Süddeutsche Zeitung

Klimaschutz:Wissing und EU-Kommission einigen sich im Verbrenner-Streit

Der Bundesverkehrsminister verkündet den Kompromiss im Zusammenhang mit den sogenannten E-Fuels. Umweltschützer sehen darin eine Hintertür zu Lasten des Klimaschutzes.

Von Michael Bauchmüller

Ursprünglich hatten die Bildungsminister der EU den Abschied vom Verbrennermotor besiegeln sollen, knapp vier Wochen ist es her. Jetzt sollen das Europas Energieminister vollziehen, bei ihrem Rat am kommenden Dienstag. Was eigentlich eine reine Formsache ist, zog sich hin - der deutsche Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) war in letzter Minute auf die Bremse gestiegen. Doch nun hat er seinen Widerstand eingestellt, dank einiger Abmachungen zwischen Berlin und

Brüssel. Sie schaffen eine Hintertür für den herkömmlichen Motor - zumindest theoretisch.

Die Nachricht hatte Wissing am Samstag wie einen Triumph verkündet: "In sehr detaillierten und konstruktiven Verhandlungen ist es uns gelungen, im Rahmen der Regulierung zu den Flottengrenzwerten das Element der Technologieneutralität sicherzustellen." Am späten Freitagabend habe man sich geeinigt. Der Weg sei nun frei - auch dafür, nach 2035 noch Neufahrzeuge zuzulassen, unter deren Kühlerhaube zwar ein Verbrennermotor arbeitet, das allerdings nur und ausschließlich mit sogenannten E-Fuels. Das sind synthetisch hergestellte Kraftstoffe, die auf Wasserstoff basieren.

Wie die Abmachung aber konkret umgesetzt wird, liegt jetzt in den Händen Brüssels. Das Problem: Das gegenwärtige System der Flottengrenzwerte - also jene CO₂-Höchstgrenzen, die Autohersteller für ihre Fahrzeuge im Schnitt einhalten müssen - orientiert sich am Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids. Doch auch Fahrzeuge, die E-Fuels tanken, stoßen CO₂ aus, das sie bei der Herstellung aufgenommen haben. "Klimaneutral" werden sie erst, wenn sie mit sauberer Energie hergestellt werden. Nötig wird damit eine neue Fahrzeug-Kategorie, die sich nur und ausschließlich mit solchen E-Fuels betanken lässt. Eine solche Teil-Kategorie der Euro-6-Norm soll die Kommission nun aushecken. Per delegiertem Rechtsakt könnte sie festlegen, dass diese Fahrzeuge dann auch bei den Flottengrenzwerten als klimafreundlich gelten. Und das auch nach 2035.

"Konkrete Verfahrensschritte und ein konkreter Zeitplan" seien "verbindlich fixiert" worden, teilte Wissing nach der Einigung mit. "Wir wollen, dass der Prozess bis Herbst 2024 abgeschlossen ist." Auch EU-Vizepräsident Frans Timmermans, mit dem Wissing zuletzt über den Vorgang im Clinch gelegen hatte, bestätigte die Einigung. Die Kommission werde nun "rasch die nötigen rechtlichen Schritte folgen lassen", teilte er auf Twitter mit.

Vor allem aber bleibt so die ursprüngliche Richtlinie unangetastet. Denn die war zwischen Rat, Parlament und Kommission längst abgemacht - weshalb die letzte Zustimmung der Mitgliedstaaten in einem x-beliebigen Ministerrat nur noch reine Formsache war und ist. Doch zwischenzeitlich hatten auch mehrere Mitgliedstaaten, darunter Italien, Zweifel an dem Plan erkennen lassen. Eine Mehrheit wäre nicht mehr sicher gewesen, hätte sich Deutschland enthalten. Diese Gefahr dürfte für Dienstag nun gebannt sein.

Auch der Berliner Ampelkoalition tut die Einigung gut, schließlich hat die an Streitfragen derzeit keinen Mangel. Die Causa Verbrenner hätte andernfalls auch den Koalitionsgipfel am Sonntag überschattet. Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne), in Sachen Flottengrenzwerte federführend, äußerte sich erleichtert. "Es ist gut, dass diese Hängepartie ein Ende hat", sagte sie. "Alles andere hätte sowohl das Vertrauen in die europäischen Verfahren wie auch in die europapolitische Verlässlichkeit Deutschlands schwer beschädigt." Die Automobilindustrie habe nun Klarheit für die Umstellung auf Elektromobilität. "E-Fuels werden - das haben wir immer gesagt - eine wichtige Rolle spielen", sagte die Grüne. Dies aber vor allem in Bereichen, "die nicht ohne weiteres auf effiziente Elektromotoren umstellen können".

Dass sich E-Fuels-Fahrzeuge gegenüber Elektroautos rechnen, halten Experten für unwahrscheinlich. "E-Fuels sind ein teures und massiv ineffizientes Ablenkungsmanöver", sagt Julia Poliscanova, die sich bei der Brüsseler Organisation Transport & Environment mit dem Thema befasst. Auch deutsche Umweltschützer kritisierten die Einigung scharf. Der Ausstieg aus dem Verbrenner werde nun "mit einer Hintertür namens E-Fuels versehen", sagte Benjamin Stephan, Verkehrsexperte bei Greenpeace. "Dieser faule Kompromiss untergräbt Klimaschutz im Verkehr, und er schadet Europa." Die deutschen Grünen im Europaparlament kündigten an, die Abmachung "rechtlich und politisch" zu prüfen. Schließlich steht die nun neben der ursprünglichen Einigung.

Um ein Haar hätten Brüsseler Regularien selbst die Abstimmung am Dienstag vereitelt. Denn damit die EU-Energieminister das Verbrenner-Aus über die letzte Hürde bringen können, muss das Thema erst auf die Tagesordnung. Dafür sorgt der Ausschuss der Ständigen Vertreter, und der wiederum tagt nur freitags und mittwochs. Doch in weiser Voraussicht hatte er seine Sitzung am Freitag formal nicht beendet, sondern nur ausgesetzt - um sie an diesem Montag fortzusetzen. An Formalitäten soll die formale Zustimmung nicht mehr scheitern.

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