine Frau kann nicht arbeiten, ich habe zwei Kinder und eine Hypothek. In diesem Zusammenhang habe ich eine Frage: Wie sehen Sie die Versuche des Westens, die Geschichte des Zweiten Weltkriegs umzuschreiben?“
Dass die Scherzbolde anonym bleiben, versteht sich von selbst. In Russland wurden Menschen schon für geringere Vergehen verhaftet und malträtiert, etwa weil sie auf Moskaus Straßen Fotos von Oppositionspolitikern wie Boris Nemzow (2015 ermordet) oder Alexej Nawalny hochhielten. Letzterer war auch wegen seines unauslöschlichen Sarkasmus gegen das Regime bewundert, von dem er selbst im sibirischen Straflager, in das ihn Putin-treue Richter gesperrt hatten, nicht abließ. Seinen mutigen Galgenhumor bezahlte Nawalny im Februar 2024 mit dem Leben.

Die Geschichte des „russischen“ Witzes geht zurück bis in die Anfänge der Sowjetunion („Das Zwischenstadium zwischen Sozialismus und Kommunismus ist Alkoholismus.“). Allein „Radio Eriwan“, jener fiktive Radiosender, der „Zuhörerfragen“ beantwortete und sich im gesamten Ostblock verbreitete, erreichte universalen Kultstatus. Über Geschichte, Charakter und Bedeutung sowjetisch-sozialistischer Witze gäbe es einiges zu erzählen, schon daher würde man hier gerne mehr erfahren. Christine Engel ordnet die vielen, vielleicht sogar zu vielen versammelten Witze gut und richtig ein, doch ihre Erläuterungen bleiben knapp und allgemein. Dass politischer Humor ein „Stimmungsbarometer“ ist oder „etwas Subversives“, lässt sich auch für Myanmar, Venezuela oder andere Unterdrückungsregime sagen.
Ganz am Ende wird es gar naiv-verharmlosend – „in einer Zeit, in der es nichts Wichtigeres gibt, als sich den Humor zu bewahren“, heißt es auf dem Buchrücken. Die Ukrainer, die voller Todesangst in Kellern und U-Bahn-Schächten gegen russische Raketen ausharren, die russischen Dissidenten, die in Lagern eingekerkert sind, können sich eventuell doch Wichtigeres vorstellen, etwa Wehrhaftigkeit gegen einen Gewaltherrscher namens Putin.
Verharmlosung des Aggressors im Vorwort
Das Vorwort hat Elke Leonhard verfasst, die allerdings nicht weiter vorgestellt wird. Es handelt sich um die SPD-Politikerin, die von 1990 bis 2005 im Deutschen Bundestag saß und deren Ehemann der im August 2014 verstorbene, bekannte Sowjetunion-Experte Wolfgang Leonhard war. Ihre Sätze sind teils Phrasen: „Diese Fragen sollten auf die Agenda eines langen Prozesses der Aufarbeitung und Neujustierung der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Es bedarf neuer qualifizierter Verträge, alle Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit betreffend. Grundlage sind das Vertrauen und der entschiedene Wille.“ Und weiter: „Tief saßen die Verwundungen durch westliche Politiker, die nicht müde wurden, Russland als Provinzmacht zu degradieren und eine diskriminierende Botschaft nach der anderen zu adressieren.“ Erstaunlich ist, wie man selbst im Winter 2024/2025 noch festhalten kann an der Mär von der Schuld des Westens und vom gedemütigten Präsidenten, der aus Trotz oder Stolz in Nachbarländer einmarschieren muss. Leonhard, die im Januar 2025 ebenfalls verstarb, schien den – deutschen und westeuropäischen – (Alt-)Politikern anzugehören, die es nicht fassen können oder wollen, Putins Aggressionen jahrzehntelang verklärt und verharmlost zu haben.
Dass Leonhard damit genau der Propaganda in die Falle geht, die dieses Buch aufspießt, ist der eigentliche Witz.