Wissenschaft:Gefährliche Sumpfblasen

Raubjournale verbreiten massenhaft wertlose oder interessengeleitete Publikationen. Um den Unsinn zu stoppen und den Ruf der Forschung zu retten, braucht es ein Gütesiegel für seriöse Studien.

Von Patrick Illinger

Jahrzehntelang wachten ehrwürdige Fachjournale über das Weltwissen. Eine Publikation in Traditionsblättern wie Science oder Nature gilt noch heute als Ritterschlag für Forscher. Doch mittlerweile kommen fast täglich neue, auch digitale Fachzeitschriften auf den Markt. Der Ausstoß wissenschaftlicher Veröffentlichungen steigt exponentiell. Und man muss sagen: leider auch der Ausstoß von wissenschaftlich klingendem Unsinn.

Eine Recherche von NDR, WDR und SZ zeigt nun, dass sogenannte Raubverlage massenhaft wertlose oder interessengeleitete Publikationen in die Welt setzen. Unter seriösen Wissenschaftlern stoßen diese Journale zu Recht auf Verachtung. Doch ist das Publikationswesen derart unübersichtlich geworden, dass auch seriöse Forscher den oft geschickt gemachten Raubjournalen auf den Leim gehen, ebenso den Hochstaplern und Betrügern, die diese für ihre Zwecke nutzen. Das beschädigt die Wahrnehmung von Wissenschaft in der Öffentlichkeit.

Wie konnte es dazu kommen? Ein Grund ist, dass traditionelle Wissenschaftsverlage ihr komfortables Geschäftsmodell überreizt haben. Sie garantieren zwar weitgehend wasserdichte Begutachtungsverfahren, doch leben sie davon, dass mit Steuermitteln bezahlte Wissenschaftler Inhalte liefern, die dann mit Steuermitteln finanzierte Universitäts- und Institutsbibliotheken kaufen müssen. So kassieren klassische Wissenschaftsverlage doppelt, während die Wissenschaft die Arbeit macht und bezahlt.

Gegen die traditionellen Verlagsoligopole hat sich unter dem Stichwort "Open Access" ein umgekehrtes Modell etabliert: frei zugängliche Journale, bezahlt von Wissenschaftlern, Lehrstühlen und Instituten, die ihre Erkenntnisse publizieren möchten. Das ist im Prinzip eine gute Idee. Wer den Aufwand für eine seriöse Studie betrieben hat, kann auch ein paar Hundert Euro für deren Veröffentlichung bezahlen. Doch müssten Gutachter und Redaktionen die Qualität hochhalten. Und hier wird das Wasser trüb.

Die Naivität mancher Wissenschaftler ausnutzend, aber auch den Druck, möglichst viel zu publizieren, machen sich Raubverleger breit, oft mit beeindruckend seriös wirkenden Internetseiten und wohlklingenden Titeln. Haufenweise Pseudowissenschaft wirkt plötzlich ebenbürtig. Von der Inflation an Veröffentlichungen profitieren derzeit alle Verlage, seriöse wie auch räuberische.

An dem ungebremsten Wildwuchs im wissenschaftlichen Publikationswesen trägt allerdings auch das moderne Wissenschaftssytem eine Mitschuld. Angetrieben vom Dogma "publish or perish" - publizieren, was das Zeug hält - wird bereits Doktoranden abverlangt, mehrere Veröffentlichungen zu erstellen. In Berufungsverfahren entscheiden numerische Kenngrößen: Wie viele Publikationen kann der Kandidat vorweisen? Und wie oft wurden diese von anderen Publikationen zitiert? Derzeit gehört das Publizieren am laufenden Band zum Selbstverständnis der Forschung. Man muss sich nicht wundern, wenn auch aus anerkannten Institutionen mitunter wissenschaftliche Sumpfblasen aufsteigen. Der öffentlichen Wahrnehmung tut das nicht gut.

Abhilfe schaffen würde eine Art digitales Gütesiegel für Qualitätsjournale, ähnlich wie es im Internet seriöse Online-Shops kenntlich macht. Über die Vergabe eines solchen Siegels könnten die Wissenschaftsakademien der Welt wachen.

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