Süddeutsche Zeitung

Wirtschaftspolitik:Viel Ärger und ein Damoklesschwert beim "Wirtschaftsgipfel"

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Berlin (dpa) - Unsicherheit und Frust, Verärgerung über ein Hin und Her in der Corona-Politik: Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft ist nicht besser geworden, das bekam Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier am Donnerstag beim "Wirtschaftsgipfel" zu spüren.

Wirtschaftsverbände warnten vor den Folgen eines möglichen harten Lockdowns. Dazu kommen drohende gesetzliche Auflagen für Unternehmen über Testangebote für Beschäftigte.

"Die aktuelle Corona-Lage ist leider weiterhin ernst", erklärte Altmaier (CDU) nach den digitalen Beratungen, die sich fast über den ganzen Tag zogen. Der Wirtschaftsminister musste sich einiges anhören. Die Lage im "zwangsgeschlossenen Einzelhandel" sei weiterhin desaströs, sagte der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes HDE, Stefan Genth. Die Verunsicherung sei zum "Dauerzustand" geworden, schimpfte der Geschäftsführer des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft, Markus Jerger. Als Folge der Aneinanderreihung falscher Politik schwebe der Lockdown "als Damoklesschwert über uns".

Eigentlich wollen Bund und Länder am kommenden Montag über den weiteren Kurs in der Krise beraten - wobei nun wegen großer Meinungsunterschiede eine Verschiebung im Raum steht. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist nach Aussagen einer Regierungssprecherin für einen "kurzen einheitlichen Lockdown", nachdem sich CDU-Chef Armin Laschet für einen "Brücken-Lockdown" ausgesprochen hatte. Die Idee aber ist heftig umstritten. Dazu kommt die Frage, ob der Bund über das Infektionsschutzgesetz für verbindlichere Regelungen sorgen soll.

Bei den Beratungen mit Altmaier herrschte nach Angaben von Teilnehmern große Unsicherheit, was genau ein Lockdown bedeuten würde - also ob davon etwa auch die Industrie betroffen wäre.

Die Kritik an der Politik ist wieder lauter geworden: "Der Ad-hoc-Modus der vergangenen Monate ist keine Dauerlösung für ein im globalen Wettbewerb stehendes Industrieland", sagte Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI): "Es geht nicht allein darum, ob geöffnet oder geschlossen wird, sondern es muss auch geklärt sein, wann und wie."

Dazu kommt Ärger darüber, dass die Bundesregierung gesetzliche Auflagen über Corona-Tests in Firmen machen könnte. Die Wirtschaft stemmt sich mit aller Macht dagegen. Sie verweist auf deutliche Fortschritte bei der Ausweitung von Testangeboten. Es gebe aber Lieferschwierigkeiten. Eine gesetzliche Pflicht würde mitten in der Krise für mehr Bürokratie sorgen.

Altmaier sprang der Wirtschaft an diesem Punkt zur Seite. Der Minister sieht gesetzliche Vorgaben für Unternehmen skeptisch, wie er nach Angaben von Teilnehmern bei den Beratungen deutlich machte. Wenn man etwas reguliere, müsse es auch kontrolliert werden. Es würde aber Wochen dauern, solche Kontrollen einzurichten - in dieser Zeit werde die Impfkampagne Fahrt aufnehmen.

Das Arbeitsministerium dagegen nannte es nicht zufriedenstellend, dass derzeit rund 40 Prozent der Beschäftigten kein Testangebot bekommen - und verwies auf das Ergebnis von Befragungen im Auftrag des Arbeits- sowie Wirtschaftsministeriums. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) habe in der Vergangenheit wiederholt deutlich gemacht, dass er für eine verbindliche Regelung sei, falls in der Arbeitswelt nicht ausreichend getestet werde, sagte ein Sprecher: "Das Bundesarbeitsministerium hat entsprechende Regelungen vorbereitet und kann diese zügig umsetzen. Die Entscheidung darüber wird die Bundesregierung zeitnah treffen."

Die Umfrage ergab außerdem, dass nur 46 Prozent der Beschäftigten ein Corona-Testangebot in Unternehmen annehmen. Bei den in Präsenz Beschäftigten ist der Anteil mit 57 Prozent etwas höher - es ist also noch viel Überzeugungsarbeit nötig.

Altmaier erklärte nach dem erneuten "Gipfel" mit Vertretern von mehr als 40 Verbänden: "Ein schneller Impffortschritt und der konsequente Einsatz von Schnelltests sind in dieser Phase der Pandemie entscheidend, damit es auch für die gesamte Wirtschaft insgesamt bergauf gehen kann."

Nach einem coronabedingten Einbruch der Wirtschaftsleistung 2020 stehen die Zeichen in diesem Jahr zwar wieder auf Wachstum, getragen vor allem von der exportstarken Industrie. Branchen wie das Gastgewerbe oder Teile des Einzelhandels sehen sich aber weiter schwer belastet von den behördlich angeordneten Schließungen. Auch vor diesem Hintergrund und der dritten Corona-Welle haben Ökonomien ihre Wachstumsprognosen zuletzt gesenkt.

Altmaier verwies darauf, dass die Bundesregierung zusätzliche Hilfen beschlossen hat - laut Verbänden haben viele Firmen kaum noch finanzielle Reserven. Die Kritik an den milliardenschweren Programmen aber reißt nicht ab. Insbesondere die von Schließungen betroffenen Branchen fordern weitere Nachbesserungen. "Es ist unerlässlich, die Überbrückungshilfen über den Juni hinaus bis zum Ende des Jahres zu verlängern", so der Präsident des Deutschen Reiseverbandes (DRV), Norbert Fiebig.

Vor allem eins aber fordert die Wirtschaft von der Politik: mehr Verlässlichkeit. Eine verbindliche Verständigung auf einen bundesweit einheitlichen Maßnahmenkatalog sei für die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung und in der Wirtschaft elementar, sagte Guido Zöllick, Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). Es müsse klar geregelt sein, welche Beschränkungen oder Lockerungen beim Erreichen bestimmter Werte eintreffen. Auch Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer forderte, statt überstürzter Öffnungen und kurzen Schließungen sollte es Zuverlässigkeit geben: "Weitere Belastungen der Betriebe sind nicht akzeptabel."

© dpa-infocom, dpa:210408-99-121809/7

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210408-99-121809
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Direkt aus dem dpa-Newskanal