"Judensau"-Relief:Und sie schämen sich nicht

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Blick auf die Stadtkirche in Wittenberg, an deren Südfassade sich das umstrittene Relief befindet. (Foto: Getty Images)

Ein Pfarrer und ein Gericht halten an einem judenfeindlichen Machwerk an der Außenmauer von Luthers Predigtkirche in Wittenberg fest. Das macht fassungslos.

Kommentar von Ronen Steinke

In diesem Land ist das Wort "Judensau" noch mehr als nur eine hässliche Beleidigung. Es ist ein ganzer kunstgeschichtlicher Topos. Die traditionelle "Judensau"-Darstellung - ein fettes Borstenvieh, an dessen Zitzen bärtige Rabbiner saugen, während der Satan zufrieden zusieht - war ein beliebtes Motiv christlich-religiöser Propaganda, und das schon Jahrhunderte bevor der NSDAP-Gauleiter Julius Streicher in Nürnberg seine antisemitische Hetzzeitung Der Stürmer  gründete.

In Stein gemeißelte Reliefs der "Judensau" fanden sich in den Domkirchen von Magdeburg, Regensburg, Freising - lauter Städte, die ihre jüdische Bevölkerung im Mittelalter vertrieben - und auch an der Wittenberger Stadtkirche, in der Martin Luther predigte und von der aus die Botschaft der Reformation um die Welt ging. Dort war die "Judensau" an der Südostmauer außen angebracht, in circa vier Metern Höhe in einem großen Format von etwa einem Meter mal 1,20 Meter. Man weiß das so genau, weil das Schmähbild noch heute dort prangt.

Fraglich ist, über wen man nun mehr staunen soll. Da wäre die Kirche, die darauf besteht, ja in den vergangenen Tagen sogar vor dem Landgericht Dessau dafür gekämpft hat, dass das Schmähbild hängen bleibt. Von vielem haben Protestanten schon Abschied genommen seit den Tagen Luthers. Von Ritualen, von institutioneller Frauenfeindlichkeit, von antisemitischen Predigten. Ausgerechnet die "Judensau" aber will man nicht abändern, weil - so hat das der Pfarrer Johannes Block gesagt - man die eigene "dunkle Geschichte" lieber präserviere?

Die "Judensau" ist kein Kunstwerk

Schon klar: Wenn man jedes alte Kunstwerk, in dem diskriminierende Klischees dargestellt werden, nachträglich bereinigen würde, wäre selbst Shakespeare dran, der in seinem "Kaufmann von Venedig" das klassisch-antisemitische Bild eines nicht nur nach Geld, sondern auch nach Blut gierigen Juden verbreitet; wenn auch in schönem Englisch. Aber die "Judensau" ist kein Kunstwerk, das für Interpretationen offen wäre oder sonst irgendwie wertvoll. Es ist ein Statement, so simpel wie eine Stürmer-Karikatur; nur dafür geschaffen, Menschen zu dehumanisieren und der Verachtung preiszugeben.

Der richtige Ort dafür wäre ein historisches Museum. Nicht eine Hauswand, an der die Beleidigung unverändert zur Schau gestellt wird. So wie es auch einen Unterschied macht, ob eine Parkbank mit der Aufschrift "Für Juden verboten" in einem Museum gezeigt wird - oder einfach weiter in der Stadt herumsteht.

Oder sollte man eher noch fassungsloser sein über den Staat, der der Kirche dies durchgehen lässt? Ein Mitglied der jüdischen Gemeinde hatte geklagt. Die "Judensau" sei beleidigend, es gebe einen Beseitigungsanspruch nach Paragraf 1004 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Das Landgericht hat sich nun in seinem Urteil gewunden zu sagen: Natürlich sei die "Judensau" beleidigend. Aber die Kirche meine das nicht so. Ihr fehle es, da das Relief schon so alt sei, am "Erklärungswillen". Da sei nichts zu machen.

Wie nachsichtig. Zumal die Wittenberger "Judensau" erst in neuerer Zeit restauriert worden ist, auch um ihre Inschrift wieder lesbar zu machen. Man stelle sich vor, eine Moschee würde so ein Schmähbild ausstellen. Würde der Staat auch so ungerührt zusehen?

© SZ vom 25.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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