Wissenschaftler und Journalisten beschattet:Abgeordnete werfen BND illegale Aktionen vor

Lesezeit: 2 Min.

Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat möglicherweise bis in die jüngste Vergangenheit Journalisten observiert, ohne die Regierung zu informieren. BND-Chef August Hanning spricht von "Grauzonen".

Annette Ramelsberger

"Ich kann nicht ausschließen, dass gegen untreue Mitarbeiter Observationen liefen, und ich kann nicht ausschließen, dass dabei Journalisten in den Blickpunkt geraten sind", sagte BND-Chef August Hanning am Donnerstag in Berlin. Der Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, Ernst Uhrlau, sagte, er sei in seiner Amtszeit nicht über solche Observationen informiert worden.

Politiker von CDU und SPD nannten die Aktivitäten des Nachrichtendienstes unrechtmäßig. Der BND äußerte sich damit nach tagelangem Schweigen zum ersten Mal zu den Vorwürfen, er habe in den neunziger Jahren über Monate hinweg deutsche Journalisten und Wissenschaftler beschattet, um ein Leck in den eigenen Reihen zu finden.

Hanning bestätigte diese Aktivitäten am Donnerstag: "Offenbar hat es Observationen gegeben." Er nehme die Vorfälle "außerordentlich ernst" und werde den Vorwürfen nachgehen. Auf Fragen, ob es solche Aktionen bis in die jüngste Vergangenheit gegeben habe, sagte er, es gebe eine Grauzone, ob und wie nah der Dienst bei Recherchen an Journalisten heranrücken dürfe, und diese Grauzone bleibe ein Problem.

Inzwischen ist bekannt, dass mindestens drei Journalisten von Observationsteams beschattet wurden. Der Geheimdienstkoordinator Uhrlau sagte, er habe in jüngster Zeit keinen Hinweis auf solche Observationen durch den BND bekommen.

"Für die Zeit, in der ich den Überblick hatte, kann ich das ausschließen", sagte er der Süddeutschen Zeitung. "Ich kann mir kaum vorstellen, dass heute jemand bei Journalisten ansetzen würde - am Kanzleramt vorbei." Uhrlau ist seit 1998 Geheimdienstkoordinator. Der BND ist der Auslandsgeheimdienst der Bundesrepublik. Er darf im Inland nur ermitteln, wenn seine eigene Sicherheit bedroht ist.

"Vorgänge nicht verharmlosen"

Abgeordnete von CDU und SPD kritisierten die Observationsmaßnahmen. "Die nachrichtendienstliche In-Visiernahme von Journalisten ist unzulässig, Punkt", sagte Dieter Wiefelspütz, der Innenexperte der SPD-Bundestagsfraktion. "Dieses Vorgehen ist eindeutig gesetzeswidrig und darf nicht verharmlost werden." Sein Kollege Wolfgang Bosbach von der CDU sagt, er nehme solche Aktivitäten "mit größter Verwunderung" zur Kenntnis. Hier werde versucht, Journalisten einzuschüchtern.

Die Observationen hatte der Leiter des Weilheimer Friedensinstituts Erich Schmidt-Eenboom bekannt gemacht. Ihm habe sich ein ehemaliger Beschatter anvertraut, sagte Schmidt-Eenboom. Mittlerweile liegen drei eidesstattliche Versicherungen früherer BND-Leute über den Ablauf vor. Danach wurde das Institut Schmidt-Eenbooms videoüberwacht und alle Besucher identifiziert.

Der BND wollte dadurch seine Leute entlarven, die Informationen aus dem Nachrichtendienst weitergaben. Schmidt-Eenboom hatte 1994 ein Buch über Schwachstellen des BND geschrieben. Doch nicht nur die Besucher von Schmidt-Eenboom wurden observiert.

Es wurden auch Journalisten beschattet, die über den BND berichteten, auch ein Journalist des Focus.

Ihn verfolgten zwei Observationsteams auf den Gemüsemarkt. Seine Observation dauerte den eidesstattlichen Erklärungen zufolge von April 1994 bis Januar 1995, also zehn Monate lang. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung marschierten BND-Leute unter Vorspiegelung falscher Tatssachen sogar ins Einwohnermeldeamt der Heimatgemeinde des Focus-Redakteurs und besorgten sich sein Lichtbild.

Einen Spiegel-Redakteur beschatteten BND-Leute bereits am Flughafen in München. Einen anderen Journalisten, der mit dem Zug nach Weilheim gekommen war, verfolgten sie bis nach Nürnberg, wo sie im Hotel seine Anmeldedaten einsahen. "Wenn der Anschein entstanden ist, dass der BND gezielt deutsche Journalisten beschattet, würde ich das bedauern", sagte Hanning.

Unklar ist, ob das Kanzleramt von den Vorfällen in den 90-er Jahren informiert war. Der BND-Präsident war zum Zeitpunkt der Vorfälle im Kanzleramt tätig, nach seinen Aussagen wurde er erst später für die Aufsicht über den BND zuständig. "Es wäre fatal, wenn das Bundeskanzleramt davon gewusst hätte", sagte Hanning. "Ich halte die Überwachung von Journalisten nicht für notwendig und nicht für statthaft."

© SZ vom 11. November 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: